Muskelspiele im östlichen Mittelmeer
Griechenland und die Türkei sind keine gewöhnlichen Nachbarn. Geschichte und Politik verwickeln sie in einen fortdauernden Wettbewerb und erneuern auf zynische Weise die Erzählungen von Thucydides und Clausewitz. Die Rivalität datiert bis ins 14. Jahrhundert zurück, als das Ottomanische Reich erstmals Byzanz bedrohte. Heute alarmiert der schwelende Konflikt Brüssel und Washington.
Die Türkei unter Präsident Recep Tayyip Erdoğan befindet sich im Übergang zu einer Regionalmacht, die ihren Einfluss im östlichen Mittelmeer, im Nahen Osten und im Kaukasus versucht geltend zu machen. Sie möchte daher ihre westliche Grenze festigen. Gleichzeitig entwickelt die Türkei zunehmend engere Verbindungen zu Moskau in der Energieversorgung. Dies führt zu einer nachhaltigen Veränderung in der Struktur der europäischen Energiesicherheit. Gleichzeitig wollen auch Griechenland und die Republik Zypern die Entdeckung von Offshore Erdgas in der ausschließlichen Wirtschaftszone (AWZ) Zyperns zur Verbesserung ihrer strategischen Situation nutzen. Die neu entdeckten Ressourcen versprechen nämlich auch für die EU eine größere Unabhängigkeit in der Energieversorgung. Der Streit darüber, wer den Rohstoff fördern darf, droht zu eskalieren.
Muskelspiele im östlichen Mittelmeer
Im Februar entsendete die Türkei fünf Kriegsschiffe nach Zypern, um die Arbeit französischer und italienischer Erkundungs- und Bohrschiffe zu blockieren (die Türkei erkennt als einziger Staat die Republik Zypern nicht an). Offiziell begründete die Türkei ihre Blockade-Aktion mit dem Argument, die Ausbeutung der unterseeischen Ressourcen verletze die unveräußerlichen Rechte der türkischen Zyprioten.
Die Regierung der Vereinigten Staaten von Amerika verstärkte daraufhin ihre maritime Präsenz und verlegte drei Kriegsschiffe ins östliche Mittelmeer und zwei in die Ägäis.
Erst im Februar kam es zu einem ernsten Zwischenfall, als ein türkisches Schiff ein Boot der griechischen Küstenwache rammte, während dieses in den Gewässern um die umstrittene Insel Imia patrouillierte. Die Türkei stellt die griechische Hoheit über zahlreiche ägäische Inseln, Eilande und Felsen in Frage. Erdoğan ficht sogar die Gültigkeit des für das Verhältnis der beiden Staaten elementaren Vertrages von Lausanne aus dem Jahr 1923 an. Auf der griechischen Seite mahnen die Verantwortlichen dazu, völkerrechtliche Verträge zu respektieren. Der griechische Präsident Prokopis Pavlopoulos erklärte am 7. März in Nisyros: „Griechenland wünscht sich Freundschaft und Nachbarschaft mit der Türkei und unterstützt deshalb den Beitrittsprozess der Türkei zur Europäischen Union, fordert aber gleichzeitig Respekt für Grenzen und völkerrechtliche Verträge, besonders für die Verträge von Lausanne und Paris und für das Seerechtsübereinkommen der Vereinten Nationen. Auf dieser Grundlage können wir mit der Türkei befreundet sein.“
Diese Aussage provozierte eine wutentbrannte Reaktion des türkischen Präsidenten, der stumpf und undiplomatisch erwiderte: „Wer sein Gedächtnis auffrischen möchte, sollte sich die jüngere Geschichte ansehen. Bevor sie Dinge sagen, die größer sind, als sie selbst, sollten sie die Geschichtsbücher studieren.“ Erdoğan bezog sich auf den Griechisch-Türkischen Krieg von 1921-22. Dieser ist ein Stachel im griechischen Gedächtnis, weil er die Vertreibung vieler Griechen aus der Türkei zur Folge hatte.
Die nächste Eskalation
Die Spannungen setzten sich nach diesem Schlagabtausch weiter nördlich fort, an der Griechisch-Türkischen Landgrenze in Thrace. Am Abend des 2. März nahmen türkische Spezialkräfte zwei griechische Soldaten gefangen, die an der Grenze in der Nähe des Evros Flusses patrouilliert hatten. Laut offiziellen Angaben hatten sie sich bei schlechtem Wetter auf die türkische Seite der Grenze verirrt. Sie wurden in die Grenzstadt Edirne gebracht und warten dort seitdem darauf, dass Anklage erhoben und ein Prozess gegen sie eröffnet wird. Das örtliche Gericht wies die Forderung, die beiden Soldaten aus dem Hochsicherheitsgefängnis zu entlassen, mit Verweis auf laufende Untersuchungen zurück. Beobachter erwarten eine Anklage wegen Spionage oder illegalem Grenzübertritt.
Da Grenzverletzungen üblich sind, äußerten einige Analysten ihre Sorge darüber, dass Ankara die Gangart absichtlich verschärft habe. Ein solcher Fall würde normalerweise auf Beamtenebene gelöst werden. Andere gehen davon aus, dass Sergeant Dimitris Kouklatzis, 27, und Leutnant Angelos Mitretodis, 25, auf griechischem Boden gefangen genommen wurden, um einen Austausch mit türkischen Offizieren zu erzwingen, die nach dem gescheiterten Putschversuch in der Türkei 2016 nach Griechenland geflohen waren und dort Asyl erhalten hatten.
Der türkische Außenminister Çavuşoğlu sagte gegenüber der Zeit: “Sie sind illegal über die Grenze gekommen. Das liegt bei den Ermittlern und Gerichten, die müssen nun herausfinden, was möglicherweise dahintersteckt. War es ein Fehler oder Absicht? Sie wollen sicher sein.”
Die Rolle der EU
Der Chef-Sprecher der Europäischen Kommission, Margaritis Schinas, drückte lediglich seine Hoffnung darüber aus, dass die Situation ein gutes Ende finden möge, sehr zur Enttäuschung von Athen. Die wichtige Rolle der Türkei im so genannten Flüchtlingsabkommen erfordert von der EU einen vorsichtigen und diplomatischen Umgang mit ihren Partnern am Bosporus. Der griechische Verteidigungsminister Panos Kammenos sagte während seines Aufenthaltes in Bukarest, die Türkei hielte die beiden Soldaten als Geiseln: „Ich habe den rumänischen Verteidigungsminister über die anhaltende Situation informiert. Im Moment haben wir zwei griechische Geiseln in einem türkischen Gefängnis, einen Leutnant und einen Sergeant. Ich bitte ihn um Unterstützung zur sofortigen Freilassung der Offiziere, die im Dienst Griechenlands, der NATO und der EU stehen“.
Die Situation in der Ägäis und in Zypern bleibt angespannt. Die Türkei hat erst kürzlich die Schifffahrt darüber informiert, dass sie Teile der zentralen Ägäis für militärische Übungen sperrt. Griechenland versendete daraufhin ein gleichlautendes See-Telegramm für die nördliche und südliche Ägäis. Kurz bevor steht außerdem der griechische Nationalfeiertag am 25. März, an welchem die Griechen der Revolution gegen die Türken gedenken. Wir dürfen also zwei heiße Wochen erwarten, in denen auch die EU gefragt sein dürfte.
Athanasios Grammenos ist Projektassistent der Stiftung in Griechenland.