Parlamentswahlen in Schweden
Wölfe im Elchspelz
Dieser Artikel wurde zuvor auf Focus Online veröffentlicht.
Wenige Tage vor den Wahlen zum schwedischen Reichstag am 9. September dürfen die rechtspopulistischen Schwedendemokraten (SD) auf ihr historisch bestes Ergebnis hoffen. In aktuellen Umfragen liegen sie bei über zwanzig Prozent und könnten damit zweitstärkste Kraft hinter den regierenden Sozialdemokraten werden. Den Rechtspopulisten gelang es bei den vergangenen drei Parlamentswahlen jedes Mal, ihren Stimmenanteil zu verdoppeln. Diesen exponentiellen Trend könnten sie nun erneut bestätigen. Zuletzt erreichten sie 2014 ein Ergebnis von dreizehn Prozent.
Das rasante Wachstum erregt in Schweden Besorgnis. Für Kristin Jacobsson, politische Referentin bei der liberalen Zentrumspartei, handelt es sich deshalb „um die wichtigste Wahl in Schweden seit langer Zeit“. Auf dem Spiel stünden nicht weniger als der freiheitliche Charakter der schwedischen Gesellschaft und die Rolle ihres Landes als „verlässlicher Handelspartner und anerkannter Anwalt für Menschenrechte, Demokratie und das Rechtsstaatsprinzip“. Diese Sorge dürften auch viele europäische Partner teilen. Sie betrachten die Wahl in Schweden im Kontext des Erstarkens rechtsextremer Parteien allerorts.
Während in Frankreich mit Emmanuel Macron ein charismatischer, pro-europäischer 39-Jähriger der nationalistischen Präsidentschaftskandidatin Marine Le Pen im vergangenen Jahr erfolgreich die Stirn bot, steht das schwedische Pendant zu Macron auf der ganz rechten Seite des politischen Spektrums: Jimmie Åkesson ist ebenfalls 39 Jahre alt und sieht ganz und gar nicht aus wie ein weltscheuer Rechtspopulist, sondern hat es sich zum Ziel gemacht, ein freundliches und intellektuelles Bild von sich und seinen Schwedendemokraten zu vermitteln. Åkesson war es auch, der seiner vormals rechtsextremen Partei während der vergangenen Jahre einen radikalen Imagewandel verpasst hat.
Åkesson verpasste seiner Partei ein neues Image – doch am Inhalt änderte sich wenig
Die fremdenfeindlichen „Jungen Schwedendemokraten“ wurden aus der Partei ausgeschlossen und fristen nun als „Alternative für Schweden“ ihr Dasein in der politischen Bedeutungslosigkeit. Verbale Radikalentgleisungen, wie man sie in Deutschland nicht nur vom AfD-Fraktionsvorsitzenden im Thüringer Landtag kennt, werden konsequent geahndet und gehören zumindest bei den Schwedendemokraten der Vergangenheit an. Die beiden Europaabgeordneten traten vor kurzem aus ihrer Fraktionsgemeinschaft mit europakritischen Parteien wie der AfD aus und gehören nun mit den britischen „Tories“ zur Fraktion der Konservativen und Reformer (EKR). Auf der Homepage der Rechtspopulisten findet man nicht einmal mehr eine schwedische Fahne, sondern nur Vergissmeinnicht-Blüten, eine floristisch-subtile Andeutung der schwedischen Nationalfarben.
Nach Meinung von Ville Pitkänen, Parteienforscher beim finnischen Think Tank „e2“, hat sich an den politischen Inhalten der Schwedendemokraten jedoch wenig geändert. Ihr Programm enthält noch immer die Forderung nach einem Referendum über einen möglichen Austritt Schwedens aus der EU – eine Idee, von der sich selbst stramm rechte Gruppierungen wie das „Rassemblement Nationale“ (ehemals Front National) in Frankreich oder die Freiheitliche Partei Österreichs (FPÖ) längst verabschiedet haben. Zu den Zielen der Schwedendemokraten gehören außerdem die radikale Eindämmung jeder Form von Zuwanderung sowie die Einschränkung der Personenfreizügigkeit innerhalb der EU. Auch die systematische Diffamierung von Flüchtlingen als Kriminelle ist Teil ihrer Rhetorik. Nach Meinung von Pitkänen dürfe man SD deshalb keinesfalls mit den gemäßigteren Pendants in der skandinavischen Nachbarschaft, der Dänischen Volkspartei oder der norwegischen Fortschrittspartei, vergleichen.
