Südosteuropa
Rumänien: Orbanisierung statt Europäisierung
Dass Botschafter sich in die inneren Angelegenheiten ihres Gastgeberlandes einmischen, ist eher eine Seltenheit. Wenn zwölf Botschaften verbündeter Staaten gemeinsam eine harsche Erklärung zu einem gesetzgeberischen Prozess abgeben, erregte das daher umso mehr Aufmerksamkeit. So geschehen in Rumänien: Die USA, Deutschland, Frankreich und neun weitere Staaten mahnten die sozialliberale Regierungskoalition, „Veränderungen, die die Rechtsstaatlichkeit und die Fähigkeit Rumäniens zur Bekämpfung von Kriminalität und Korruption schwächen würden, zu vermeiden“.
Die ungewöhnlich heftige Reaktion bezieht sich auf den seit 2017 andauernden Kampf um eine Reform der Justiz, der mit einer Eilverordnung und Massenprotesten begann. Im Zentrum der Kritik steht der Vorwurf, die regierende Parlamentsmehrheit versuche das Strafrecht so abzuändern, dass neben anderen Änderungen auch Amtsmissbrauch weitgehend entkriminalisiert wird. Größter Nutznießer dieser Änderung wäre der wegen Amtsmissbrauch in erster Instanz verurteilte Chef der Sozialdemokraten, Liviu Dragnea.
Alles für einen
In dem von den Botschaften (Belgien, Kanada, Dänemark, der Schweiz, Finnland, Frankreich, Deutschland, Luxemburg, Niederlande, Norwegen, Schweden und den Vereinigten Staaten) am vergangenen Donnerstag veröffentlichten Pressekommuniqué wird die Sorge geäußert, dass einige Änderungen die internationale Zusammenarbeit bei der Verbrechensbekämpfung behindern würden. Rumänien solle seine Bemühungen lieber auf eine weitere Konsolidierung der erzielten Fortschritte konzentrieren, keine Rückschritte unternehmen und die Unabhängigkeit von Richtern und Staatsanwälten wahren.
Allerdings zeigte das Statement wenig Wirkung bei den Sozialdemokraten. Am Montag billigte der eigens für die Justizreform ins Leben gerufene Parlamentsausschuss die Änderungen, welche am Dienstag vom Senat – gegen den Widerstand der Opposition – verabschiedet wurden. Bis Ende der Woche wird auch die Absegnung von der entscheidenden Kammer, dem Abgeordnetenhaus, erwartet.
Dadurch könnte Parteichef Liviu Dragnea, gleichzeitig Vorsitzender der Abgeordnetenkammer, vom Vorwurf des Amtsmissbrauchs freigesprochen werden. Als Kreisratsvorsitzender des Kreises Teleorman hatte er seinerzeit angeordnet, weitere Personen beim Kinderschutzamt anzustellen – faktisch waren sie für seine Partei tätig. Wegen Anstiftung zum Amtsmissbrauch wurde er Mitte Juni zu drei Jahren und sechs Monaten Haft ohne Bewährung verurteilt. Nach der geplanten Gesetzesänderung kann einem Amtsträger nur dann ein Verbrechen zur Last gelegt werden, wenn er sich weigert, seine Pflichten zu erfüllen, oder gegen ein Gesetz, eine Regierungsverordnung oder eine Notverordnung verstößt, um materielle Vorteile für sich oder für Verwandte bis zum zweiten Grad zu erhalten. In Dragneas Fall war der Nutznießer die Partei und er würde trotz klarem Missbrauch seiner Stellung im Berufungsverfahren freigesprochen werden müssen.
Das relativ harte Urteil gegen Dragnea wurde mit seiner Vorstrafe wegen Wahlfälschung begründet. Diese Bewährungsstrafe hat ihn 2016 das Amt des Premierministers gekostet, das er nun über Handlanger besetzen musste. Die Biografie Dragneas wird mit seiner jüngsten Anklage in einem Fall von Veruntreuung von EU-Geldern abgerundet.
Indes ruft die Zivilgesellschaft wieder zu Protesten auf. Tausende demonstrieren täglich in Bukarest und anderen Städten Rumäniens. In der Heimatstadt des Präsidenten Klaus Johannis, Hermannstadt, erreichte der stumme Protest der Bewegung „Wir sehen Euch“ vor dem Sitz der PSD schon Tag 190. Gefordert wird vor allem der Rücktritt von Dragnea als Vorsitzender der Abgeordnetenkammer und die Wahrung der Unabhängigkeit der Justiz. Auch dem Koalitionspartner ALDE Rumänien scheint das Vorgehen Dragneas zu viel geworden zu sein. Über ihren Justizminister Tudorel Toader und den Parteivorsitzenden Calin Popescu Tariceanu wurde der Plan vereitelt, die Gesetzesänderungen wieder per Eilverordnung der Regierung, also ohne Parlamentsdebatte, umzusetzen. Dennoch stimmte die ALDE im Senat später für die Änderungen.
