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1000 Tage Widerstand
Kommunale Selbstverwaltung in der Ukraine: Treiber für Widerstand und Wiederaufbau im Krieg

Das Rathaus in Kyjiw (Ukraine).

Das Rathaus in Kyjiw (Ukraine).

© picture alliance / Hermann Wöstmann/dpa | Hermann Wöstmann

Zum Jahresende 2024 verfügt die Ukraine immer noch über eine starke lokale Selbstverwaltung, die jedoch durch das anhaltende Kriegsrecht stark geschwächt ist. Der seit mehr als zehn Jahren andauernde Krieg, insbesondere nach der groß angelegten Invasion von 2022, verursacht irreparable Schäden für die kommunale Entwicklung und deformiert die Dezentralisierungsreform erheblich. Gleichzeitig bleibt das Interesse an der Weiterentwicklung der kommunalen Selbstverwaltung in der Ukraine hoch, und die kommunale Dezentralisierung wird mit breiter Unterstützung der Bürger weiter vorangetrieben.

Im Jahr 2022, mit dem Ausbruch eines groß angelegten Krieges, ist in der Ukraine die Bedeutung und Rolle der Dezentralisierung neu bewertet worden. Das war beachtlich. Den lokalen Behörden kam zugleich eine neue Rolle zu – die Beteiligung an Verteidigung und Sicherheit. Mit anderen Worten: Dezentralisierung musste sich nicht nur daran messen lassen, ob sie wirtschaftliche Erfolge erbrachte. Sondern nun auch daran, ob die Organe der lokalen Selbstverwaltung auch ein Bestandteil der Organisation des Widerstands sein würden. Und diesen Test hat die Reform in der Ukraine klar bestanden.

Es ist erwähnenswert, dass dies das zweite Mal ist, dass die direkte Entwicklung der Selbstverwaltung zu einem Element der Stärkung des ukrainischen Staates geworden ist. Denn schon die Dezentralisierung 2014–15 trug dazu bei, Separatismus und zentrifugale Tendenzen zu überwinden, nachdem die Russische Föderation mit ihrem Einmarsch in die Ukraine im Osten des Landes begonnen hatte. Insbesondere um den enormen Bedarf an lokaler Entwicklung in der Ukraine zu decken und die Möglichkeit zu verringern, dass der Separatismus als Destabilisierungsfaktor genutzt wird, hatte die Regierung das Konzept der Dezentralisierungsreform gebilligt und mit seiner Umsetzung begonnen. Angesichts der Tatsache, dass das prorussische Regime der Ukraine in den Jahren 2008–2013 eine Politik der Zentralisierung verfolgt hatte, wurde der Begriff „Dezentralisierung“ von der Öffentlichkeit positiv wahrgenommen. Im Zeitraum 2015–2022 vergrößerte die Dezentralisierungsreform die Zahl der Anhänger der Maßnahme im Süden und Osten so sehr, dass mit dem Ausbruch des großen Krieges im Jahr 2022 die Gemeinden zu neuen Zentren des organisierten und spontanen Widerstands unter der Besatzung wurden. Lokale Gemeinden wurden und werden zu einem Faktor der Resilienz und des Widerstands gegen den Aggressor, und die lokale Selbstverwaltung hat dazu beigetragen, die Verteidigung und den Schutz der Ukraine zu organisieren. Im Jahr 2023–24 betrachtet die Selbstverwaltung der Grenzregionen die Verteidigung, die Arbeit mit Binnenvertriebenen und den Katastrophenschutz als vorrangige Bereiche ihrer Bemühungen, und diese Tendenz verstärkt sich noch.