Letztere ist sogar Juniorpartner in einer Minderheitsregierung. Doch anders als in Oslo dürften die Stockholmer Ministerien für die Schwedendemokraten vorerst unerreichbar bleiben. Ulf Kristersson, Oppositionsführer und Spitzenkandidat der Konservativen, lehnt eine Zusammenarbeit mit SD bei der Regierungsbildung ebenso wie alle anderen sechs im Reichstag vertretenen Parteien strikt ab. Damit streiten sich die beiden traditionellen Allianzen, Mitte-Rechts und Mitte-Links, um ein immer kleiner werdendes Stück des Parlamentskuchens. Auch wenn Minderheitsregierungen, wie das aktuelle Bündnis aus Sozialdemokraten und Grünen, in Schweden Tradition haben, wird die Koalitionsbildung deshalb zunehmend schwierig.
Das Thema Migration hat massiv an Bedeutung gewonnen
Den aktuellen Wahlkampf dominieren andere Themen als noch in der Vergangenheit. Statt über Rente, Gesundheitsvorsorge und Bildung debattiert Schweden nun vorwiegend über Migration und Klimaschutz. Das Thema Migration hat in Schweden aus zwei Gründen massiv an Bedeutung gewonnen: Einmal, weil das Land im Zuge der Migrationskrise pro Kopf mehr Menschen aufgenommen hat als jeder andere Staat in der EU (insgesamt etwa 160.000); aber auch, weil die Schwedendemokraten es zum Mittelpunkt ihrer Oppositionsarbeit gemacht haben. Mit Erfolg, wie Ville Pitkänen anmerkt. Denn trotz der vermeintlichen Isolation durch andere Parteien wirke sich die Agenda der Rechtspopulisten bereits spürbar auf die schwedische Politik aus: „Sie haben inoffizielle Macht.“ Ein Indiz dafür ist die massive Beschränkung des Rechts auf Familiennachzug für Flüchtlinge durch die Regierung seit 2017.
Der Klimawandel dagegen erhält besondere Aufmerksamkeit, nachdem Schweden in diesem Sommer infolge einer lang anhaltenden Dürre- und Hitzeperiode die schwersten Waldbrände seiner jüngeren Geschichte erlebte. Die liberale Zentrumspartei setzte im Wahlkampf besonders auf Ideen zu Nachhaltigkeit und Klimaschutz und traf damit den Nerv der Zeit. Sie präsentiert sich bewusst als weltoffene Alternative zu den Schwedendemokraten, wie Kristin Jacobsson von der liberalen Zentrumspartei hervorhebt: „Wir setzen uns gegen Fremdenhass ein und stehen für Freiheit und Gleichheit.“ Ihre Partei liegt in Umfragen bei 9% und dürfte sich damit über ihr bestes Ergebnis seit vielen Jahren freuen. Die zweite liberale Partei „Liberalerna“ liegt derzeit bei 5%.
Beide liberalen Parteien hoffen auf ein Regierungsbündnis mit den Konservativen und den Christdemokraten. Umfragen sehen diese Koalition gegenwärtig bei 39% und damit gleichauf mit der Mitte-Links-Allianz des amtierenden Ministerpräsidenten Stefan Löfven. Die Mitglieder beider Lager werden sich wahrscheinlich fragen müssen, ob sie entweder die Unterstützung der Schwedendemokraten für eine Minderheitsregierung suchen oder mit den traditionellen Allianzen brechen wollen.
Guter Rat ist zurzeit teuer, gerade mit Blick auf die weitere Entwicklung der Schwedendemokraten. Das findet auch Ville Pitkänen: „Vor einigen Jahren hätte ich gesagt, man muss Rechtspopulisten Verantwortung geben, damit alle sehen, dass sie ihre Versprechen nicht halten können. In Finnland sind die ‚Wahren Finnen‘ als Juniorpartner einer Regierung zerbrochen. Aber in Norwegen und in Dänemark, wo sie mitregieren oder eine Regierung stützen, sind sie genauso stark wie vorher“.
Die schwedischen Abgeordneten wird nicht nur die Frage nach dem richtigen Umgang mit den Rechtspopulisten umtreiben. Ihre Parteienlandschaft scheint sich nach dem Vorbild der skandinavischen Nachbarn und vieler anderer EU-Staaten zu verändern. Das bedeutet, gewohnte Machtkonstellationen verschieben sich und erfordern neue Koalitionsmodelle.
Sebastian Vagt ist European Affairs Manager der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit in Brüssel.