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Nach nationalem Corona-Reflex ist es Zeit für eine europäische und multilaterale Antwort

Ein zweigleisiger Ansatz ist notwendig, um die Gesundheit der Bevölkerung langfristig zu schützen
Europaflaggen
Europaflaggen wehen vor dem Sitz der Europäischen Kommission in Brüssel. © picture alliance

Diese Woche feiern Christen auf der ganzen Welt Ostern, ein Fest des Aufbruchs und der Gemeinsamkeit. Der Papst sendet dieses Zeichen auch jedes Jahr mit seinem traditionellen Ostersonntagssegen „Urbi et Orbi“ – Der Stadt und dem Erdball. Die Botschaft von Ostern soll die ganze Welt einen und verbinden. Doch was wir heute in den Reaktionen der nationalen Regierungen auf die Corona-Pandemie erleben, ist das Gegenteil von globalem Miteinander und Multilateralismus. Davon ist auch die deutsche Bundesregierung nicht ausgenommen.

Grenzschließungen, Einreisestopps, Exportverbote für medizinische Schutzausrüstung: der erste Reflex der Bundesregierung in der sich abzeichnenden Corona-Krise war der Griff in die Instrumentenkiste des Nationalstaats. Drei Wochen später hat sich das Bild zumindest in Teilen gewandelt. Doch wenn es um eine koordinierte europäische, gar eine multilaterale Antwort auf die Krise geht, kommt von der Bundesregierung nicht genug. Und das ist grundfalsch, denn eine Pandemie ist erst dann bekämpft, wenn die Situation in Mailand, im amerikanischen Bundesstaat Washington und auch in Ugandas Hauptstadt Kampala unter Kontrolle ist.

Ein zweigleisiger Ansatz ist deshalb notwendig: neben den Maßnahmen, die in Bund und Ländern getroffen werden, um die Bevölkerung zu schützen, muss eine koordinierte Anstrengung auf europäischer und internationaler Ebene erfolgen. Nur wenn diese Maßnahmen ineinandergreifen, wird die Gesundheit der Bürgerinnen und Bürger langfristig geschützt; nur dann sind auch die Einschnitte in Grundrechte, Alltag und Zukunftspläne der Menschen sowie die Zerreißprobe für die Wirtschaft temporär zu rechtfertigen.

Auf EU-Ebene ist die gemeinsame Beschaffung und zentrale Verteilung von medizinischem Schutzmaterial voranzutreiben. Denn die Mitgliedsstaaten sind zwar gleichzeitig aber nicht in gleichem Maße betroffen. So kann jedem im richtigen Maße geholfen werden. Mittelfristige Lektionen aus der Corona-Krise stehen bereits fest: Die Produktion von medizinischem Material und Medikamenten muss innerhalb des EU-Binnenmarktes sichergestellt werden. Europa muss sich – auch mit Hilfe des neuen Finanzrahmens 2021-2027 – stark im Bereich Forschung und Entwicklung aufstellen, um auf weitere Krisen mit wissenschaftlicher Schlagkraft reagieren zu können.

Ganz klar braucht es jetzt auch europäische Solidarität für besonders stark betroffenen Staaten wie Italien und Spanien. Der erhobene Zeigefinger des deutschen Buchhalters greift hier nicht. Ebenso sind Verweise von italienischer Seite auf die deutsche Geschichte fehl am Platz. Stattdessen muss pragmatisch zusammengearbeitet werden. Auf europäischer Ebene verfügen wir über zahlreiche Instrumente, die wir schnell zum Einsatz bringen können: Umgewidmete Mittel aus dem EU-Haushalt, finanzieller Beistand nach Art. 122 der Europäischen Verträge, zusätzliche Programme der Europäischen Investitionsbank, oder sachgerecht konditionierte Kredite des ESM. Selbst bilaterale Hilfen sind im Fall der Fälle denkbar. Solidarität bedeutet also nicht schicht „Eurobonds“. Denn solche politisch toxischen Vorschläge spalten die EU und müßten erst mit langwierigen Vertragsänderungen eingeführt werden. Und vor allem: Man leistete der Idee der europäischen Integration einen Bärendienst, wenn man nun Instrumente einführte, die extrem anfällig für Moral Hazard sind; die es reformbedürftigen Staaten erleichtern würden, notwendige notwendige Strukturreformen auf die lange Bank zu schieben, da Eurobonds billiges neues Geld in den Haushalt spülen. Die Einführung gesamtschuldnerischer Haftung in der EU durch Euro-/Corona-/Recovery-Bonds führte unweigerlich in eine Debatte, die die EU zerreißen könnte, weil eine Lage entstünde, in der die Einen dauerhaft auf Kosten der Anderen leben könnten. Solidarität ist keine Einbahnstraße. Deutschland muß jetzt massiv helfen, aber mit Hirn. Staaten in Not schulden umgekehrt den Helfenden ebenfalls Solidarität, nämlich die Zusicherung, erhaltene Hilfen zielgenau einzusetzen und beim Wiederaufbau nicht die Fehler der Vergangenheit zu wiederholen. Deshalb kann es keine Hilfe ohne Konditionen geben.

