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Wirtschaft
Nachhaltigkeit - Der Weg in die Zukunft für die deutsch-britischen Beziehungen

Interview mit Sir Graham Watson
Graham Watson
© FNF

Die Folgen des Brexits sind in vollem Gange. Die Krisen in verschiedenen Politikbereichen verschärfen sich, insbesondere im Vereinigten Königreich, aber auch in der EU. Zu den Bereichen, die sowohl für das Vereinigte Königreich als auch für die EU Anlass zur Sorge geben, gehören unter anderem die militärische Zusammenarbeit nach dem Brexit, insbesondere mit Blick auf die Ukraine, wo das Vereinigte Königreich eine führende Rolle bei der Ausbildung und der Lieferung von Waffen spielt, sowie die Energieversorgung, bei der die Handelsbeziehungen durch erhebliche Strom- und Gasströme in beide Richtungen bestimmt werden.

Da sich das globale Machtgleichgewicht seit den letzten siebzig Jahren mehr denn je verschoben hat, sind Solidarität und starke Partnerschaft auf dem europäischen Kontinent und zwischen liberalen Verbündeten so wichtig wie nie zuvor. Obwohl nicht mehr durch die gemeinsame Mitgliedschaft in der Europäischen Union vereint, sind die Bindungen zwischen Großbritannien und Deutschland weiterhin eng. Die wirtschaftliche und politische Partnerschaft zwischen beiden Ländern ist nicht nur für beide Länder selbst von großer Bedeutung, sondern hat auch erhebliche Auswirkungen auf europäischer Ebene.

Während seines Besuchs in Berlin diese Woche sprachen wir mit Sir Graham Watson über die sicherheitspolitische Zusammenarbeit zwischen dem Vereinigten Königreich und der EU nach dem Brexit angesichts des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine, über mögliche Lösungen für die steigenden Energiepreise und über die Zukunft der Beziehungen zwischen dem Vereinigten Königreich und Deutschland.

Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit: Russlands Krieg in der Ukraine drängt das Vereinigte Königreich und die EU dazu, trotz der durch den Brexit verursachten Unterbrechung der europäischen Sicherheitsvereinbarungen und der Verteidigungszusammenarbeit eine starke gemeinsame Antwort auf Russlands Bedrohung für die gesamteuropäische Sicherheit zu formulieren. Wie sollte die künftige Zusammenarbeit zwischen der EU und dem Vereinigten Königreich in der Außen-, Sicherheits- und Verteidigungspolitik nach dem Brexit aussehen?

Sir Graham Watson: Die deutsch-britische "Gemeinsame Absichtserklärung" zur Verteidigungszusammenarbeit von 2018 und die Ankündigung, dass eine britische Militärpräsenz auch nach 2020 in Deutschland verbleiben wird, bilden eine Grundlage für die weitere Zusammenarbeit in einer Zeit, in der die militärische Bedrohung auf dem europäischen Kontinent zugenommen hat. Der deutsch-britische Ministerrat für Verteidigung und die Zusammenarbeit zwischen den Luftwaffenstützpunkten hat darauf aufgebaut. Die jüngste Schaffung einer gemeinsamen deutsch-britischen Verteidigungstruppe ist dabei eine willkommene Entwicklung. In Handlungsfeldern, die von der Bekämpfung der Cyber-Kriegsführung bis zur Überwachung des Luftraums über den baltischen Staaten reichen, hat die militärische Zusammenarbeit zwischen unseren beiden Ländern erheblich zugenommen. Die bilaterale Zusammenarbeit kann noch weiter ausgebaut werden, obwohl das wichtigste Forum für die Zusammenarbeit im Verteidigungsbereich jedoch unbedingt die NATO bleiben sollte.

Die jüngste Gründung einer neuen Europäischen Politischen Gemeinschaft in Prag auf Initiative von Präsident Macron hin könnte einen weiteren Rahmen für die Zusammenarbeit in strategischen Bereichen im Zusammenhang mit der gemeinsamen Verteidigung bieten, auch wenn man sich in diesem Zusammenhang fragen mag, warum der Europarat, der ja bereits gut etabliert ist und seinen Sitz in Frankreich hat, nicht für diesen Zweck genutzt wurde.

