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Parlamentswahl in Belgien
Der lange Weg zur neuen Regierung?

Premierminister De Croo seinen Rücktritt an, am Montagmorgen reichte er diesen offiziell bei König Philippe von Belgien ein. De Croos Regierung wird allerdings administrativ im Amt bleiben, bis eine neue Regierung gebildet wurde

Premierminister De Croo kündigte seinen Rücktritt an, seine Regierung wird allerdings administrativ im Amt bleiben, bis eine neue Regierung gebildet wurde.

© picture alliance/dpa/Belga | James Arthur Gekiere

Gleichzeitig mit den Europawahlen fanden in Belgien am Sonntag auch die Parlamentswahlen statt. Der Rücktritt von Premierminister Alexander de Croo und die bevorstehenden, voraussichtlich langwierigen Koalitionsverhandlungen werfen die Frage auf, wie die politische Zukunft Belgiens aussehen wird.

Am vergangenen Sonntag, dem 9. Juni, fanden in Belgien nicht nur die Wahlen zum Europäischen Parlament, sondern auch die Wahlen zur Abgeordnetenkammer des föderalen Parlaments, sowie den regionalen Parlamenten in der Wallonie, Flandern, Ostbelgien und der Region Brüssel-Hauptstadt statt. Ein sogenannter “Superwahltag“ in Belgien, wo ab 18 Jahren die Wahlpflicht gilt: Wer ohne richterlich akzeptierten Grund nicht zur Wahl erscheint, dem droht eine Geldstrafe – allerdings nur formell, denn strafrechtliche Verfolgung wird nur selten umgesetzt.

Die Trennung der belgischen Sprachgruppen in separate Wahlregionen führt bei nationalen Wahlen in der Regel zu einer komplexen Ausgangslage für die anschließende Regierungsbildung, nicht selten mit Koalitionsverhandlungen von bis zu einem Jahr oder sogar mehr. Die Kernthemen der nationalen Wahlen überschatteten die Europawahl stark im Wahlkampf und in der allgemeinen Berichterstattung. Insbesondere die separatistische Agenda der stimmenstärksten rechtsextremen Partei in Belgien, der flämischen Vlaams Belang (VB) und soziale Themen in der Wallonie bestimmten den Wahlkampf.

Liberale legen zu in der Wallonie und Brüssel, doch rechte Parteien gewinnen in Flandern

In der Wallonie überholte die französischsprachige liberale Mouvement Réformateur (MR) die französischsprachige sozialistische Parti Socialiste (PS) und löst diese als traditionell stärkste Kraft ab. Mit 6 dazugewonnenen Sitzen im Vergleich zur letzten Wahl ist dies ein sehr gutes Ergebnis für die französischsprachigen Liberalen. Die christlich-soziale Partei Les Engagés (LE) konnte zwar über 9% mehr Stimmen verzeichnen, gewinnt aber keine zusätzlichen Sitze und bleibt somit bei 17 Sitzen im wallonischen Parlament. Eine Koalition zwischen MR und LE scheint wahrscheinlich, obwohl der MR-Vorsitzende Georges-Louis Bouchez betonte, dass er auch mit anderen Parteien sprechen werde.

Ein gänzlich anderes Bild zeigt sich in Flandern: Der große Gewinner ist die anti-europäische, rechtsextreme VB, die 8 Sitze hinzugewinnt. Die rechtskonservative und euroskeptische Nieuw-Vlaamse Alliantie (N-VA) verliert zwar 4 Sitze, bleibt aber stärkste Kraft. Für eine Mehrheit reicht es nicht, jedoch hat die N-VA im Vorfeld der Wahl angekündigt, keine Koalition mit VB eingehen zu wollen. Da auch die anderen Parteien dies ausgeschlossen haben, scheint aktuell eine Koalition aus N-VA, der sozialdemokratischen Vooruit und der christdemokratischen Christen-Democratisch en Vlaams (CD&V) am wahrscheinlichsten. Einen herben Verlust erlitt die flämische Open Vlaamse Liberalen en Democraten (Open VLD), die 7 Sitze verliert. Der bisherige belgische Ministerpräsident Alexander de Croo (Open VLD) trat angesichts des Wahlergebnisses seiner Partei noch am Wahlabend zurück.

In der Region Brüssel-Hauptstadt, wo sowohl französischsprachige als auch flämische Parteien zur Wahl stehen, liegt die französischsprachige MR vorn und gewinnt 7 Sitze im Brüsseler Parlament hinzu. Die liberale Partei überlegt zurzeit, welcher Koalitionspartner in Frage kommt; eine Koalition mit LE halten sie für denkbar.

Liberale sind zweitstärkste Kraft im föderalen Parlament

Auf nationaler Ebene verliert die N-VA zwar einen Sitz, bleibt aber mit 24 Sitzen die stärkste Kraft, dicht gefolgt von der VB, die zwei Sitze dazugewinnt und so nun auf 20 Sitze in der Kammer, dem belgischen Unterhaus, kommt. Während OpenVLD, die Partei von Ministerpräsident Alexander de Croo, mit 5 verlorenen Sitzen einen herben Verlust erleidet, können die französischsprachen Liberalen einen Gewinn verzeichnen: die liberale (zentrum-rechte) MR gewinnt 6 Sitze und zieht so mit insgesamt 20 Sitzen gleichauf mit VB. Große Verlierer: die grüne Partei ECOLO, die mit einem Verlust von 10 Sitzen nun nur noch mit 3 Abgeordneten vertreten ist.

Durch den starken Zuwachs von MR wird der Verlust von Open VLD im Gesamtbild der liberalen Stimmen auf nationaler Ebene wieder ausgeglichen.

De Croo tritt zurück – es folgt ein langer Weg zur Koalition

Noch am Sonntagabend kündigte Premierminister De Croo seinen Rücktritt an, am Montagmorgen reichte er diesen offiziell bei König Philippe von Belgien ein. De Croos Regierung wird allerdings administrativ im Amt bleiben, bis eine neue Regierung gebildet wurde – was in Belgien erfahrungsgemäß ein langwieriger Prozess sein kann. Belgien hält sogar den Weltrekord für die längste Zeit ohne Regierung: 541 Tage. Das Regierungsgeschäft wird dabei von einer administrativen Übergangsregierung übernommen. Nach den letzten Wahlen dauerte es knapp 16 Monate, bis die sogenannte „Vivaldi-Koalition“ unter De Croo ausgehandelt war.

Da Flandern überwiegend rechts und die Wallonie eher zentristisch gewählt hat, sieht die Bildung der föderalen Regierung Belgiens nach einer langen und schwierigen Aufgabe aus, vielleicht sogar noch schwieriger als beim letzten Mal. Die separatistischen Interessen in Flandern, sowie der hohe Bedarf einer Reform der Kompetenzverteilung zwischen der nationalstaatlichen und der regionalen Regierungsebene werden die Verhandlungen bestimmen. König Philippe wird nun Vertreterinnen und Vertreter aller Parteien treffen und im Anschluss einen Formateur bestimmen, der mit der Regierungsbildung beauftragt wird. Es bleibt abzuwarten, wie lang die Regierungsbildung dieses Mal dauert. Bis dahin bleibt erst einmal alles beim Alten.

Dr. Nele Fabian, Senior European Affairs Manager, und Sahra Lissek, European Affairs Manager, FNF Europe.