125. Geburtstag von Thomas Dehler
Thomas Dehler: „Recht hat wenig Sinn, wenn es die Freiheit nicht schützt“
Ein „Fundamentalist des Rechts und des Rechtsstaats“ sowie ein Vorbild für die Gesellschafts- und Bürgerrechtspolitik sei Thomas Dehler, so Bundesjustizminister Marco Buschmann über den vor 125 Jahren im fränkischen Lichtenfels geborenen Politiker und Juristen. Mit Sicherheit gehört Dehler zu den großen und prägenden Persönlichkeiten der frühen Bundesrepublik – als Parlamentarier im Bundestag von 1949 bis zu seinem Tod 1967 als Fraktions- und Bundesvorsitzender der FDP und erst recht als Bundesjustizminister im Gründungsjahrzehnt der wieder neu zu etablierenden Demokratie.
Dehlers Werdegang vom Kaiserreich zur Bundesrepublik lief auf eine politische Karriere zu: Als gerade Achtzehnjähriger im Ersten Weltkrieg einberufen, orientierte sich der junge Soldat zwar ganz selbstverständlich patriotisch, er war aber zugleich erschüttert über das Ausmaß der Rechtsverletzungen in der Kriegführung seines Landes. Als Jurastudent erlebte er dann nach Krieg und Revolution unmittelbar die dramatischen, gewalttätigen Geschehnisse der Münchner Räterepublik. Dies führte ihn in die Politik hinein, und so engagierte er sich nach 1919 in der Deutschen Demokratischen Partei (DDP), mithin im Linksliberalismus der Weimarer Republik.
Mit Beginn der nationalsozialistischen Zeit wurde die Aussicht auf eine politische Laufbahn allerdings jäh unterbrochen: Dehler diente sich dem neuen Zeitgeist nicht an und trotzte den Repressionen. Er blieb an der Seite seiner jüdischen Ehefrau, verteidigte als Anwalt jüdische Mitbürger und gehörte schließlich seit Mitte der Dreißigerjahre der liberalen Widerstandsgruppe um Hans Robinsohn und Ernst Strassmann an.
Erneuerung von Rechtsstaat und Justiz
Nach 1945 unterstützte Dehler in Bayern die Wiedererrichtung des Rechtsstaates ebenso wie die Wiederbegründung des organisierten Liberalismus. Im Parlamentarischen Rat, dem er in mehreren Ausschüssen angehörte, besaß er großen Anteil an der Ausformulierung der neuen Verfassung; insbesondere auch verhandelte er über die Entwürfe des Grundgesetzes mit den Alliierten. Im Redaktionsausschuss kam ihm am Ende nochmals entscheidende Bedeutung zu. Die Krönung folgte nach der Bundestagswahl 1949: Als erster Bundesjustizminister der jungen Demokratie konnte Dehler die Erneuerung von Rechtsstaat und Justiz wesentlich mitgestalten: „Die Aufgabe des wahren Rechtes ist“, fasste er später seine Vorstellung humanitärer Gesellschaftsordnung zusammen, „dem Menschen die Freiheit zu geben, er selbst sein zu können“.
Als Thomas Dehler 1967 – inzwischen Vizepräsident des Bundestages – im Alter von 69 Jahren überraschend einem Herzschlag erlag, hob der Herausgeber des „Spiegel“, Rudolf Augstein, im Nachruf hervor, Dehler würde herausragende, „seltene Tugenden“ repräsentieren: „Den Mut des Geradeheraussagens, franken Bürgersinn, moralische Empfindlichkeit, Unabhängigkeit und die stets wache Bereitschaft, neu zu denken.“ Und in der Tat, taktische Vorsicht, Sanftmut und diplomatische Rücksicht gegenüber Freund und Feind gehörten eher weniger zu seinen Eigenschaften, vielmehr kosteten die erwähnten „Tugenden“ den standhaften Partei- und Fraktionsvorsitzenden manchmal die Ämter, 1953 etwa sein Ministeramt, das ihm einflussreiche „Parteifreunde“ streitig machten. Allerdings schätzte eine Mehrheit der Freien Demokraten den Justizminister a.D. gerade für seine deutlichen Worte und die Fähigkeit, der Partei ein schärferes Profil zu verleihen. So wurde Dehler 1954 zum Parteivorsitzenden gewählt und sicherte Dehler der FDP in den 50er-Jahren das politische Überleben und der Bundesrepublik damit das Mehrparteien-System.
„Eine außergewöhnliche Persönlichkeit“
Mit seiner unorthodoxen Art zu denken, auch im außenpolitischen Bereich, wurde er zudem mindestens indirekt zum Wegbereiter der neuen Ostpolitik. Legendär ist bis heute seine Bundestagsrede im Januar 1958, eine Generalabrechnung mit der Deutschlandpolitik des ehemaligen Koalitionspartners und Bundeskanzlers Konrad Adenauer. Dieser habe zwar, so warf ihm Dehler in der Hitze der nächtlichen Debatte vor, mit der Westbindung ein wichtiges Fundament für den Aufbau der Bundesrepublik gelegt, darüber aber das andere (Ost-)Deutschland vergessen und die Wiedervereinigung geopfert. Und wenige Tage vor seinem Tod sprach er sich bezeichnenderweise für Walter Scheel als neuen FDP-Vorsitzenden aus, der dann jene neue und erfolgreiche Ost- und Entspannungspolitik in die Wege leiten sollte.
Hans Dietrich Genscher, einer seiner Nachfolger als Vorsitzender der Freien Demokraten, erinnerte sich später an seinen politischen Ziehvater: „Thomas Dehler war eine außergewöhnliche Persönlichkeit: klug, gebildet, sehr einfühlsam. Und dann der Feuerkopf, der Mann, der auch mit seinen Bemerkungen tief verletzen konnte. […] Er war das rechtsstaatliche Gewissen dieser Partei. Und er war der, der mit Leidenschaft um die Einheit Deutschlands rang. Und deshalb gehört er für mich zu den ganz Großen in der Parteigeschichte der FDP.“