Nach Angaben des Internationalen Währungsfonds (IWF) ist das Vereinigte Königreich besonders stark von der Energiekrise betroffen und hat mehr zu kämpfen als der Großteil Europas. Welche möglichen Lösungen werden derzeit diskutiert, um die Energiekrise zu bewältigen und die Energieabhängigkeit zu verringern?

Sowohl das Vereinigte Königreich als auch Deutschland haben mit hohen Inflationsraten zu kämpfen. Im Vereinigten Königreich ist ein Großteil der Inflation auf den Anstieg der Energiepreise zurückzuführen. Deutschland hingegen ist stärker von der Unterbrechung der russischen Gaslieferungen betroffen. Beide Länder haben in den letzten Jahren gute Arbeit bei der Nutzung des Potenzials erneuerbarer Energiequellen geleistet, insbesondere bei der Wind- und Solarenergie. Auch grüner Wasserstoff bietet Potenzial für eine Zusammenarbeit, und die Übernahme des britischen Unternehmens Marine Current Turbines durch Siemens stärkt die Zusammenarbeit auf dem Gebiet der Gezeiten- und Meeresströmungsenergie. Es muss jedoch noch viel mehr getan werden, um die Energieerzeugung von fossilen Brennstoffen auf erneuerbare Energien umzustellen, sowohl um die Abhängigkeit von Russland zu verringern als auch um unsere Klimaverpflichtungen zu erfüllen. Dies ist eine Herausforderung, der wir uns gemeinsam stellen können und die Möglichkeiten für gemeinsame Investitionen bieten kann.

Während Ihres Besuchs im politischen Berlin hatten Sie Gelegenheit, die Möglichkeiten der wirtschaftlichen Zusammenarbeit, gemeinsamer Energielösungen und der Zusammenarbeit bei Innovations- und Wissenschaftsprojekten zwischen dem Vereinigten Königreich und Deutschland zu erkunden und zu diskutieren. Was waren Ihre wichtigsten Erkenntnisse aus diesen Gesprächen und welche Rolle spielen die Liberalen auf beiden Seiten des Kanals?

Eine der Tragödien des Brexits ist der erhebliche Rückgang des Handels zwischen dem Vereinigten Königreich und Deutschland, insbesondere im Hinblick auf die KMU. Es wird Zeit und Einfallsreichtum erfordern, dies wieder auszugleichen. Der Handel mit Dienstleistungen bietet jedoch immer noch Raum für eine stärkere Verflechtung, und wenn das Vereinigte Königreich wieder in das Horizon-Programm der EU für wissenschaftliche Zusammenarbeit aufgenommen wird, könnten wir erneut eine Blüte der Zusammenarbeit in Forschung und Entwicklung erleben. In der Erkenntnis, dass die Vorteile des Handels weit über die gegenseitige Bereicherung hinausgehen, müssen die Liberalen in beiden Ländern darauf drängen, dass die Bemühungen um den Aufbau wirtschaftlicher Beziehungen fortgesetzt werden.

Im Energiesektor haben die Liberalen einen großen Teil des politischen Antriebs für die in meiner Antwort auf Ihre zweite Frage erwähnten Entwicklungen geliefert. Während die FDP dazu übergegangen ist, erneuerbare Energien nicht länger als eine rein "Grüne Sache" abzutun, sondern den Vorteil zu schätzen, den sie für die Wettbewerbsfähigkeit des Landes mit sich bringen, haben die britischen Liberaldemokraten eine Position eingenommen, in der sie anerkennen, dass die Kernenergie zwar teuer ist, aber noch einige Jahre lang als Technologie zur Unterstützung des Übergangs von fossilen zu nachhaltigen Brennstoffen wichtig bleiben wird. Beide Parteien sind mittlerweile also weniger dogmatisch, was Energielösungen angeht, und sind sich des Klimazwangs stärker bewusst.

Sir Graham Watson ist ein britischer Politiker der Liberaldemokraten, der von 1994 bis 2014 Mitglied des Europäischen Parlaments war. Von 2002 bis 2009 leitete er die liberale Fraktion im Europäischen Parlament und war von 2001 bis 2015 Vorsitzender der ALDE-Partei.