EN

Landtagswahl
Riskant, aber erfolgreich: Die SPD gewinnt die Wahl in Brandenburg

Brandenburg Landtag

Landesflagge mit dem roten Brandenburger Adler weht auf dem Dach des Brandenburger Landtags.

© picture alliance/dpa | Michael Bahlo

Die Fakten sind schnell zusammengefasst: Die SPD hat die Landtagswahl in Brandenburg gewonnen und konnte dabei die AfD, der im Vorfeld gelegentlich ein Wahlsieg prognostiziert worden war, knapp überholen. Die CDU verlor an Stimmen, das erst vor kurzem gegründete Bündnis Sahra Wagenknecht verzeichnete ein besseres Ergebnis als die bislang mitregierenden Christdemokraten. Die Grünen verloren massiv und scheiden nicht nur aus der Regierung, sondern auch aus dem Parlament aus. Weder Die Linke, noch die FDP schafften den Einzug in den Landtag.

Es gibt allerdings einige dahinterstehende, interessante Fakten, die eine weitere Betrachtung lohnen:

  • Bei dieser Landtagswahl gab es eine hohe Wahlbeteiligung von 72,9 %. Hiervon profitierten massiv AfD (+79.000 Stimmen) und BSW (+41.000 Stimmen); aber auch die SPD (+51.000) baute ihren Wahlerfolg auf ehemaligen Nichtwählern auf.
  • Die SPD erzielte ihren Wahlerfolg auch aufgrund einer geschickten Wahlkampagne, indem der bisherige Ministerpräsident Dietmar Woidke die Stimmabgabe zugunsten seiner Partei quasi als das einzige Mittel darstellte, einen Wahlsieg der AfD zu verhindern. Dies gelang, ging aber deutlich zulasten der Grünen, der Linken und der CDU, von denen eine hohe Anzahl ehemaliger Wähler diesmal, vermutlich aus genau diesem Grunde, für die Sozialdemokraten stimmten.
  • Die AfD konnte laut Wählerwanderungsanalyse von Infratest dimap, bei dieser Wahl von allen übrigen Parteien massiv hinzugewinnen, mit Ausnahme des BSW (-16.000).
  • Die CDU verlor deutlich mehr Stimmen insgesamt an BSW (-14.000) und AfD (-21.000), als an die SPD (-13.000); der Wahlerfolg der SPD beruhte also nicht vornehmlich auf ehemaligen CDU-Wählerinnen und -Wählern.
  • Die Linke verlor insgesamt knapp 90.800 Zweitstimmen zur Wahl in 2019, davon fast die Hälfte (-44.000) an das BSW.

Auch bei einer Betrachtung der Zusammensetzung der einzelnen Wählergruppen für die Parteien, basierend auf der Wahltagbefragung von Infratest dimap, gab es interessante Auffälligkeiten:

  • Die SPD als Wahlsiegerin schnitt nur bei den Über-60-jährigen (deutlich) stärker ab als die AfD; in allen anderen Altersgruppen lag die AfD vor der SPD.
  • Die Grünen verzeichneten massive Verluste (-21) bei den unter-25-jährigen und konnten diesmal dort nur 6 % binden; die AfD dagegen gewann in dieser Altersgruppe, und dabei insbesondere bei den Männern unter 25 Jahren deutlich hinzu (+15 auf 35 %).
  • Die Linke verlor vor allem in der Altersgruppe der über-60-jährigen, wo dann das BSW sein stärkstes Ergebnis verzeichnete.
  • Die FDP musste die deutlichsten Stimmenverluste bei den Männern unter 25, bei Frauen in der Altersgruppe 35-44 und bei den Selbstständigen hinnehmen.
  • Die AfD erreichte bei denjenigen, die in der Abwägungsfrage die wirtschaftliche Lage als „weniger gut/schlecht“ ansehen, eine fast absolute Mehrheit von 46 %.
  • Deutliche Veränderungen zur vorherigen Wahl gibt es, wenn man nach der Motivation zur Stimmabgabe für die jeweilige Partei fragt, bei der AfD: Im Vergleich der Parteien gab die höchste Zahl (65 %) bei der AfD an, die Partei wegen des Programms gewählt zu haben. Dass sie die AfD aus Überzeugung gewählt hätten, sagten 52 % (+16), während eine Stimmabgabe aus Enttäuschung über andere Parteien nur noch von 42 % (-14) als Motiv angegeben wurde.
  • Bemerkenswert ist auch, dass die Zahl derer, die es begrüßen würden, wenn die AfD in der Regierung wäre, gegenüber der vorherigen Wahl deutlich (+8) auf 38 Punkte angestiegen ist; 59 % (-7) das schlecht.

Der Wahlerfolg der SPD stand auch auf dem Fundament einer breiten Zustimmung einerseits zur Person des Ministerpräsidenten, andererseits einer verbreiteten Zufriedenheit mit der Politik der Landesregierung, und hier speziell der SPD:

  • Vor der Wahl äußerten sich 47 % der Befragten zufrieden mit der Arbeit der Landesregierung; damit lag die Bewertung für die brandenburgische Regierung vor denen der Länder Hessen, Sachsen, Bremen, Thüringen und Berlin und nur knapp hinter einer Bewertung der Landesregierung Nordrhein-Westfalens.
  • Mit der Person Woidke, sowohl generell als Politiker (61%), als auch als Ministerpräsident (65%), äußerte sich eine hohe Zahl von Befragten zufrieden. Er erreichte damit einen Mittelplatz im Ländervergleich, deutlich vor den Ministerpräsidenten Kretschmer, Söder, Ramelow, Wüst, Rhein und Hans vor deren letzten Wahlen.
  • Gleichermaßen ist aber erwähnenswert, dass in der Wahltagbefragung von Infratest dimap 75 % der SPD-Wählerinnen und -Wähler angaben, sie hätten die Partei gewählt, um eine starke AfD zu verhindern, obwohl sie nicht überzeugt von der SPD seien.

