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Indien wählt: Inklusive Demokratie 2024
Ab dem 19. April bis zum 1. Juni wird innerhalb von 7 Wochen in Indien das neue Parlament gewählt. Fast eine Billion Wähler sind aufgerufen, ihre Stimme für 543 Parlamentssitze abzugeben. Die Regierungspartei BJP hat mit Modi einen charismatischen Spitzenkandidaten mit scheinbar nur positiven Ergebnissen in den letzten 10 Jahren Regierungsarbeit. Ihm gegenüber steht eine zersplitterte und von Skandalen gebeutelte Opposition. Der Wahlkampf wird mit David gegen Goliath verglichen, mit dem Unterschied, dass Goliath gewinnen wird. Die Frage ist nur mit wievielen Sitzen die BJP das Parlament beherrschen wird. Die politische Landschaft Indiens wird seit vielen Jahren von der Regierungspartei dominiert, die den Wählern vertraut ist, die nach außen einheitlich und strukturiert auftritt und als „they know what they are doing“ agiert.
FNF Südasien lud daher am 16. April Experten zu einem Webinar ein, um über Schlüsselthemen wie dem Wahlverfahren und der Beteiligung von Frauen, Erstwählern und Minderheiten zu diskutieren. Das Webinar wurde in Zusammenarbeit mit der Partnerorganisation SMART (Seeking Modern Applications for Real Transformation) und dem FNF Büro in Nordrhein-Westfalen organisiert. Mit Dr. S. Y. Quraishi, dem ehemaligen Chief Election Commissioner von Indien; Prof. Sanjay Kumar, Professor und Co-Direktor bei Lokniti, einem Forschungsprogramm am Center for the Study of Developing Societies und Frau Ankita Dhar Karmakar, Multimedia-Journalistin bei Behanbox konnte FNF Südasien sehr unterschiedliche Fachleute und Meinungen für das Panel gewinnen. Ankita Dhar Karmakar berichtet vor allem über die Probleme, denen Minderheiten sich gegenüber sehen. Dr. Quraishi gab interessante interne Einblicke und Begründungen zur Arbeitsweise und zu Entscheidungen der Wahlkommission, während Prof. Kumar zu Wahlpolitik, indischer Jugend, Demokratie und Wahlgewalt forscht und dazu Umfragen erhebt.
Ein wichtiger Punkt in der Diskussion war es, wie die Wahlkommission und die indische Politik es sicherstellen kann, dass jede Wahl fair, transparent, sicher und für jeden Inder zugänglich ist. Dr. Quraishi hebt die Schwierigkeiten aufgrund der großen und vielfältigen Bevölkerung und den geographischen Gegebenheiten hervor. Auch in den entlegensten Gebieten sollen Inder frei und sicher wählen dürfen, auch wenn sie häufig nicht lesen oder schreiben können. Besonders die lange Zeitdauer in 7 Phasen und die modernen Medien bereiten Dr. Quraishi Sorgen. Fake news und Falschinformationen verbreiten sich sehr schnell und innerhalb von Minuten oder Stunden könnte eine faire Wahl gefährdet sein. Seiner Meinung nach sollte alles dafür getan werden, die Dauer der Wahl zu verkürzen.
Laut Prof. Kumar wählt ein Großteil der Wähler jedoch sowieso immer die Partei und nicht einen bestimmten Kandidaten. Kandidaten wechseln in den meisten Parteien häufig und sind austauschbar. Nur die Regierungspartei hat mit Modi einen stabilen Kandidaten. Auch wenn die Opposition Argumente wie Inflation und Arbeitslosigkeit auffährt, ist Modi das politische Zugpferd. Vielen Wählern nach hat er Indien international zu einem beachteten Player in der Weltpolitik gemacht. Dieser Stolz auf Indien und ein indischer Hindu zu sein, ist nach den Umfragen her vielen Wählern wichtiger als ihre eigenen Probleme.
Ankita Dhar Karmakar berichtet von den Schwierigkeiten von Minderheiten-Wählern, Migranten und Wählerinnen. Jede Gruppe hat unterschiedliche Hürden zu überwinden, um zu wählen. Es gibt im indischen Wahlsystem große Zugangsprobleme. Die Hürden sind einerseits im Wahlprozess, z.B. in der Wählerregistrierung, zu finden und andererseits haben gesellschaftliche Ursachen. Migranten kommen aus den unterschiedlichsten Gesellschaftsschichten. Es können einerseits Studierende sein, die an der Universität fernab studieren, aber noch am Heimatort im Wählerverzeichnis registriert sind. Weiterhin hat Indien einen hohen Anteil an Wanderarbeitern ohne festen Wohnsitz und einen hohen Anteil an Arbeitnehmern, die einen Arbeitsplatz an einem entfernten Ort haben. Die lokale Wählerregistrierung und die bürokratischen Hürden bei der Ein- und Umschreibung machen es unnötig schwerer für Migranten zu wählen. Briefwahlen, die bereits für Inder im Ausland problemlos möglich sind, wären eine gute Option so dass auch Migranten wählen könnten.
Wählerinnen andererseits stehen einem gesellschaftlichen Problem gegenüber. Es gibt viele Fälle, bei denen die Eltern die Tochter nicht zur Wahl registrieren da die Tochter bei der Heirat sowieso umziehen wird. Und nach der Heirat versäumen oder verhindern die Schwiegereltern die Wählerregistrierung, da sich die neue Schwiegertochter erst im neuen Haushalt beweisen muss. Andere Wählerinnen haben aufgrund der Doppelbelastung von Beruf und Haushalt schlichtweg keine Zeit sich zur Wahl informieren und am Wahltag wählen zu gehen. Häufig steht bei Wählerinnen auch die Annahme im Raum, dass die Wahl sowieso bereits entschieden oder korrupt ist.
Korruption, Parteienfinanzierung, Parteispenden und Zahlungen an Teilnehmer von Wahlkampfveranstaltungen sind ein bedeutendes Thema in Indien. Es wurde daher ein allgemeiner National Election Fund angeregt, um die Parteienfinanzierung transparenter, offener und fairer zu machen.
Das Thema Transgender-Wähler und deren Geschlechter-Identifikation bei der Wählerregistrierung wurden intensiv von den Panelisten diskutiert. Während die Interviews und Forschungen von Ankita ergaben, dass es für viele Mitglieder der LGBTIQA+ ein Problem ist, widersprach Dr. Quraishi da die Geschlechtsbezeichnung eine Selbstidentifikation ist und jeder Wähler selbst wählen kann ob männlich, weiblich oder anderes/drittes Geschlecht. Prof. Kumar gab als persönliches Beispiel, dass sein Geschlecht seit vielen Jahren falsch markiert ist, aber er trotzdem seit vielen Jahren problemlos wählen kann.
Dr. Klein von FNF Südasien schließt das Webinar mit den Worten: „Indien ist ein positives Vorbild für Demokratie, insbesondere jetzt, da die Demokratie weltweit unter Druck steht.“