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Jahrestag
Sängerin und Rebellin für die Freiheit – Zum 80. Geburtstag von Marta Kubišová

Marta Kubisova

Eine Pressekonferenz anlässlich des 80. Geburtstags der Sängerin Marta Kubisova fand im Lucerna-Kino in Prag, Tschechische Republik, statt

© picture alliance/dpa/CTK | Katerina Sulova

Eher durch Zufall wurde Kubišovás musikalisches Talent entdeckt und nach kleineren Auftritten schaffte sie es schon 1961 in das Finale der Fernsehshow Wir suchen neue Sänger (Hledáme nové zpěváky). Die große Karriere begann. 1965 landete sie mit dem Song Loudá se půlměsíc ihren ersten Hit und im Jahr darauf gewann sie in der populärsten Musikshow der Zeit Zlatý slavík (Die Goldene Nachtigall) als beste Sängerin (bester Sänger wurde Karel Gott, dessen Wege die ihren noch häufiger kreuzen sollten).

1968 konnte man sie im Fernsehen in dem Kurzfilm Náhrdelnik melancholie (Perlenkette der Melancholie) bewundern, eine psychedelische Musikpräsentation, gedreht von Regisseur Jan Němec, den Kubišová im nächsten Jahr heiratete (und von dem sie sich nach dessen Flucht in den Westen 1974 wieder trennte. Der Film entsprach in keiner Weise den Konventionen des Sozialistischen Realismus. Der Prager Frühling erlebte damals seinen Höhepunkt und man traute sich, immer nonkonformer aufzutreten. So auch bei den Liedern. Schon von Anfang an legte Kubišová eine Vorliebe für tschechische Versionen anglo-amerikanischer Songs an den Tag.

Ihr Hit S Nebývalou Ochotou von 1966 war zum Beispiel ein Cover des Liedes Walking Back to Happiness der britischen Sängerin Helen Shapiro. Aber diesen milden Nonkormismus pflegten die meisten tschechoslowakischen Schlagerstars damals keineswegs selten. Doch 1968 war Schlager passé. Es kamen Cover von Protestsongs auf, aber auch neue Songs wie Cesta (Weg), ein tiefgründiges Lied voller Sehnsucht nach Freiheit.

Das Ende des Prager Frühlings: Protest

Diese Freiheit war ihr zu wertvoll, als dass sie sie hätte kampflos wieder opfern wollen, als die Truppen des Warschauer Pakts den Prager Frühling niederschlugen. Kubišová machte aus ihrer Wut keinen Hehl. Und für die Demonstranten wurde ihr gerade aufgenommenes Lied Modlitba pro Martu (Gebet für Marta) die meistgesungene Hymne des Protests. Das Lied war eine Klage, dass man die Herrschaft über die Dinge verloren habe und sich den Frieden wünsche. Ein unverhülltes politisches Statement.

Ihrer Karriere schadete das zunächst kaum. Es begann sogar eine Erfolgssträhne, als sie Ende 1968 mit den Gesangsstars Václav Neckář und Helena Vondráčková das Terzett Golden Kids gründete und etliche Hits landete. Einige davon konnten sogar ein gewisses Maß an Protest andeuten, etwas das Lied Časy se mění, ein Cover von Bob Dylans Song The Times They Are a-Changin'. Noch hatte sich das Regime der „Normalisierung“ (wie die Kommunisten die Rückkehr zur moskautreuen Linie nannten) nicht voll etabliert. Doch 1970 war Schluss. Es zirkulierten plötzlich pornographische Aufnahmen von Kubišová – plumpe Fälschungen der Staatssicherheit, um sie zu diffamieren. Als 1970 das Fernsehpublikum Kubišová trotzdem die Goldene Nachtigall zuerkannte, manipulierte man das Ergebnis so, dass am Ende Karel Gott den Preis gewann. Kurz danach folgte ein Auftrittsverbot. Sie wurde aus dem öffentlichen Leben verbannt. Die Golden Kids lösten sich deshalb auf – ihre beiden Partner setzten sich vergebens für sie ein. Mit Tipparbeiten und Tütenkleben hielt sich die inzwischen geschiedene Mutter mühsam über Wasser.

