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Ukraine
Die Ukraine will und kann nicht mehr zur Einflusssphäre Russlands gehören

Genf
© picture alliance/dpa/Sputnik | Alexey Vitvitsky  

Heute beginnen in Genf Gespräche zwischen den USA und Russland über die Lage an der Grenze zur Ukraine, gefolgt von den Treffen des NATO-Russland-Rats und der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE). Über diese Verhandlungen und ihre Bedeutung für die Ukraine sprechen wir mit Anna Kravtšenko, unserer Projektleiterin in Kyjiw:  

 

freiheit.org: Mit welchen Forderungen und Erwartungen gehen die Beteiligten in diese Gespräche?

Anna Kravtšenko: Die zentrale Forderung von Ukraine, USA und NATO ist natürlich, dass Russland eigene Truppenbewegungen an der Grenze zur Ukraine einstellt und die Sicherheit der Ukraine nicht weiter gefährdet. Russlands Präsident Putin hat bereits vorab seine Erwartungen und roten Linien klar kommuniziert: keine Erweiterung der NATO und zusätzliche „Sicherheitsgarantien“, wie der Rückzug der NATO-Truppen aus Osteuropa sowie Abzug der US-Raketen aus den Drittstaaten. Somit hat er den russischen Einsatz bei den Gesprächen deutlich erhöht und zugleich die Grundlagen der europäischen Sicherheitsarchitektur in Frage gestellt. Dabei sitzt weder die Europäische Union noch die Ukraine mit am Tisch beim Treffen mit den Amerikanern. Natürlich würde aber die Ukraine als Erste die Folgen eines Scheiterns der Gespräche spüren. Deswegen erwartet Kyjiw von seinen westlichen Partnern ein klares Bekenntnis zum ukrainischen Selbstbestimmungsrecht und dem Beschluss des NATO-Gipfels in Bukarest von 2008, der die NATO-Mitgliedschaft der Ukraine in Zukunft nicht ausschließt. Dabei ist die ukrainische Führung im regen Austausch mit den USA und der EU, und pocht auf die Einhaltung des Prinzips „nichts über die Ukraine ohne die Ukraine“.

Wie nehmen Sie die Stimmung in der Ukraine zurzeit wahr?

Überraschenderweise gelassen. Das liegt wohl daran, dass es nicht die erste Eskalation des Konfliktes mit Russland ist, der ja seit 2014 andauert. Es ist wirklich schwer nachzuvollziehen, aber diese Dauerbedrohung, das Wissen, dass der Konflikt jederzeit wieder aufflammen kann, gehört hier mittlerweile zur alltäglichen Lebensrealität der Menschen. Also, es gibt keine Panik auf den Straßen, keine Massenmobilisierung oder Ähnliches. Ich muss hinzufügen, dass die Ukraine sich seit 2014 auch deutlich verändert hat. Die Mehrheit der Bürgerinnen und Bürger demonstriert eine klare europäische und transatlantische Orientierung: Laut einer aktuellen Umfrage sind 58% der Befragten für den EU- und 54% für den NATO-Beitritt. Sowohl der EU-, als auch der NATO-Beitritt sind seit 2019 verfassungsrechtlich als außenpolitische Ziele der Ukraine verankert. Auch der Zustand der ukrainischen Armee ist nicht mit dem von 2014 zu vergleichen. Also wird Russland hier keinen fruchtbaren Boden vorfinden, sollte es doch zu einer massiven militärischen Invasion kommen, was wir natürlich nicht hoffen. Die Ukraine will und kann nicht mehr zur Einflusssphäre Russlands gehören.

Aber was sind denn nun die möglichen Ergebnisse der Gespräche dieser Woche?

Angesichts der roten Linien, die Russlands Präsident Putin aufgezeigt hat, befürchte ich, dass es keine konkreten Ergebnisse geben wird und noch viele weitere Gespräche folgen werden. Die USA haben die Bereitschaft zu Verhandlungen signalisiert, aber ob Russland die Kompromisse akzeptieren wird, ist ungewiss. Ich denke aber, dass die aktuelle Situation zu einem noch stärkeren Zusammenhalt in der Allianz führen wird. Meine Hoffnung ist es, dass durch die internationale Aufmerksamkeit und natürlich auch den Dialog Russland davon absehen wird, die offene militärische Aggression gegen die Ukraine zu wagen. Bei dem am Donnerstag anstehenden Treffen der OSZE muss dringend über Formate, zur Not auch neue, für die Konfliktlösung im Donbas beraten werden. Dieser Krieg hat für über 13000 Opfer seit 2014 gesorgt und muss endlich aufhören.