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Brexit
Liberale in London hoffen auf ihre Chance

Streit des britische Unterhauses über den Brexit-Vertrag mit der EU
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Theresa May vor ihrem Statement im Parlament

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Theresa Mays Brexit-Deal mit der EU wird nächste Woche wahrscheinlich im britischen Parlament scheitern. Was dann passiert, ist vollkommen offen. Die Liberal Democrats schöpfen daraus neue Hoffnung auf ein zweites Referendum.

London am vergangenen Dienstag:  Zwei kleine Gruppen trotzen dem Regen und halten Plakate mit der Aufschrift „We want a People’s Vote“ oder „We voted leave“ in Richtung des Westminister Palace. Dort werden die Abgeordneten des Unterhauses am kommenden Dienstag, dem 11. Dezember,  über das von Premierministerin Theresa May ausgehandelte Austrittsabkommen mit der EU abstimmen. Das Land ist gespalten, vermag nach mehr als zwei Jahren der unentwegten Brexit-Diskussionen aber keine dramatischere Kulisse mehr für diese folgenschwere Entscheidung aufbringen, so könnte man als Beobachter jedenfalls meinen.

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Dabei werden die Weichen für die zukünftigen Beziehungen des Vereinigten Königreichs mit seinen europäischen Partnern erst jetzt wirklich gestellt. Theresa May wird mit ihrem Deal im Unterhaus aller Voraussicht nach scheitern – die Frage ist nur, wie deutlich ihre Niederlage ausfallen wird. Diese Einschätzung teilt auch Tom Brake, europapolitischer Sprecher der Liberal Democrats im britischen Unterhaus: „Die konservative Regierung hat ein schreckliches Durcheinander angerichtet. Niemand hat dafür gestimmt, dass Großbritannien in einem Brexit-Hamsterrad gefangen bleibt und ständig mit seinen engsten Partnern feilscht, während das Land ärmer und ärmer wird.“

Der einstweilige Verbleib des Vereinigten Königreichs in Binnenmarkt und Zollunion bei gleichzeitigem Verlust des Einflusses in den EU-Institutionen ist für viele Abgeordnete von Theresa Mays Conservative Party sowie für die Abgeordneten der nordirischen Democratic Unionist Party (DUP) schlicht inakzeptabel. Labour als größte Oppositionspartei sieht im Scheitern Mays vor allem eine Chance auf Neuwahlen und die Übernahme von Regierungsverantwortung. Und für die Pro-Europäer, allen voran die Liberal Democrats, aber auch für viele Abgeordnete der Scottish National Party (SNP) und auch der Konservativen, bedeutet der Widerstand gegen das vorliegende Abkommen die einzige Chance, den Austritt doch noch zu verhindern.

Seit dieser Woche stehen Mays Chancen noch schlechter. Es deutet sich an, dass der Europäische Gerichtshof (EuGH) in einem für nächste Woche erwarteten Urteil feststellen wird, dass das Vereinigte Königreich seinen Austrittsantrag einseitig, das heißt ohne Zustimmung der anderen 27 EU-Mitgliedsstaaten, zurücknehmen kann. Diese Einschätzung veröffentlichte am Dienstag ein Generalanwalt des EuGH – meist ein klares Indiz für das bevorstehende Urteil. Dieses gibt den Verfechtern eines erneuten Referendums schon jetzt Auftrieb, würde es doch eine der größten Hürden für einen Stopp des Brexit-Prozesses beseitigen.

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Darüber hinaus fügten die Mitglieder des House of Commons der Regierung am Dienstag eine historische Serie von Abstimmungsniederlagen zu. Unter anderem erwirkten die Abgeordneten für sich das Recht, über eigene Vorschläge bezüglich des weiteren Brexit-Vorgehens abzustimmen. So könnte das Parlament mit der Mehrheit seiner Mitglieder ein zweites Referendum oder eine Rücknahme des Austrittsantrages beschließen. Ein solches Votum aus der Herzkammer der Demokratie wäre für die Regierung zwar rechtlich nicht bindend, aber letztlich dennoch unumgänglich. Zahlreiche Abgeordnete aus Mays Regierungspartei haben damit deutlich gemacht, dass sie weder an einen Erfolg des Austrittsabkommens glauben noch davor zurückschrecken, gegen den Willen ihrer Regierungschefin abzustimmen. 