Und gleichzeitig muss die Debatte auf europäischer Ebene weiter reichen: Es braucht einen Multi-Sektor-Ansatz. Denn der Corona-Schock betrifft viele Gesellschaftsbereiche. Insbesonderen müssen der Binnenmarkt und das Schengener Abkommen, also der grundsätzlich freie Reiseverkehr im Schengen-Raum, geschützt werden. Die Bundesregierung muss dafür endlich europäische Absprachen zur Offenhaltung der Binnengrenzen für den Waren- und Pendlerverkehr einhalten. So wirkt sie Sorgen vor Versorgungsengpässen entgegen und ermöglicht, dass besonders benötigte Berufsgruppen ihren wichtigen Beitrag leisten können, darunter Pflegepersonal und Erntehelfer. Statt die Schlagbäume abzusenken, sollte die Bundesregierung mit ihren EU-Partnern Vorsorgemaßnahmen koordinieren und geschützte Transitrouten schaffen. Auf Eingriffe in die demokratischen Grundwerte der EU - wie dieser Tage in Polen und Ungarn – muss sie auch in Zeiten der Corona-Krise deutlich reagieren. Denn all diese Bereiche greifen ineinander und machen in ihrer Gesamtheit den Erfolg und die Lebensqualität der EU aus.   

Auch in der internationalen Gemeinschaft muss die Bundesregierung in diesen Zeiten Führungsstärke zeigen. Denn während China versucht, mit einer Art „Schutzmasken-Diplomatie“ Einflusssphären auszubauen und sich die USA komplett nach innen abschotten, gibt es gerade in Zeiten einer Pandemie Aufgaben, die nur im internationalen Verbund gelöst werden können. Etwa die Impfstoffentwicklung und die Stärkung multilateraler Akteure wie der Weltgesundheitsorganisation, der Weltbank mit ihren Programmen zur Krisenreaktion und das UN-Flüchtlingshilfswerk.

Daher hilft es nicht viel, wenn jetzt einerseits der Bundesentwicklungsminister vorprescht und ein eigenes Notfallpaket schnürt und der Bundesaußenminister den Zeitpunkt verschläft durch Maßnahmen der humanitären Hilfe ein weiteres Ausbreiten des Virus in Krisen-Hotspots zu verhindern. Gerade das Auswärtige Amt ist hier jedoch in der Pflicht, die Führungsrolle zu übernehmen. Das Auswärtige Amt sollte federführend in der Bundesregierung eine Staatssekretärsrunde einrichten, die sich engstens zur europäischen und internationalen Antwort auf die Corona-Krise koordiniert. Deutschland hat insbesondere seit der Großen Koalition 2014 auf internationaler Ebene den zweifelhaften Ruf eines tastenden Akteurs, bei dem die Linke nicht weiß was die Rechte macht. Die Abstimmungsprobleme zwischen AA und BMZ sind legendär - von den unkoordinierten internationalen Aktivitäten der anderen Ressorts ganz zu schweigen.

Die Bundesregierung muss zeigen, dass die multilaterale Zusammenarbeit für sie nicht nur eine leere Worthülse ist. Nach dem ersten nationalen Reflex der Bundesregierung ist es jetzt höchste Zeit für eine europäische und multilaterale Antwort auf die Corona-Krise.

 

Michael Georg Link MdB ist Vorstandsmitglied der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit, Mitglied im Bundesvorstand der FDP sowie Sprecher für Europapolitik.