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Russland
Putin will mit Sozialpolitik und Säbelrasseln Rating verbessern

Wladimir Putin, russischer Präsident, hält eine Rede an die Nation.

Der russische Präsident Wladimir Putin

© picture alliance / Photoshot

In einem Land, in dem der Staat und die Wirtschaft seit Jahren immer stärker einer „Vertikale der Macht“ untergeordnet wurden, warten Beamte wie Beobachter, Bürger wie Investoren immer auf Signale des Mannes, der an der Spitze dieser Vertikale steht. Der 66-jährige Präsident Wladimir Putin selbst achtet dagegen bekanntlich sehr darauf, wie sicher diese Macht laut den Umfragewerten in der Bevölkerung scheint.

In Russland zweifeln die Soziologen dagegen schon lange an der Aussagekraft solcher Ratings, in denen Bürger ihre Zustimmung oder Ablehnung zum Präsidenten ausdrücken sollen. Bei steigenden Repressionen gegen unabhängige Zivilgesellschaft und Opposition traut nicht jeder Befragte der Anonymität der Umfragen und ob seine Antwort nicht auch gegen ihn verwendet werden könnte.

Als in dieser politischen Lage die Zustimmung zum Präsidenten laut Umfragen des unabhängigen Lewada-Zentrumsinnerhalb innerhalb eines Jahres um fast 20 Prozent auf 64 Prozent gesunken ist, konnte man eine deutliche Antwort des Amtsinhabers erwarten. Besonders die unpopuläre Ankündigung, das Renteneintrittsalter herabzusenken und sowie die Erhöhung der Mehrwertsteuer hatte dem Rating des Präsidenten zugesetzt. Deswegen hatten russische staatliche Medien angekündigt, dass seine „Botschaft an die Föderale Versammlung“, wie seine Rede an die Nation amtlich heißt, sich insbesondere wirtschaftlichen und sozialen Themen annehmen werde.

Putin enttäuschte diese Erwartungen in seiner Rede nicht, indem er die meiste Zeit auf diese Themen verwendete: Die Renten sollten steigen, Haushalte mit Kindern entlastet und in das Gesundheits- und Bildungssystem investiert werden. Er erklärte dabei, dass Russland zu diesen „kolossalen“ Investitionen durch „langjährige kollektive Bemühungen“ in der Lage sei. Dieser Zusammenhang entspricht der wirtschaftlichen Realität, in der Einnahmen des russischen Staatshaushaltes aus Rohstoffexporten relativ stabil blieben, während die Staatsausgaben in Form von Gehältern, Renten und Sozialausgaben durch Inflation und Wechselkursabfall sanken.

Unsicheres Investitionsklima drückt das Wachstum

Dennoch sieht die makroökonomische Lage des Landes nicht rosig aus. Das russische Wirtschaftsministerium hatte kürzlich seine Wachstumserwartungen von gerade einmal 1,3 Prozent für 2019 veröffentlicht und war damit der Weltbank gefolgt, die ihre Prognose im Januar auf 1,5 Prozent korrigiert hatte. Mehr als auf Sanktionen und Gegensanktionen sind diese niedrigen Wachstumszahlen auf ein unsicheres Investitionsklima zurückzuführen: Eigentum ist nicht ausreichend geschützt und Gerichte sind nicht ausreichend unabhängig von der Staatsgewalt. Auch Kontrollmechanismen wie unabhängige Medien, Zivilgesellschaft und politische Opposition werden systematisch unterdrückt.

Alexej Kudrin, Vorsitzender des Rechnungshofes und ehemaliger Finanzminister, hatte erst am Montag darauf hingewiesen, wie sehr die Verhaftung von Investoren, wie die des US-amerikanischen Investors Michael Calvey, die russische Wirtschaft in eine Notlage bringe.

Russland bräuchte Direktinvestitionen aus dem Ausland

Im zweiten kürzeren Teil seiner Rede machte Putin die USA für den Bruch des INF-Abrüstungsvertrages verantwortlich, zählte eigene Waffensysteme von Überschallraketen bis Atom-U-Booten auf und kündigte in scharfen Worten an, bei der Stationierung neuer amerikanischer Waffensysteme in Europa nicht nur die Länder ins Visier zu nehmen, in denen die Waffen stationiert werden, sondern auch die USA selbst. Trotz der Beteuerung rein defensiver Motive hallten diese Worte sehr bedrohlich und aggressiv nach.

Das dürfte seinem Rating geholfen haben, denn nicht erst seit dem berühmten Roman 1984 von George Orwell weiß man, dass eine echte oder vermeintliche außenpolitische Bedrohung, die Einigung hinter einem starken Führer befördert. Gleichzeitig verschrecken solche Worte nicht nur die Nachbarn in Europa, sondern auch wichtige Investoren. Säbelgerassel stört somit wieder ausländische Direktinvestitionen im russischen Wirtschaftsraum, die für die Finanzierung der angekündigten Maßnahmen besonders wichtig wären.

Julius von Freytag-Loringhoven leitet seit 2012 das Moskauer Büro und die Arbeit der Friedrich Naumann Stiftung für die Freiheit in Russland und Zentralasien.

Dieser Artikel erschien zuerst am 20/02/2019 auf focus.de.