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EU-Ratspräsidentschaft
Die tschechische EU-Ratspräsidentschaft: Die Rolle Europas in einer Welt im Wandel

Der tschechische Premierminister Petr Fiala und die Präsidentin des Europäischen Parlaments Roberta Metsola posieren für ein gemeinsames Foto mit Mitgliedern der tschechischen Regierung und Mitgliedern der Konferenz der Präsidenten des Europäischen Parlaments

Der tschechische Premierminister Petr Fiala und die Präsidentin des Europäischen Parlaments Roberta Metsola posieren für ein gemeinsames Foto mit Mitgliedern der tschechischen Regierung und Mitgliedern der Konferenz der Präsidenten des Europäischen Parlaments

© picture alliance / EPA | MARTIN DIVISEK

Europa als Aufgabe war der Titel der Rede von Václav Havel, die er anlässlich der Verleihung des Karlspreises am 15. Mai 1996 in Aachen hielt. In seiner Rede betonte er: „Etwas überspitzt könnte man sagen, dass die Aufgabe Europas heute darin besteht, sein Gewissen und sein Verantwortungsgefühl im tiefsten Sinne des Wortes wiederzufinden, nicht nur in Bezug auf seine eigene politische Architektur, sondern auch in Bezug auf die Welt als Ganzes." 26 Jahre später befinden wir uns in einer Situation, in der Havels Worte aktueller denn je sind. Wie das Logo der tschechischen Ratspräsidentschaft vermuten lässt, sieht sich Tschechien als Kompassnadel, die die Richtung Europas in neuer Weltordnung weist.

Der tschechische Minister für europäische Angelegenheiten Mikulas Bek neben dem offiziellen Logo der tschechischen EU-Ratspräsidentschaft

Der tschechische Minister für europäische Angelegenheiten Mikulas Bek neben dem offiziellen Logo der tschechischen EU-Ratspräsidentschaft

© picture alliance / EPA | MARTIN DIVISEK

Nationale Skandale inmitten der Vorbereitungen auf die Ratspräsidentschaft

Während die Vorbereitungen für die Ratspräsidentschaft in vollem Gange sind, wird Tschechien seit Mitte Juni durch den Korruptionsskandal um den stellvertretenden Stadtrat Petr Hlubuček (Mitglied der Regierungspartei STAN) und dessen Verhaftung im Prager Rathaus erschüttert. Dies hat nicht nur zu Irritationen in der Regierung geführt, sondern auch zum Rücktritt des STAN-Bildungsministers Petr Gazdík, der, obwohl er auf seiner Unschuld besteht, wegen seiner Kontakte zu Hlubuček zurücktrat, um der Regierung nicht zu schaden.

Viele Menschen zweifeln nun an der Stabilität der Regierung. Noch gibt es aber keine Anzeichen dafür, dass sich das Drama aus dem Jahr 2009, als Tschechien zum ersten Mal die EU-Ratspräsidentschaft innehatte, während zeitgleich die Regierung implodierte, wiederholen wird. Premierminister Petr Fiala (ODS – Demokratische Bürgerpartei) äußerte sich sehr deutlich zu der gesamten Situation und lobte den freiwilligen Rücktritt Petr Gazdíks: „Petr Gazdík wird weder angeklagt, noch wird gegen ihn ermittelt. Es ist also eine ehrliche Lösung, die wir von der politische Elite in den letzten Jahren nicht gewohnt sind.“

Fünf Prioritäten: Herausforderungen direkt angehen

Mit ihren Prioritäten reagiert Tschechien schlagfertig auf die aktuellen Ereignisse in Europa. Während im Januar noch über Prioritäten wie die Abholzung der Wälder nachgedacht wurde, ist jetzt klar, dass Tschechien sich nicht scheut, sich den aktuellen Herausforderungen direkt zu stellen: Bewältigung der Flüchtlingskrise und Wiederaufbau nach dem Krieg in der Ukraine, Energiesicherheit, Stärkung der europäischen Verteidigungskapazitäten und der Cybersicherheit, strategische Widerstandsfähigkeit der europäischen Wirtschaft und Widerstandsfähigkeit der demokratischen Institutionen. Dem Premierminister zufolge umfassen alle fünf Punkte die langfristigen strategischen Interessen und Prioritäten der Tschechischen Republik sowie die Werte, die das Land seit Langem vertritt, und auf die es stolz ist.

