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Parlamentswahl
Syrien vor der Wahl – Risse im Machtgefüge?

Parlamentswahl Syrien
© picture alliance / AP Photo | Uncredited

Syrien bereitet sich auf die Parlamentswahlen vor, die am 19. Juli stattfinden werden. Ein wesentliches Kriterium für die Bewertung der Wahl wird die Wahlbeteiligung sein. Sollte sie deutlich unter den in der letzten Wahl vom April 2016 erreichten 57 Prozent liegen, wäre dies ein deutlicher Dämpfer für das Regime. Wichtig ist, dass der Westen die Wahlen geschlossen als undemokratisch einstuft, um die Legitimität des Wahlprozesses von vornherein auszuschließen.

Aufgrund der Corona-Pandemie wurde die Wahl bereits zweimal verschoben und ist nach 2012 und 2016 der dritte Urnengang seit Ausbruch des Bürgerkrieges 2011. Damaskus ist fest entschlossen, sie diesmal durchzuführen. Schließlich ähneln die Wahlen zum Volksrat eher einem Rekrutierungsprozess für das Regime Assad, als einer wirklichen Wahl. 2.100 Kandidaten und Kandidatinnen bewerben sich in 15 Wahlbezirken um die insgesamt 250 Sitze im Volksrat von Syrien. Wirklich unabhängige Kandidaten sucht man vergeblich. Der von der UNO geführte Friedensprozess zur Umsetzung der Resolution 2254 des Sicherheitsrates, der eine Verfassungsreform und UN-überwachte Parlaments- und Präsidentschaftswahlen vorsieht, wird vom syrischen Regime und seinen Unterstützern Russland und China torpediert. Das Ergebnis wird deshalb auch nicht sehr anders ausfallen als bei der letzten Wahl. Die regierende Baath-Partei wird auch weiterhin Politik und Gesellschaft des Landes dominieren und die Blockparteien der „Nationalen Progressiven Front“ werden die Machenschaften des Regimes mittragen. Deshalb ist es nicht überraschend, dass die Parlamentswahlen kaum Aufmerksamkeit erregen. Die syrische Bevölkerung hat andere Sorgen und die Wahlen betreffen sie nur in dem Maße, wie das Regime sie zwingt, sich daran zu beteiligen. Selbst in regimetreuen Zeitungen muss man sich durch diverse Unterseiten vorarbeiten, um überhaupt über die anstehenden Wahlen informiert zu bleiben.  

Worum es der Baath-Partei in den Wahlen geht

Daher sind die Ergebnisse dieser Wahl weniger interessant als der eigentliche Prozess und die Frage, welche Persönlichkeiten im zukünftigen Parlament sitzen werden. Denn während der Aufstand von 2011 das Regime in mehreren Provinzen grundlegend herausforderte, sind die jetzigen Wahlen entscheidend, um zu verstehen, wie das Regime versucht, seine soziale Basis zu erneuern. Die Entscheidungen der regierenden Baath-Partei im Vorfeld der Wahlen haben dabei vier Trends aufgezeigt: Die Baath-Führung ist bestrebt, die staatlichen Institutionen wiederherzustellen und Normalität zu suggerieren; die Partei versucht aufgrund der Wirtschafts- und Finanzkrise, neue Themen in den Vordergrund des Wahlkampfes zu rücken; sie versucht, neue Persönlichkeiten zu positionieren, die im Bürgerkrieg loyal gekämpft haben oder solche, die noch nicht von der Sanktionspolitik des Westens betroffen sind; und die Wahl soll dazu dienen, einen neuen Premierminister einzusetzen, der für seine harte Hand und gute Kontakte in die Provinzen bekannt ist.

Was jetzt anders ist als in den letzten Wahlen

Die letzte Wahl der 250 Abgeordneten des Volksrates fand im April 2016 in einem tief gespaltenen Land und zu einer Zeit statt, als die Regimekräfte noch schwach waren und weniger als 40% des Territoriums kontrollierten - heute sind es, auch wegen der russischen Unterstützung, etwa 65%. Bei der anstehenden Wahl wird im gesamten Land gewählt, also auch in den Gebieten, die noch nicht vollständig unter der Kontrolle des Regimes stehen. Zwar gibt es in Idlib und AL-Raqqa keine offiziellen Wahlzentren. Die Bürgerinnen und Bürger dieser Gebiete können in anderen Wahlbezirken wählen, ihre Stimmen gelten dann für die Provinzen Idlib beziehungsweise AL-Raqqa. Auch in den Kurdengebieten, in AL-Hasaka und im mittleren Euphrat-Tal, finden diesmal Wahlen statt. Das soll zeigen, dass das Regime wieder fest im Sattel sitzt und die Kontrolle über den gesamten Staat zurückerlangt hat.