Justiz ohne Waffen
Es ist indes parteiübergreifend und in der Zivilgesellschaft unumstritten, dass Rumäniens Straf- und Justizgesetzgebung weitgehender Reformen bedarf. Allerdings warnen Experten, dass die Änderungen, so wie sie von der Koalitionsmehrheit durchgeboxt werden, verheerende Folgen haben können. Laut einem Kommuniqué der Antikorruptionsbehörde DNA werden durch die Abänderungen 217 laufende Gerichtsverfahren und die Mehrzahl der Untersuchungsverfahren eingestellt; 4.700 Fälle sind es laut der Behörde zur Bekämpfung von Kriminalität DIICOT. Unter den Nutznießern sind viele ehemalige Minister und Bürgermeister der PSD. Die Zukunft des Antikorruptionskampfes fasste der rumänische Investigationsjournalist Ovidiu Vanghele unlängst bildlich zusammen: „Den Staatsanwälten werden alle Instrumente genommen. Es ist, als ob ihnen die Rüstung abgenommen wird und sie sich ab nun nackt vor den Verbrechern präsentieren müssen.“
Die geschürte Angst vor den anderen
Der persönliche Überlebenskampf von Liviu Dragnea führt das Land auf einen gefährlichen Kurs. Genutzt wird dabei die gesamte Palette der populistischen Rhetorik, die man sich unter anderem in den Visegrád-Ländern oder anderen Meistern des Fachs abgeschaut hat. Brüssel wird nach Orban-Modell dämonisiert, man spricht à la Trump vom Parallelstaat, der von den Geheimdiensten kontrolliert wird und organisiert eine Großdemonstration, um diese Theorien gegenüber der eigenen Wählerschaft zu legitimieren. Dem rumänischen Staatspräsidenten wird mit dem Amtsenthebungsverfahren gedroht, sollte er die vom Parlament verabschiedeten Gesetze nicht billigen wollen.
Während die Entwicklungen von der Venedigkommission und der Europäischen Kommission kritisch betrachtet werden, versucht die rumänische Regierung die Kritik am eigenen Handeln als gesteuerte Attacken und Propaganda zu verkaufen. Sogar die NATO und die Europäische Union sollen laut Dragnea den Parallelstaat gefördert und finanziert haben, anstatt die Demokratie zu stärken. Der Mechanismus zur Kontrolle und Verifikation (CVM), der Rumäniens Fortschritte in den Bereichen Rechtsstaatlichkeit und Korruptionsbekämpfung misst, wird als unfaires politisches Druckmittel dargestellt, das nur aufzeigt, was Brüssel genehm ist. Premierministerin Viorica Dancila warf der Kommission außerdem vor, sie habe sich direkt in laufende Ermittlungsverfahren eingemischt und forderte eine Erklärung aus Brüssel. Diese ließ auch nicht lange auf sich warten: Kommissionspräsident Juncker erinnerte daran, dass es keine Einmischung gegeben hätte, sondern die rumänischen Behörden in der Vorbereitung einer Mission im Rahmen des CVM unterstützt wurden.
All dies blieb auch außenpolitisch nicht ohne Folgen. Erstmalig zählte vergangene Woche der französische Außenminister Jean-Yves Le Drian Rumänien – neben Polen und Ungarn – zu den illiberalen Demokratien Europas, welche die Grundwerte der EU infrage stellen. In einer Anhörung vor dem französischen Parlament sagte er: „Seit ihrer Machtübernahme hat die PSD-ALDE-Koalition nicht aufgehört, gerichtliche Verfahren gegen die politische Klasse anzufechten oder zu behindern. Letzte Woche wurde der Sprecher des Parlaments und Vorsitzender der PSD, Herr Dragnea, wegen Dienstmissbrauch zu dreieinhalb Jahren Gefängnis verurteilt. Eine weitere verunsichernde Entwicklung ist die Entlassung von Laura Codruta Kövesi, der Leiterin der DNA. Präsident Johannis wird vom Verfassungsgericht gezwungen, sie vor dem Ende ihrer Amtszeit zu entlassen, da der Präsident die von Herrn Dragnea initiierte Linie völlig ablehnte.“
Seit 2017 steuert das eigentlich so proeuropäischen Rumänien einer Zäsur entgegen. Um sich und seine Getreuen zu schützen, begibt sich die Regierungskoalition unter Dragneas Führung zunehmend auf den Kurs der Visegrád-Staaten, der Rumänien in eine tiefe innere, aber auch internationale politische Krise stürzen kann. Im Januar 2019 wird das Land zum ersten Mal die EU-Ratspräsidentschaft übernehmen. Der Brexit wird Realität sein und Europa wird sich weiterhin in einer tiefen Sinnkrise befinden. Neben der Migrationsfrage, dem zunehmend Infragestellen der europäischen Werte durch mehr und mehr Mitgliedsstaaten und der nicht ausgestandenen griechischen Misere ist es auch die Frage nach der Zukunft der Union post-Brexit, die es zu klären gilt. Als junger Mitgliedsstaat könnte Rumänien hier ein Zeichen setzen, dafür bedarf es jedoch einem klaren Bekenntnis zu Europa und der Rechtsstaatlichkeit, nicht die antieuropäische und von Verschwörungstheorien gespickte Rhetorik, die wir derzeit zu hören bekommen.
Daniel Kaddik ist Projektleiter der Stiftung für Südosteuropa
Raimar Wagner ist Projektkoordinator der Stiftung für Rumänien und Moldau