Dissidentin bei Charta 77

Als Ende 1976 ein Konzert der Psychedelic-Rockgruppe Plastic People of the Universe von der Polizei gesprengt und die Mitglieder verhaftet wurden, gründete eine Gruppe Intellektueller um den Schriftsteller Václav Havel aus Protest gegen die zunehmende Gängelung die Charta 77. Deren Manifest gelangte schnell in die Weltpresse und bildete den Anfang der Erstarkung der Dissidentenbewegung in der Tschechoslowakei. Kubišová war Erstunterzeichnerin des Dokuments und gehörte zu den drei Sprechern der Gruppe. Die Repressalien – immer wieder Verhöre – nahmen zu. Sie selbst konnte nur noch bei kleinen illegalen Untergrundkonzerten auftreten. Immerhin gelang es ihr 1978, heimlich einige neue Songs aufzunehmen, deren Aufnahmetonbänder nach Schweden geschmuggelt wurden, wo sie dann auf Schallplatte erschienen. Aufgeben war nie ihre Sache.

Als sie sich als Leadsängerin der inzwischen freigelassenen Plastic People bewarb, wurde ihr das explizit verboten. Kaufen ließ sie sich jedoch nicht. Ende Januar 1977 lancierten die regierenden Kommunisten eine sogenannte Anti-Charta, die der Charta 77 propagandistisch entgegenwirken sollte. Mit zum Teil erheblichen Druck (wer nicht unterzeichnete, musste zumindest mit Berufsverbot rechnen) wurden rund 2000 bekannte Künstler dazu gebracht, dieses Dokument zu unterschreiben, das die Charta – die eigentlich niemand von ihnen hätte lesen dürfen – als volksfeindlich verdammte. Der erste, der bei der feierlichen Zeremonie im Nationaltheater auf der Bühne unterschrieb, war (wohl in Wirklichkeit widerwillig und später bereuend) kein Geringerer als Karel Gott. Er rettete damit seine Karriere. Das verdarb für eine Weile sein Verhältnis zur standfesten Kubišová, mit der er früher sogar gemeinsam Duette gesungen hatte.

Mit bei der Samtenen Revolution

Kein Wunder, dass sie 1989 an vorderster Front bei der Samtenen Revolution mitwirkte. Als am 21. November 1989 Václav Havel von einem Balkon erstmals vor hunderttausenden Demonstranten sprach, gab sie anschließend ihre Hymne Modlitba pro Martu zum besten – und die Menschen bejubelten ihre Freiheitsheldin und sangen mit. Bei den ersten freien Parlamentswahlen 1990 kandidierte sie für das vereinte Oppositionsbündnis Občanské fórum (Bürgerforum), das die Wahlen haushoch gewann und nun den Weg zur vollständigen Beseitigung des kommunistischen Regimes und die Transformation zur Demokratie durchsetzte.

Gefeierte Rebellin

Das Mandat gab sie kurz darauf auf – die Berufspolitik lag ihr wohl nicht so recht - aber für Menschenrechte trat sie weiter kompromisslos ein. Besonders das Repessionsregime in China und die Verfolgung von Falun Gong empörte sie. Wellen schlug das von ihr organisierte große Konzert Svědomí nelze koupit (Das Gewissen ist nicht käuflich) im Jahre 2014, zu dem sie viele Künstlerkollegen gewinnen konnte, und das von Václav Havels Stiftung Vize 97 (Vision 97) unterstützt wurde und in dem die Menschenrechtsverletzungen in China angeprangert wurden. Auch sonst gab sie immer wieder Benefiz-Konzerte, deren Erlöse Menschenrechtsvereinen zu Gute kamen.

Am 1. November wird Marta Kubišová 80 Jahre alt. Seit Monaten gibt es im ganzen Land Konzerte zu ihren Ehren. An einigen Orten mussten wegen der Nachfrage zusätzliche Konzerttermine anberaumt werden. In Prag lief den Sommer über ein Rezital über sie und am 3. November werden im berühmten Prager Lucerna Palast etliche Gesangsstars ein Festkonzert Konzert pro Martu (Konzert für Marat) geben, das landesweit vom Fernsehen übertragen wird. Kubišová ist eben immer mehr als eine große Künstlerin gewesen. Sie war immer die Rebellin, die jederzeit bereit war, für die Freiheit ihrer Mitmenschen den Kopf hinzuhalten. Dafür lieben die Tschechen sie.

Eine kurze Fassung dieses Artikel erschien in Tschechien im LandesEcho. Zeitschrift der Deutschen in der Tschechischen Republik, Nr.10/2022