Ein interessanter Unterschied zu den vergangenen Wahlen lässt sich auch in der Rhetorik des Regimes erkennen. In den vergangenen Jahren wiederholte die Baath-Partei immer die gleichen Slogans. Sie versprach, dem Terrorismus entschlossen entgegenzutreten und den Widerstand zu stärken und natürlich die „tapfere“ syrisch-arabische Armee zu unterstützen. Doch jetzt finden die Wahlen vor dem Hintergrund der schwersten Wirtschafts- und Finanzkrise während der Herrschaft von Bashar al-Assad statt. Die Gründe dafür sind vielfältig: Die nach Jahren des Krieges marode syrische Wirtschaft, grassierende Korruption, fehlende Investitionen aus dem Ausland sowie die Wirtschaftskrise im Nachbarland Libanon, über das syrische Privatleute und Firmen traditionell internationale Geschäfte abwickeln.  Hinzukommen die Sanktionen des Westens und der im Juni eingeführte Ceasar Act, der Finanzsanktionen gegen 320 regimetreue Personen sowie sektorale Sanktionen in vier für die syrische Wirtschaft wichtigen Bereichen verhängt. In diesem Jahr wählt das Regime daher bewusst einen anderen Ansatz und betont, dass der Volksrat in erster Linie der Befriedigung der Bedürfnisse der Bürger und der Verbesserung ihrer Lebens- und Wirtschaftslage Priorität einräumen werde.

Neue Gesichter für das Regime

Die schlechte Wirtschaftslage des Landes hat zudem Auswirkungen auf die Liste der Kandidaten für die Wahl. In der FAZ hat Christoph Erhardt kürzlich die Lage innerhalb des Parteienapparats so beschrieben: „Auch im Kartell an der Staatsspitze rumort es. Die Rudelführer des syrischen Raubtierkapitalismus finden kaum noch Fett, in das sie ihre Zähne schlagen können. Also beißen sie einander ins Fleisch.“ Symptomatisch für diesen Kampf ist die Personalie von Rami Makhlouf. Der Cousin und Schulfreund von Bashar al-Assad ist einer der reichsten Geschäftsleute in Syrien. Doch jetzt ist auch er in Ungnade gefallen und große Teile der Vermögenswerte der von Makhlouf kontrollierten Unternehmen wurden kurzerhand an die Präsidentengattin Asmar al-Assad übertragen. Über die Gründe für die Entmachtung von Makhlouf wird viel spekuliert, eines ist jedoch klar: In der gegenwärtigen heiklen wirtschaftlichen Lage ist auch der engere Familienkreis nicht mehr sicher. Es ist deshalb auch nicht verwunderlich, dass das Regime bei der Parlamentswahl neue Gesichter aufstellen will. Bei der letzten Wahl hatte sich die Struktur der Abgeordneten bereits verändert. Eine Studie des Europäische Hochschulinstituts in Florenz kam zum Schluss, dass seit 2016 bei den Volksvertretern neue soziale Kategorien, wie Milizenführer und Familien von Märtyrern, entstanden sind. Es ist zu erwarten, dass dieser Trend bei den kommenden Wahlen anhalten wird.

Nach der Parlamentswahl wird zudem ein neuer Premierminister ernannt werden müssen. Präsident Baschar al-Assad hatte im vergangenen Monat Premierminister Imad Khamis seines Amtes enthoben und ihn durch den Minister für Wasserwirtschaft, Hussein Arnous, ersetzt, dessen Ernennung jedoch nur eine Übergangslösung ist. Als Favorit auf den Premierministerposten gilt der ehemalige Gouverneur von Homs, Talal Barazi. Dieser ist im Bürgerkrieg vor allem durch seine harte Hand gegen die Aufständischen bekannt geworden. Die Berufung von Barazi wäre deshalb ein Signal, dass das syrische Regime weiterhin hart gegen jegliche Formen des Widerstands vorgehen wird. Zudem würde die Ernennung von Barazi die Verbindungen des Regimes in die Provinzen stärken, da er dort gute Kontakte pflegt.

Die Wahl wird keine Überraschungen bringen, interessant wird sie trotzdem. Welche Kandidaten werden im neuen Parlament vertreten sein und schafft es das Regime wirklich, die Wahlen im ganzen Land abzuhalten? Wichtig ist, dass der Westen die Wahlen geschlossen als undemokratisch einstuft. Russland hat die Propagandamaschine bereits angeworfen und wird mit allen Mitteln versuchen, die Wahl zu legitimieren. In einigen Mitgliedsstaaten der Europäischen Union gab es bereits Stimmen, die zu einer Normalisierung der Beziehungen mit Syrien aufrufen oder Wiederaufbauhilfe ohne echte Vorbedingungen fordern. Deutschland muss da klar dagegenhalten und jegliche Tendenzen, die untern den heutigen Bedingungen zu einer Normalisierung der Beziehungen zum Assad-Regime führen könnten, im Keim ersticken.