Die Dezentralisierungsreform ist zu einem der Faktoren der Demokratisierung und der freien Wahlen geworden, die die Ukraine heute von ihrem sowjetischen Erbe unterscheidet und sie näher an andere europäische Länder heranführt. Daher ist es symbolisch, dass die Werchowna Rada, zuvor unter der Führung des Parlamentspräsidenten und zugleich amtierenden Staatspräsidenten Oleksandr Turtschynow, als erste die Kommunalwahlen wieder einführte, die in den Jahren 2011–2013 blockiert worden waren, so dass große Städte, darunter Kyjiw, keine gewählten Bürgermeister hatten. So fanden 2014, 2015 und 2020 in Kyjiw, anderen Großstädten und den übrigen Gemeinden Kommunalwahlen statt. In den nächsten beiden Einberufungen des ukrainischen Parlaments wurden weitere Gesetze verabschiedet, die die Demokratie stärkten und die Selbstverwaltung förderten, wie etwa die Gewährleistung des Zugangs zu Informationen in allen Organen der lokalen Selbstverwaltung. Die Gemeinden werden offener für die Einwohner, und die Beteiligung der Einwohner an der Entscheidungsfindung wird sichergestellt. Das letzte Gesetz dieser Art wurde 2024 verabschiedet und führt die öffentliche Aufzeichnung und Übertragung von Sitzungen ein. Der Wert der demokratischen Tendenzen, die mit der Selbstverwaltung und der partizipativen öffentlichen Verwaltung vor Ort eingeleitet wurden, war einer der eigentlichen Gründe für die Popularität der Reform. Sie stärkte auch allgemein das Gefühl der Ukrainerinnen und Ukrainer, dass sie sich in Richtung Demokratie bewegen, und vergrößerte so die Distanz zu Russland, wo totalitäre Ansätze überhandgenommen haben. Leider sind jedoch seit 2022 alle Kommunalwahlen unter dem Kriegsrecht in der Ukraine ausgesetzt.

Um die Reform voranzutreiben, wurden von 2014 bis 2024 eine Reihe von Maßnahmen zur Stärkung der lokalen Selbstverwaltung ergriffen, etwa die Verabschiedung des Gesetzes über die Zusammenarbeit der Gebietskörperschaften, die erste Stufe der Haushaltsdezentralisierung, die Stärkung der öffentlichen Kontrolle, die Vereinfachung der Verfahren für die Wahl der Leiter der Kreis- und Oblasträte sowie die Übertragung einer Reihe von Befugnissen auf die Organe der lokalen Selbstverwaltung. Die vorherigen Parlamente hatten insbesondere die Steuer- und Haushaltsgesetzbücher geändert, die die Grundlage für die steuerliche Dezentralisierung bildeten. Infolgedessen wurden Finanzmittel auf die lokale Ebene übertragen, um die lokalen Regierungen zu stärken, und es wurde eine Verwaltungs- und Territorialreform durchgeführt. Langsam aber sicher kam die Dezentralisierungsreform in Schwung, der sich 2022–24 allerdings wieder deutlich verlangsamte. Nichtsdestotrotz wurden 2022 Änderungen der Grundsätze der Regionalpolitik verabschiedet, die eine strategische Planung der territorialen Gemeinden verpflichtend machten, 2023 wurde ein neues Gesetz über den Dienst in den lokalen Selbstverwaltungsorganen verabschiedet, um den Gemeinden bei einer professionellen und qualitativ hochwertigen Verwaltung zu helfen, 2024 ein Gesetz über die internationale Zusammenarbeit der Gemeinden.

Der lange Krieg verringert auch die finanzielle Basis der lokalen Selbstverwaltung. Erstens hat der wirtschaftliche Abschwung die Steuereinnahmen für die Haushalte der lokalen Gemeinschaften im Allgemeinen stark reduziert. Zum anderen wendet sich der Staat der finanziellen Zentralisierung zu und sucht nach einer Möglichkeit, das Defizit an Mitteln für die Verteidigungskräfte zu decken. Es liegt auf der Hand, dass die finanzielle Zentralisierung eine Gefahr für die Zerstörung der Dezentralisierung im Allgemeinen darstellt, da die Selbstverwaltung nur dann unabhängig arbeiten kann, wenn sie über finanzielle Autonomie verfügt. Die einzige Hoffnung besteht darin, die europäische Integration und die internationalen Partner zu stärken, da sich die inländischen Ressourcen der Ukraine zunehmend auf die Sicherung der militärischen und energetischen Stabilität des Landes konzentrieren.