Dies wird jedoch keine leichte Aufgabe sein, da die tschechische Präsidentschaft das Fit-for-55-Paket abschließen muss. Fit-for-55 umfasst eine Reihe von Verordnungen und Richtlinien, die der Europäischen Union helfen sollen, ihren Plan zu verwirklichen, die Treibhausgasemissionen bis 2030 um 55 % zu reduzieren. Inzwischen hat sich die Situation jedoch radikal verändert, und obwohl der Green Deal nach wie vor zu den Prioritäten der EU gehört, ist durch den Krieg in der Ukraine die Loslösung von der Abhängigkeit von russischen fossilen Brennstoffen zum neuen Hauptziel geworden. Einige Länder wollen auf Kernenergie und Gas setzen und drängen darauf, dass diese Energieträger auf die grüne Liste gesetzt werden. Die Taxonomie, d.h. die Klassifizierung von Wirtschaftstätigkeiten nach ihrem Nutzen für die Umwelt, wird ein wichtiger Bestandteil der Verhandlungen sein.

Die Frage des Wiederaufbaus der Ukraine wird ebenfalls ein bedeutender Bestandteil der tschechischen Präsidentschaft sein. So wird beispielsweise der sogenannte Solidaritätsfonds erörtert werden. Es wird damit gerechnet, dass für den Aufbau neuer Infrastruktur und die Wiederbelebung der ukrainischen Wirtschaft Milliarden Euro aufgebracht werden müssen – die tatsächliche Höhe hängt stark von der Dauer und Intensität der Kämpfe ab. Die tschechische Regierung wird sich auch darum bemühen, dass der ukrainische Präsident Wolodymyr Zelenskij am EU-Gipfel Anfang Oktober auf der Prager Burg teilnimmt.

Die tschechische Ratspräsidentschaft möchte auch ein Thema angehen, das theoretisch zu Spannungen in den Beziehungen zu den Visegrad-Vier-Partnern führen könnte. Die Priorität Widerstandsfähigkeit der demokratischen Institutionen wird sich auf den Schutz der Medienfreiheit, die Unabhängigkeit der Justiz und die Rechtsstaatlichkeit konzentrieren. Besonders Polen und Ungarn liegen deswegen seit Langem im Streit mit der EU. Ein solcher Schritt ist nur eine Bestätigung der Signale, die zu Jahresbeginn zu beobachten waren, als die Regierung von Petr Fiala ihr Amt antrat: Die neue tschechische Regierung will sich von autoritären und nationalistischen Regierungen deutlich distanzieren. Gleichzeitig ist nicht von der Hand zu weisen, dass Polen der Ukraine und den ukrainischen Flüchtlingen am meisten Hilfe leistet. Es ist daher zu erwarten, dass diese Tatsache konsequentere Schritte während der tschechischen Präsidentschaft abmildern wird.

Europa im Wettrennen

Zu Beginn ihrer ersten Präsidentschaft 2009 präsentierten die Tschechen die Instalation Entropa von David Černý im EU-Ratsgebäude in Brüssel. Sie stellte die stereotype Wahrnehmung der einzelnen Länder dar, mehr oder weniger zu deren Zufriedenheit. Entropa ließ niemanden unberührt und zog viel Aufmerksamkeit auf sich. 

2022 wird Tschechien ein neues Projekt starten, das den Beteiligten im wahrsten Sinne des Wortes wieder den Atem rauben soll. Die tschechische Ratspräsidentschaft wird einen Zehn-Kilometer-Paarlauf organisieren (jedes Paar muss 5 Kilometer laufen und gemeinsam ins Ziel kommen). Start und Ziel sind im Brüsseler Stade des Trois Tilleuls, wo Emil Zátopek 1954 den Weltrekord im Zehn-Kilometer-Lauf holte. Mit diesem symbolischen Rennen wird der Staffelstab der EU-Ratspräsidentschaft offiziell von Frankreich an Tschechien übergeben. Hoffentlich stolpert niemand.

Ester Povýšilová ist Projektmanagerin der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit im Büro für die Mitteleuropäischen und Baltischen Staaten in Prag.