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European Affairs
Deutsch-französische Beziehungen in einer Ära der Intergouvernementalität

French-German Ministerial Council

Franco-German Ministerial Council

© BENOIT TESSIER/EPA-EFE

Die Feierlichkeiten zum 60. Jahrestag des Elysée-Vertrags bekräftigten symbolisch die enge Freundschaft zwischen Frankreich und Deutschland. Obwohl der deutsch-französische Ministerrat verschoben wurde, um ihn besser vorzubereiten, wurden seine Ergebnisse als enttäuschend wahrgenommen, da keine größeren Ankündigungen gemacht wurden.

Nach Reibereien und einigem Unverständnisses, scheint die Verkündung, weitere politische Vorhaben konkret in gemeinsamen Arbeitsgruppen weitervoranzutreiben, bereits ein Sieg an sich zu sein. Nachdem verschiedensten Stellungnahmen ohne bilaterale Absprache wollte Frankreich Deutschland an die Bedeutung des deutsch-französischen Tandems erinnern und auch daran, dass die Entscheidungen eines Mitgliedstaates nicht ohne Folgen für seine Partner und für Europa insgesamt bleiben.

So wurden die Kontakte beiderseits des Rheins wieder aufgenommen. Zahlreiche Ministertreffen und Arbeitsgruppen haben das Ziel, deutsche und französische Positionen zu harmonisieren, Differenzen zu überwinden oder konkrete Vorschläge zu unterbreiten. Die Zeit wird zeigen, ob diese Verpflichtungen auch in konkrete Ergebnisse münden.

Durch den Vertrag von Aachen von 2019 ist Deutschland zu einer stärkeren politischen Einbindung angehalten. Dies hat Frankreich jedoch nicht davon abgehalten, seine europapolitischen Partnerschaften zu diversifizieren, indem es zwei weitere Verträge mit Italien und Spanien unterzeichnet hat; den Quirinal-Vertrag, der am 26. November 2021 unterzeichnet wurde und am 1. Februar 2023 in Kraft trat, und den Vertrag von Barcelona, der am 19. Januar 2023, also genau drei Tage vor der deutsch-französischen Zeremonie, unterzeichnet wurde.

Auf den ersten Blick scheint es paradox, dass der französische Präsident, der wie kein Anderer von einer vertieften Integration der Europäischen Union spricht, auch derjenige ist, der innerhalb der EU am meisten den Weg über bilateralen Abkommen sucht. Daher stellt sich in der Tat die Frage, welche europapolitische Strategie Frankreichs Macron verfolgt, wenn man bedenkt, dass Charles de Gaulles Wunsch, Robert Schumans Projekt der europäischen Gemeinschaft durch den Elysée-Vertrag auf eine vielmehr zwischenstaatliche Zusammenarbeit zu reduzieren, nur durch die Intervention des deutschen Parlaments verhindert werden konnte.

Zwar sind die drei bilateralen Verträge nicht genau deckungsgleich, doch weisen sie einige Ähnlichkeiten auf. Frankreich scheint davon abzusehen, derartige Abkommen mit weiteren europäischen Ländern zu unterzeichnen, da diese vor allem mit angrenzenden Ländern geschlossen werden, mit denen die grenzüberschreitende Zusammenarbeit besonders wichtig ist.

Die drei Verträge gehen jedoch über diese grenzüberschreitenden Fragen hinaus und enthalten Kapitel zu den Themen Verteidigung, Bildung, nachhaltige Entwicklung, wirtschaftliche Zusammenarbeit und europapolitische Koordinierung. Die Verträge legen einen Fahrplan mit konkreten Projekten fest, die über die aktuellen politischen Konstellationen hinausgehen, indem sie eine mittel- und langfristige Zusammenarbeit festschreiben.

Dennoch hängt ihre Umsetzung von einem gewissen politischen Willen der jeweiligen Staats- und Regierungschefs ab, wie die deutsch-französische Verstimmungen der letzten Monate und die Zweifel am Quirinal-Vertrag mit der neuen italienischen Ministerpräsidentin Georgia Meloni belegen. Angesichts der Bildung neuer Blöcke um Frankreich herum versucht auch Deutschland, seine bilateralen Beziehungen zu Spanien zu stärken - mit dem Oktober 2022 ein Aktionsplan unterzeichnet wurde - und plant weiterhin, trotz des Amtsantritts von Georgia Meloni im Jahr 2023 einen Aktionsplan mit Italien zu unterzeichnen. Die Aktionspläne entsprechen einem pragmatischeren und flexibleren Ansatz, da sie keiner parlamentarischen Ratifizierung bedürfen. Dafür fällt ihr Symbolcharakter auch deutlich geringer aus.

Die Konsolidierung von Blöcken um Frankreich auf der einen und Deutschland auf der anderen Seite könnte dann zum Problem werden, wenn sie eine Konkurrenz zwischen den verschiedenen bilateralen Paaren hervorbringt. So birgt zum Beispiel die Förderung des gleichzeitigen Erlernens der deutschen, spanischen und italienischen Sprache mögliche Konflikte über Priorisierungen.

Zwar heißt es in den drei Verträgen, dass die bilateralen Annäherungen zu einer besseren Abstimmung in der Europapolitik führen sollen, indem sich Länder aufeinander stützen, die sich kennen und einander vertrauen. Der Prozess ist jedoch rein intergouvernemental gestaltet und fußt auf Deklarationen auf höchster staatlicher Ebene, ohne dass die nationalen Parlamente geschweige denn die Zivilgesellschaft im Rahmen eines deliberativen Prozesses mit einbezogen wurden.

Der intergouvernementale Weg wurde auch in Emmanuel Macrons richtungsweisender Ankündigung für 2022 mit der Europäischen Politischen Gemeinschaft (EPG) fortgesetzt. Gleichzeitig ermöglicht diese Zusammenkunft, sowohl die deutsche als auch die französische Perspektive mit Blick auf eine vertiefte europäische Integration und erweiterte Union zusammenzudenken, indem beide Länder ihre jeweiligen Netzwerke und regionalen Führungspositionen ausspielen. Daher war es sinnvoll, die EPG in die gemeinsame Regierungserklärung des deutsch-französischen Ministerrats am 22. Januar 2023 aufzunehmen und diese Initiative und den 2014 eingeleiteten Berliner Prozess in einen Zusammenhang zu stellen.

Die französische Strategie, der Deutschland zu folgen scheint, zielt auf die Abstimmung der Positionen der wichtigsten Player in der Europapolitik. Dabei bleiben die Europäische Kommission, der Europäische Rat in Verbindung mit dem Europäischen Parlament, der wirklichen Verkörperung eines europäischen Demos, außen vor, obwohl sie eigentlich die wahren Dirigenten der weiteren europäischen Integration sein sollten.

Um dies zu erreichen, sollte die Europäische Union flexiblere Wege finden, um ihre Erweiterung zu vollziehen und bestehende Instrumente nutzen, die ihr beispielsweise mit der Passerelle-Klausel und der verstärkten Zusammenarbeit zur Verfügung stehen.

 

Éric Pestel ist Generalsekretär der Association Renaissance européenne Paris. Jeanette Süß ist European Affairs Manager im Büro der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit in Brüssel, wo sie die Frankreich-Aktivitäten leitet.

Die Originalversion des Artikels ist auf Euractiv zu finden: https://www.euractiv.fr/section/l-europe-dans-le-monde/opinion/la-franc…