Im Vorfeld der Wahlen war viel darüber zu lesen, dass die erwartete starke Position der AfD mit einer starken thematischen Ausrichtung der Wählerinnen und Wähler an den inhaltlichen Schwerpunkten dieser Partei zusammenhängen würde. Nimmt man die Vorwahlbefragung von Infratest dimap, so bestätigt sich diese Vermutung nicht wirklich:

  • Kurz vor der Wahl in Brandenburg nannten 20 % der Befragten das Thema Soziale Sicherheit als ihre Wahlentscheidung bedingend; 19 % nannten das Thema wirtschaftliche Entwicklung, 17 % das Thema Zuwanderung, 12 % das Thema Kriminalität/Innere Sicherheit, ebenfalls 12 % das Thema Bildung, 9 % das Thema Ukraine und Russland und ebenfalls 9 % das Thema Klimaschutz.
  • Im Vergleich zur Befragung in Thüringen und Sachsen vor deren Landtagswahlen gab es in Brandenburg deutlich mehr Schwerpunkt auf Wirtschaft, deutlich weniger Nennung des Themas Kriminalität/Innere Sicherheit und etwa gleich viel Nennung für das Thema Zuwanderung.
  • Differenziert nach Parteianhängern, legten die Wählerinnen und Wähler der SPD Wert vor allem auf die Themen Soziale Sicherheit und wirtschaftliche Entwicklung, während die AfD-Anhänger vor allem das Thema Zuwanderung (mit 41 %!) und Kriminalität/Innere Sicherheit nannten. Die Wählerschaft der CDU stellte vor allem auf das Thema wirtschaftliche Entwicklung ab, die Wählerinnen und Wähler des BSW vor allem auf das Thema Ukraine und Russland (29 %!).
  • Gefragt, welche Partei in der Lage sei, die wichtigsten Aufgaben für Brandenburg zu lösen, nannten die Befragten die SPD mit deutlichem Abstand vor CDU und AfD.

Wichtige Hinweise auf die Faktoren des Wahlausgangs liefert eine Abfrage in der Vorwahlbefragung von Infratest dimap, in der die Befragten die Felder benennen sollten, um die sie sich aktuell Sorgen machten:

  • Die Sorge, dass die Kriminalität künftig massiv zunimmt, nannten 73 % (+15 zur vorherigen Wahl); dieser Wert ist vergleichbar mit den 74 %, die dieses Thema im Bund nennen.
  • Die Sorge, dass der Einfluss des Islam in Deutschland zu stark wird, nannten 70 % (+16) - ein deutlich höherer Wert als bei der gleichen Frage im Bund (61 %).
  • Die Sorge, dass sie ihren Lebensstandard künftig nicht mehr halten können, nannten 48 % (+17); hier kommt man in Brandenburg auf einen zum Bund vergleichbaren Wert (dort 50 %).
  • Die Sorge, dass der Klimawandel unsere Lebensgrundlagen zerstört, teilten in Brandenburg 56 % (-13); der Wert liegt deutlich unter dem Wert, der im Bund ermittelt wurde (68 %).

Zusammenfassend lässt sich sagen:

Der Wahlerfolg der SPD wurde maßgeblich durch starke Zugewinne der Sozialdemokraten von Grünen, Linkspartei und CDU gesichert. Gleichzeitig hatte das von der SPD maßgeblich betriebene Thema der Sozialen Sicherheit eine relativ hohe Bedeutung. Insgesamt konnte die SPD auf einem hohen Maß an Zustimmung sowohl zu ihrem Spitzenkandidaten, wie auch zur Arbeit der SPD in der Landesregierung aufbauen.

Die in vielen Wahlanalysen genannte Unzufriedenheit der Wählerinnen und Wähler in Brandenburg mit der Ampelregierung im Bund hat auf jeden Fall nicht zu einem Stimmenzuwachs für die im Bund oppositionelle CDU geführt, eher im Gegenteil.

Die AfD entwickelt sich, in Brandenburg wie auch in den vorherigen Wahlen in Thüringen und Sachsen, zunehmend zu einer Partei, für die eine hohe Anzahl von Wählerinnen und Wählern sich aufgrund programmatischer Aussagen oder aufgrund von Parteibindung entscheidet.

Die Grünen verloren in Brandenburg an Zustimmung, da ihnen ihre Kernthemen abhandenkommen. So waren in der Vorwahlbefragung von Infratest dimap 68 % (+11 zu 2019) der Auffassung, „Die Grünen übertreiben es mit dem Umwelt-und Klimaschutz“. Und nur noch 46 % (-23) sagten: „Ich finde es gut, dass sich die Grünen für eine offene und tolerante Gesellschaft einsetzen“.

Die FDP erreicht in Brandenburg, sicherlich auch bedingt durch die besonderen Umstände dieser Wahl, nur noch ihren definitiven Wählerstamm.

Die Linke verliert in einem ihrer Stammländer massiv an Zustimmung, sicherlich auch bedingt durch die Abspaltung des BSW, das in hohem Maße unzufriedene und in sehr hohem Maße Personen bindet, für die das Thema Ukraine und Russland von besonderer Bedeutung ist.