Tunesien und der Frust der Gründer-Community
Die junge tunesische Start-up-Szene spiegelt symptomatisch die weit verbreiteten Widersprüche des kleinen Landes wider: Das Erfolgspotential ist zweifelsfrei enorm, die Ausbeute – bislang – gering. Und die größten Widersacher sitzen im Inneren. Während exakte Zahlen zur Gründerszene fehlen, gilt eine Größenordnung von 300 bis 400 Start-ups als plausibel. Nicht nur die Hauptstadt Tunis, sondern auch die urbanen Ballungsräume und Universitätsstädte Sousse und Sfax sind wichtige Unternehmensstandorte.
Post-revolutionäre Gründer: politisch frei, wirtschaftlich unfrei
Tunesien ist heute die einzige politische Erfolgsgeschichte, die aus den arabischen Umbrüchen der letzten Jahre hervorgegangen ist. Wo andernorts Instabilität, Gewalt und Chaos herrschen, haben die Tunesier ihr Land nicht nur vor dem Verfall bewahrt, sondern gegen den regionalen Trend sogar beachtliche politische und zivilgesellschaftliche Freiräume errungen. Den politischen Erfolgen zum Trotz warten die Tunesier bislang vergeblich auf die dringend ersehnte „Demokratie-Rendite“, kein Wunder angesichts der bislang mutlosen wirtschaftlichen und administrativen Reformbemühungen.
Von den 190 Ländern des Doing Business Index der Weltbank liegt Tunesien im Mittelfeld an 88. Stelle. Für die krisengebeutelte arabische Welt – welche die Tunesier selbst aber nur selten und ungern als Maßstab zulassen – mag das ein leicht überdurchschnittlicher Rang sein. Als Fundament für eine Erfolgsgeschichte taugt es sicherlich nicht. Mit Erfahrungswerten von bis zu einem Monat für Firmenregistrierungen weist Tunesien in der Kategorie „Starting a business“ (Rang 100/190) einen negativen Ausreißer auf, welcher in der Kategorie „Steuern“ mit einem miserablen 140. Platz noch getoppt wird.
Dass die tunesische Start-up-Szene dennoch zunehmend positive Schlagzeilen produziert, verdankt das Land somit nicht einer weitsichtigen Wirtschaftspolitik, sondern vor allem dem ausgeprägten Talent einer gut ausgebildeten, modernen urbanen Mittelschicht sowie dem substanziellen Engagement internationaler Partner. So stellt die junge Bildungselite des geographisch und seit Generationen auch politisch und gesellschaftlich Europa zugewandten Landes ein unternehmerisches Potential dar, das bei günstigeren Rahmenbedingungen in der Lage wäre, Tunesien zu einem führenden Zentrum für Start-ups in der frankophonen und arabischsprachigen Welt zu machen.
Das Gift der Bürokratie
Die Suche nach den größten Hindernissen für die tunesische Gründerszene führt unweigerlich zu den folgenden drei Faktoren:
1. Bremse Währungspolitik
Die nationale Währung, der Tunesische Dinar, ist nicht frei konvertierbar und darf weder ein- noch ausgeführt werden. Auch die Ausfuhr von ausländischen Devisen unterliegt strengen Regeln und wird von einer oftmals als willkürlich kritisierten Bürokratie, beispielsweise bei der Zentralbank, in der Praxis ad absurdum geführt. Die enormen Hürden für tunesische Unternehmer, die online Zahlungen vornehmen wollen oder deren Geschäftsmodel auf Online-Zahlungen beruht, benachteiligt sie gegenüber der internationalen Konkurrenz.
2. Dysfunktionale Bürokratie und veralteter Rechtsrahmen
Jenseits der spezifischen Probleme mit der Zentralbank gilt der Frust der Gründer-Community allgemein der als notorisch ineffizient geltenden tunesischen Bürokratie und ihrer oftmals absurden Abläufe. Tunesiens Gründer fordern mit Nachdruck die Ausarbeitung eines Start-up-Gesetzes, welches nicht nur unsinnige bürokratischen Hürden abbaut, sondern darüber hinausgehend positive Anreize für unternehmerisches Engagement schafft. Ein wichtiger Aspekt ist hierbei die Modernisierung des Konkursrechts, um nach dem etwaigen Scheitern eines Unternehmens einen schnellen Neuanfang zu ermöglichen.
3. Mangelnde Mobilität
Nicht nur bezüglich des Kapitalverkehrs, sondern auch hinsichtlich der Freizügigkeit gegenüber ausländischen Fachkräften wird mangelnde Bereitschaft zur Mobilität kritisiert. Ob Silicon Valley oder Berlin, der Erfolg dieser Standorte ist kaum vorstellbar ohne die kreativen Köpfe, die aus der ganzen Welt zugezogen sind. Statt brain drain ist also intelligente Politik notwendig, um kluge Köpfe aus der Region nach Tunis zu locken.
Europäischer Förderer aus eigenem Interesse
Den guten Willen seiner europäischen Partner genießt Tunesien bereits in hohem Maße. Von Mentoring-Programmen über die Errichtung von hippen Co-Working Spaces bis zur finanziellen Unterstützung reichen die Anstrengungen, mit denen die Gründerszene gefördert wird. In erster Linie nicht aus Altruismus, sondern weil Tunesiens Erfolg und die Stabilität in Europas unmittelbarer Nachbarschaft im ureigenen europäischen Interesse sind.
Ralf Erbel ist Projektleiter der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit in Tunis.