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EU-Ratspräsidentschaft
Ratspräsidentschaft: In der Mitte Europas Europa zusammenhalten!

Am 1. Juli übernimmt Deutschland die EU-Ratspräsidentschaft und steht vor damit vor einem großen Programm
Am 1. Juli übernimmt Deutschland die EU-Ratspräsidentschaft.
Am 1. Juli übernimmt Deutschland die EU-Ratspräsidentschaft. © Gettyimages/fhm

Am 1. Juli 2020 übernimmt die Bundesrepublik Deutschland die Ratspräsidentschaft der Europäischen Union (EU). Damit führt sie für ein halbes Jahr die Geschäfte der Mitgliedstaaten, soweit diese in den verschiedenen Ministerräten und im Europäischen Rat tagen und an den Entscheidungen in der EU mitwirken. Verbunden mit der Ratspräsidentschaft ist zudem die Verpflichtung im politischen und gesetzgeberischen Prozess für Kompromisse zwischen den Mitgliedstaaten der Union und gegenüber den übrigen Institutionen der EU zu sorgen. Außerdem fällt der Ratspräsidentschaft die Rolle der Repräsentation der Staatenrunde gegenüber EU-Kommission, Europäischem Parlament sowie internationalen Organisationen und Drittstaaten zu.

Die Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit startet heute eine Artikelserie, die bis zum 1. Juli verschiedene Aspekte der deutschen Ratspräsidentschaft im aktuellen europäischen Kontext beleuchtet, aber auch mit Vorschlägen zur längerfristigen Entwicklung der EU Stellung bezieht. Lesen Sie heute zum Auftakt:

Wie kommt Europa aus der Krise?

Europa steht inmitten einer der bedrohlichsten Krisen seit dem 2. Weltkrieg. Zu Beginn der Covid-19-Krise dominierte der Reflex des Rückzugs auf die vertraute nationale Politik und ihre Entscheidungsträger. Nun tritt der Umgang mit dem Virus und seiner Folgen in eine neue Phase. Nach der Gesundheitskrise und ihrer zunächst erfolgreichen Bekämpfung rückt nunmehr die Wirtschaftskrise in den Mittelpunkt. Eine Krise, die Bürger und Unternehmen fast aller EU-Mitgliedstaaten in erheblichem, oft existentiellem Ausmaß trifft. Vor diesem wirtschaftlichen und politischen Hintergrund übernimmt Deutschland zum 1. Juli dieses Jahres die Ratspräsidentschaft der Europäischen Union.

Das Verhandeln von EU-Haushalt und Rettungs- und Aufschwungpaketen

Die EU und ihre Mitgliedstaaten haben – deutlich schneller als in der Finanzkrise vor zehn Jahren – bereits umfangreiche Rettungspakete vorgelegt. In Brüssel sind nationale Hilfen in Höhe von insgesamt zwei Billionen Euro notifiziert; ESM, EIB und EU-Kommission mit dem Kurzarbeitergeld SURE stehen für ein Paket von 500 Milliarden Euro.

Aktuell hat die EU-Kommission ihren Entwurf für den European Recovery Fund („Next Generation EU“) mit einem Umfang von weiteren 750 Milliarden Euro vorgelegt. Diese Gelder sollen direkt an die wirtschaftlich am stärksten betroffenen Regionen und Branchen in den Ländern der EU fließen und gemäß europäischer Prioritäten investiert werden. Damit soll Europa zurück auf den Wachstumspfad kommen. Die Weichen, die den Weg vorgeben, in welche Branchen, Regionen und Politikfelder die Milliarden des „Next Generation EU“-Programms fließen werden, werden in den nächsten Monaten gestellt. Das Paket „Next Generation EU“ wird im Verbund mit dem normalen EU-Haushalt, dem sogenannten mittelfristigen Finanzrahmen verhandelt. Hier geht es um zusätzlich ca 1100 Milliarden Euro, die über sieben Jahre (2021-2027) in die 27 Mitgliedstaaten der EU fließen. Von A wie Agrarmarkt bis Z wie Zukunftsinvestitionen.

Beide Budgetstränge werden das volle Verhandlungs- und Kompromissbildungsgeschick der Bundesregierung in Anspruch nehmen.

Krisenfestigkeit stärken

Die deutsche Ratspräsidentschaft wird neben der Krisenbewältigung jedoch auch von den langen Linien der Europapolitik geprägt sein:

Nach der Finanz- und Schuldenkrise vor gut zehn Jahren und der Migrationskrise, die vor fünf Jahren ihren Anfang nahm, trifft die Gemeinschaft der Europäischen Staaten auf die dritte massive globale Belastungsprobe innerhalb eines Jahrzehnts. Und wie immer in Europa geht es nicht allein um finanzielle und wirtschaftliche Interessen, sondern auch um die Balance zwischen nationaler Autonomie und europäischer Handlungsfähigkeit. In der Vergangenheit ist Europa immer dann stärker aus Krisen hervorgegangen, wenn es diese Balance in einer harten politischen Auseinandersetzung neu justiert, mit praktischen gemeinsamen Anstrengungen der intensiven Zusammenarbeit unterlegt und institutionell ausbalanciert hat. Dazu muss Deutschland in den kommenden sechs Monaten seinen Beitrag leisten.

Wohlstandsbasis behaupten, Verantwortung übernehmen

Der Erfolg der Europäischen Union nach innen ruht in hohem Maße auf der Attraktivität ihres Binnenmarktes mit seinen Säulen des freien Verkehrs von Waren, Personen, Dienstleistungen und Kapital. Nur ein weltoffenes Europa, das den Wettbewerb mit China, den USA und anderen Regionen annimmt, das aufnahmefähig bleibt für die Integration neuer Ideen, innovativer wissenschaftlicher und wirtschaftlicher Prozesse und der Menschen, die diese tragen, wird auch übermorgen noch seinen Wohlstand behaupten können.

Neben die Bereitschaft zum Wettbewerb muss die Einsicht in und die Wahrnehmung der Verantwortung für Dritte treten. Wer so groß ist wie die EU und wessen Einflüsse durch Waren, Dienstleistungen, Infrastruktur und kulturelle Präsenz um die ganze Welt reicht, muss sich auch in die Pflicht für Stabilität und Nachhaltigkeit der globalen Ordnung nehmen lassen.

Während der deutschen Ratspräsidentschaft werden deshalb die Themen des Verhältnisses zu China und Afrika ebenso auf der Tagesordnung stehen wie die Regelung des Post-Brexit-Verhältnisses zu Großbritannien, dem Vereinigten Königreich.

Europa zukunftsfest und handlungsstark machen

Die gegenwärtige Krise in der EU erfordert nicht nur Antworten nach Innen und Außen, die sich mit der Stabilisierung von Wirtschaft und Wohlstand befassen. Genau so müssen die Fragen der Asylgesetzgebung und der Einwanderungspolitik sowie der gemeinsamen Außenpolitik angepackt werden.

Die Welt des Kalten Krieges des 20. Jahrhunderts ist tot. Heute entstehen neo-pentarchische Strukturen in der Weltordnung, die Europa vielfältigen Bedrohungs- und Risikoszenarien aussetzt. Geographisch gibt es stark unterschiedliche Prioritäten bei den EU-Mitgliedstaaten: Die mittel- und osteuropäischen Staaten wie das Baltikum schauen auf Russland, das nach der Besetzung der Krim einen heißen Krieg auf dem Staatsgebiet der Ukraine führt und weit entfernt ist von einer gutnachbarschaftlichen Beziehung zur EU. Die Mittelmeeranrainer der EU schauen auf den MENA-Bogen und Afrika als Raum der Instabilität und Herkunft von Flüchtlingsströmen. Die ökonomischen Schwergewichte West- und Nordeuropas sowie die EU insgesamt sind mit der chinesischen Herausforderung konfrontiert, wirtschaftspolitisch wie auch zunehmend als Machtfaktor in der Sicherheitspolitik. Hinzu tritt das volatile Verhältnis zu den USA unter Trump, die als Garant europäischer und weltweiter Sicherheit zunehmend unberechenbarer werden und – auch jenseits der aktuellen Administration – den Schwerpunkt ihrer strategischen Ausrichtung aus dem atlantischen in den pazifischen Raum verlagern.

Wenn die EU ihre Handlungsfähigkeit bewahren will, wird sie künftig mehr außen- und sicherheitspolitische sowie militärische Verantwortung übernehmen müssen. Die Politiker der EU werden wieder lernen müssen, deutlich sichtbar politisches und ökonomisches Kapital in die Außen- und Sicherheitspolitik zu investieren. Der Wettbewerb um Ressourcen, die in europäische Prioritäten wie den Green Deal, die Digitalisierung Europas und die Verbesserung seiner sozialen Sicherheit fließen, ist programmiert. Aber: Auch die strategische Unabhängigkeit und Widerstandskraft, die Steigerung ihrer militärischen Fähigkeiten und der Schutz ihrer Grenzen stehen auf der Prioritätenliste der Europäischen Union.

Es liegt also genug auf dem Tisch, während der Deutschen Ratspräsidentschaft wird vieles von dem angepackt, was noch weit in Europas Zukunft reicht.