Auch in anderen Bereichen sind die negativen Auswirkungen des Kriegsrechts offensichtlich. Insbesondere das Konzept der Dezentralisierung sah die Abschaffung der Kreis- und Oblastverwaltungen vor, doch während des Kriegsrechts wurden sie in Militärverwaltungen umgewandelt. Sie werden gestärkt, und eine Änderung der Verfassung ist erst nach Beendigung des Krieges möglich. Darüber hinaus ist der Staat den Weg gegangen, in den einzelnen Gemeinden Militärverwaltungen einzurichten, in denen die Entscheidungen nun ausschließlich vom Verwaltungsleiter getroffen werden, der vom Staatspräsidenten ernannt wird. So haben die lokalen Regierungen in den Regionen Cherson, Luhansk und Donezk ihre Macht fast vollständig verloren, mit Ausnahme des Stadtrats von Mariupol und des Oblastrats von Cherson. Nach Beendigung des Krieges müssen insgesamt mehr als 100 Gemeinden in der Ukraine die lokale Verwaltung wieder aufbauen und den Übergang von den Militärverwaltungen vollziehen.

Neben der Gewährleistung der Demokratie und der Unterstützung der Bemühungen der Gemeindebewohner im laufenden Krieg wird die Selbstverwaltung für den Wiederaufbau nach dem Krieg von großer Bedeutung sein. Schon heute gibt es eine Reihe bewährter Verfahren, bei denen sich einzelne Gemeinden aktiv am Wiederaufbauprozess zu beteiligen beginnen. Nach dem Sieg werden die lokalen Gemeinden noch besser in der Lage sein, die Verantwortung für die Durchführung eines großen Teils der Wiederaufbauprojekte zu übernehmen.

Neben der Notwendigkeit, die Arbeit der Selbstverwaltungsorgane wiederherzustellen, wird es notwendig sein, die personellen und institutionellen Kapazitäten aller Selbstverwaltungsorgane zu stärken, die jetzt zu schwinden beginnen. In der Tat gibt es heute Gemeinden mit unterschiedlichen Kapazitäten, sowohl in finanzieller als auch in organisatorischer Hinsicht. Oft haben verschiedene Gemeinden das Potenzial und das Personal, aber keine Ressourcen, oder umgekehrt, wenn es zwar finanzielle Mittel, aber keine angemessene Personalausstattung gibt. In der Tat sollten alle lokalen Programme zur wirtschaftlichen Entwicklung erneuert und gestärkt werden, was auch zur europäischen Integration beitragen wird.

Auf der Tagesordnung der lokalen Selbstverwaltung stehen heute viele Themen: Beteiligung am nationalen Widerstand, Wiedereinführung von Kommunalwahlen und Stärkung der lokalen Demokratie, Stärkung und Entwicklung der Kapazitäten der lokalen Gemeinden, Widerstandsfähigkeit im Krieg, Recovery, Wiederaufbau nach dem Krieg, Integration von Veteranen usw. Es gibt unterschiedliche Ansichten darüber, welche Themen in welcher Reihenfolge angegangen werden sollten. Natürlich hat jede Gemeinde das Recht, ihre eigenen Prioritäten zu setzen. Aber eines ist auch klar: Die Ukraine profitiert in hohem Maße von der Präsenz und den Aktivitäten der lokalen Gemeinden, und daher ist die Entwicklung und Stärkung der lokalen Selbstverwaltung in den kommenden Jahren eine der entscheidenden Richtungen für die Gesamtentwicklung der Ukraine.

 

Oleksandr Solontay, Experte für Kommunalverwaltung, Leiter der NRO „Agentur für Wiederaufbau und Entwicklung“

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Florian von Hennet
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