Die aktuellen Wettquoten für die Abstimmung am nächsten Dienstag können vor diesem Hintergrund kaum überraschen. Wer ein britisches Pfund auf eine Niederlage Mays am nächsten Dienstag setzt, darf nur mit einer Ausschüttung von 1,19 Pfund rechnen. Würde man darauf setzen, dass eine Parlamentsmehrheit dem Abkommen zustimmt, erhielte man immerhin fünf Pfund.

Theresa May scheint ähnlich zu rechnen. Erstaunlicherweise verwendet sie ihre Zeit und Energie dieser Tage nicht etwa dafür, um unter den Abgeordneten für ihren deal zu werben, sondern um in Fernsehsendungen und bei öffentlichen Veranstaltungen aufzutreten. Möglichweise versucht sie über den Umweg der Öffentlichkeit, den Druck auf die Mitglieder des House of Commons zu erhöhen. Vielleicht konzentriert sie sich aber auch schon auf eine Schlacht, die auf eine Niederlage nächste Woche folgen könnte: ein zweites Referendum oder Neuwahlen.

Denn was nach dem 11. Dezember passiert, ist ungewisser denn je. Eine Verschiebung des Austrittsdatums, Neuverhandlungen – obwohl von der EU kategorisch ausgeschlossen –  oder ein unkontrollierter Austritt sind ebenso im Bereich des Möglichen als auch ein zweites Referendum. Damit es dazu kommt, müsste sich jedoch eine der beiden großen Parteien, sprich die Conservatives oder Labour, dafür einsetzen. Bislang sind die Liberal Democrats die einzige Partei, die aktiv für eine erneute Volksbefragung wirbt und damit auf einen Verbleib Großbritanniens in der EU hofft.

Die Partei befindet sich allerdings in einer ungünstigen Ausgangslage. Erstens ist sie mit elf Abgeordneten so schwach im Parlament vertreten wie selten zuvor in ihrer langen Geschichte. Erst am Donnerstag verließ ein Parlamentsmitglied die liberale Fraktion, um Theresa Mays Abkommen zu unterstützen. Zweitens haben die LibDems ihre traditionelle Rolle als dritte Kraft in der britischen Politik verloren. Wie Wera Hobhouse, deutsch-britische Abgeordnete der Liberalen erklärt, liege ihre Partei in Sachen medialer Aufmerksamkeit sogar nur auf Platz fünf, hinter den beiden Volksparteien, der SNP sowie der DUP, die zwar weniger Abgeordnete stellt, dafür aber die Regierung von Theresa May stützt. Es falle der Partei deshalb schwer, der Öffentlichkeit ihr Alleinstellungsmerkmal, nämlich den Widerstand gegen den Brexit, zu vermitteln.

Wir sind jetzt am schwächsten, wenn das Land uns am meisten braucht.

Fox
Lord Christopher Fox, Mitglied des Oberhauses für die Liberal Democrats

Vor diesem Hintergrund stellt Lord Christopher Fox, Mitglied des Oberhauses für die Liberal Democrats, ernüchtert fest: „Wir sind jetzt am schwächsten, wenn das Land uns am meisten braucht“.  Die Trennung von der EU wurde seiner Meinung nach fälschlicherweise immer mit einer Scheidung verglichen, bei der man auch zu einem späteren Zeitpunkt noch feststellen könne, wer das Sorgerecht für die Kinder und wer das Sofa bekäme. Der Brexit aber, so Fox diese Woche bei seiner Rede im Oberhaus, müsse eher mit einer Operation zur Trennung siamesischer Zwillinge verglichen werden:  „Am Ende drohen beiden Seiten lebenswichtige Organe zu fehlen.“

Ob die Mehrheit der britischen Bevölkerung  diese Auffassung bei einem möglichen zweiten Referendum teilt, ist alles andere als gewiss. Aktuelle Umfragen deuten weiter daraufhin, dass das Land in zwei gleich große Lager gespalten ist. In der Parteizentrale der Liberal Democrats arbeitet man deshalb schon an einer Strategie, um möglichst erfolgreich für eine Fortsetzung der EU-Mitgliedschaft zu werben. Lord Fox ist überzeugt, dass eine neue Kampagne für den Verbleib des Königreichs in der EU auch mit dem Versprechen einhergehen muss, einen radikalen Wandel in der Innenpolitik herbeizuführen. Die Regierung muss sich stärker mit sozialen Problemen wie Altersarmut und Wohnungsnot auseinandersetzen – Themen die in den letzten zweieinhalb Jahren komplett untergegangen sind.

Sebastian Vagt ist European Affairs Manager im Brüsseler Büro der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit