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Südkorea
„Krieg“ gegen Corona: Transparenz, Schnelligkeit und rigorose Gesetze

Die Erfolge im Umgang Südkoreas mit der COVID-19-Krise haben ihren Preis, analysiert unser Korea-Experte Dr. Christian Taaks
Drive-Thru-Coronavirus-Testzentrum in Seoul
Gesundheitspersonal sammelt Proben von Patienten in einem Drive-Thru-Coronavirus-Testzentrum im Seoul Metropolitan Eunpyeong Hospital © picture alliance / newscom

Während in Europa die Zahl der Neuinfektionen explosionsartig ansteigt, ist diese in Südkorea massiv zurückgegangen: Seit Mitte März fiel die Zahl der Neuinfektionen unter 100 pro Tag. Die Hoffnung, dass die Wende zum Besseren begonnen hat, steigt. Die Zahlen der als geheilt Entlassenen sind mittlerweile deutlich höher als die der Neuerkrankungen. Dieser Erfolg ist hart erarbeitet – und für eine Entwarnung ist es zu früh. Kann der Umgang Koreas mit der Krise ein Vorbild für Europa sein?

Neue Wege, große Erfolge

Neue Wege, große Erfolge, In dieser Woche hatte die Weltgesundheitsorganisation (WHO) nur höchstes Lob für Südkoreas Umgang mit der Coronakrise. Gepriesen wurden beispielsweise die Kreativität und der zeitgemäße Umgang mit der Pandemie, wie sich beispielsweise in den mittlerweile berühmt gewordenen Drive-Through-Untersuchungen, den zahlreichen Apps sowie dem umfassenden Einsatz von Digitaltechnik zeigt. Doch wären diese Erfolge ohne eine ganz und gar analoge Seite, die härteste körperliche Arbeit mit sich bringt, nicht im Entferntesten erreichbar. Beide Seiten werden mit höchstem Einsatz zusammengebracht: Bewegt man sich beispielsweise durch Seoul, bekommt man mehrmals täglich Eilmeldungen auf das Mobiltelefon gespielt (die sich nicht abstellen lassen), in denen mitgeteilt wird, dass sich in der Nähe ein Infizierter aufgehalten hat, welche besonderen Vorsichtsmaßnahmen nun nötig sind usw. Und ebenso wird darüber informiert, wenn in einer Gegend, die als kontaminationsgefährdet galt, frisch desinfiziert worden ist. In Südkorea sind mittlerweile über 300.000 Corona-Tests durchgeführt worden. Hier wie überall sah man sich in dem Dilemma, dass eine Ansteckung in der Wartezone vor Testdurchführung unbedingt vermieden werden sollte. Auf die Schnelle wurden Teststationen errichtet, von denen es landesweit mittlerweile 70 gibt. Wer kein Auto hat, ist von dieser Untersuchungsform ausgeschlossen, denn der Fahrer muss alleine kommen und selbst die Testperson sein. Wer getestet wird, ist Teil einer hocheffektiven Abfolge von Behandlungsschritten. Innerhalb kürzester Zeit herrscht Gewissheit. Umgehend werden alle notwendigen Maßnahmen eingeleitet.

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Apps allerorten: Entscheidend für Problembehandlung

Schon kurz nach den ersten Infektionsfällen wurden die ersten spezifischen Apps in Umlauf gebracht. Mit diesem Vorgehen ist Südkorea, das weltweit bei den Themen „Smart Cities“, „Digitalisierung“ und „Industrie 4.0“ mittlerweile zu den führenden Nationen gehört, ganz bei sich. Der Feind wird digital bekämpft.

Es war ein junger Student, der früh eine App entwickelte, in der alle landesweit aufgetretenen Infektionsfälle kartiert wurden, so dass jeder einzelne Nutzer feststellen konnte, wie gefährdet die Gegend ist, in der er sich gerade aufhält und wohin er besser nicht reisen sollte. Als die App „coronamap.site“ online ging, war die Lage noch übersichtlich: Es war der 30. Januar und das Land hatte gerade einmal sechs bestätigte Fälle. Die Karte zeigte auch Bewegungsprofile bzw. Reiserouten der Infizierten. Innerhalb von vier Tagen verzeichnete die Seite 8 Millionen Besucher. Seither sind zahlreiche Apps entwickelt worden.

Wenig später stellten vier Studenten eine App online, die dem verbreiteten Gefühl Rechnung trug, dass COVID-19 jeden Einzelnen bedrohe: „corona-nearby“: Der Nutzer gibt seinen aktuellen Standort ein und erfährt umgehend, ob bzw. wo und wie stark die Gegend, in der er sich gerade aufhält, betroffen ist.

Mit dem Auswachsen der Corona-Infektionen zur Pandemie werden, nicht nur in Korea, sondern weltweit, Programme genutzt, die das internationale Ausmaß der Erkrankungen mit zahlreichen Parametern länderspezifisch darstellt und miteinander vergleicht. Am bekanntesten sind die Website der Johns-Hopkins-Universität und „worldometer/coronavirus“.

Doch auch der Staat lässt in Südkorea fleißig Apps entwickeln, deren Einsatz intensiv ist. Wer nach Südkorea einreist, wird nicht nur einer Eingangsuntersuchung mit Fiebermessen unterzogen, sondern auch darauf verpflichtet, sich eine Gesundheits-App auf sein Smartphone zu laden und 14 Tage lang zwei Mal pro Tag Gesundheitsdaten wie z.B. die Körpertemperatur zu übermitteln. Die Strafandrohungen bei Nichteinhaltung der medizinischen Meldeauflagen sind deutlich. Dies gilt für In- und Ausländer gleichermaßen.

Wer sich das Virus eingefangen hat und sich in Selbstquarantäne begeben muss, ist ebenfalls verpflichtet, sich eine App auf sein Smartphone zu spielen, die auch kontinuierlich die GPS-Daten des Erkrankten übermittelt. Eine Privatperson ist man dann nicht mehr wirklich, denn der Staat hat sich mit der Ausrufung der höchsten Gesundheits-Alarmstufe das Recht zum Zugriff auf die Daten des Einzelnen gegeben. Kreditkartendaten, alte und aktuelle Bewegungsprofile und Aufenthaltsorte, Daten von Überwachungskameras jeglicher Art: Alles kann erfasst werden.

Volksgesundheit vor Persönlichkeitsrechten

Das Coronavirus hat die fundamentalen Bürger-, Individual- und Freiheitsrechte in den Schwitzkasten genommen. Es hat eine Art Ausnahmezustand geschaffen, der Demokratien weltweit mit Grundsatzfragen konfrontieren würde – wenn nur der Handlungsdruck nicht so groß wäre. Eine gesellschaftliche Diskussion, die das Ausmaß dieses Zugriffs durch den Staat hinterfragt, gibt es nicht. Die Angst vor Ansteckung ist größer als die Liebe zur Privatsphäre und den bürgerlichen Grundrechten.

Die gesetzlichen Grundlagen dafür wurden bereits bei der letzten großen Gesundheitskrise im Jahre 2015 gelegt, als Südkorea durch den Ausbruch einer MERS-Epidemie (Middle East Respiratory Syndrome) schmerzhafte Lektionen zu lernen hatte. Damals hatte man festgestellt, wie erfolgsentscheidend die Möglichkeit zur Rückverfolgung von Infektionswegen ist, um keine Zeit bei der Eindämmung der Ausbreitung zu verlieren. Dafür braucht es riesige Datenmengen. Die Folge von MERS war nicht nur eine extensive Ausweitung der Kompetenzen des Gesundheitsministeriums. Ebenso wurden die Möglichkeiten zur Datensammlung inklusive der Smartphone-Daten, auf die der Staat nun ausdrücklich das Zugriffsrecht hat, drastisch erweitert. Betroffen sind nicht nur erwiesenermaßen Infizierte, sondern auch alle, die es sein oder werden könnten. Das Gesetz legt dies eindeutig und rigoros fest.

Testen, Tempo, Transparenz

Nach den Erfahrungen aus der MERS-Krise 2015 zog man drei Hauptlehren. Es darf nie wieder ein Mangel an Test-Kits bestehen, es darf keinerlei Verzögerung bei der Umsetzung der Lehren aus neu gewonnenen Erkenntnissen mehr geben und nie wieder einen Mangel an Transparenz.

Gerade die Transparenz ist ein schwieriger Balanceakt, denn es müssen Panik vermieden und die Voraussetzungen eines verantwortungsvollen und effektiven disziplinierten Miteinanders von Regierung, Behörden und Bevölkerung gewährleistet werden. Die Regierung hat auch unangenehme Wahrheiten zu keiner Zeit unterschlagen, täglich die neuesten Zahlen vorgelegt und dabei eine beträchtliche Unzufriedenheit darüber in Kauf genommen, dass die Fallzahlen zeitweise explosionsartig stiegen und Südkorea sich wochenlang hinter China auf Platz 2 der Infektionsweltrangliste fand. Die Unzufriedenheit in der Bevölkerung darüber war groß: Eine Onlinepetition für ein Amtsenthebungsverfahren gegen Präsident Moon Jae-in im Februar mit dem Vorwurf eines unzureichenden Krisenmanagements erhielt noch vor wenigen Wochen binnen weniger Tage über 1,5 Millionen Unterschriften.

Die Erklärung für Koreas wochenlangen 2. Platz in der Welt-Infiziertenliste ist einfach: Wer viel testet, findet viel. Bis heute wurden in Südkorea weit über 300.000 Tests durchgeführt und man hat jeweils sofort gehandelt, und damit die Ausbreitung entscheidend eingedämmt. Ein Glaubwürdigkeitsproblem wie in China, wo die Bevölkerung der Regierung und ihrer Presselenkung aus Erfahrung und mit guten Gründen misstraut, gab es in Südkorea zu keiner Zeit. Das Nachbarland Japan hat bislang noch immer weniger als 1.000 gemeldete Corona-Fälle, was viele Experten aber auf die geringe Anzahl an Tests zurückführen.

Auch wenn viele Südkoreaner trotz der zahlenmäßigen Erfolge noch immer unzufrieden mit der Regierung sind, so ist das Grundvertrauen in die Bewältigung der Krise nie erschüttert gewesen. Es gibt beispielsweise praktisch keine Hamsterkäufe und auch die Disziplin der Bevölkerung im Umgang mit COVID-19 ist bemerkenswert. Von den oben beschriebenen Möglichkeiten der Ausnahmegesetzgebung ist ein großer Teil der zur Verfügung stehenden Optionen gar nicht gezogen worden. Die Appelle an die Bevölkerung sind so eindringlich wie in Europa – aber sie werden sehr viel stärker befolgt. Restaurants sind ebenso geöffnet wie Läden, der ÖPNV verkehrt in vollem Umfang - aber es ist eben Alles deutlich leerer als sonst, da die Menschen unnötige Wege vermeiden, teils aus Angst, teils aus Einsicht.

Einsatz bis zur Erschöpfung

Man kann sich als Außenstehender kaum vorstellen, mit welcher Gründlichkeit und Konsequenz in Korea dieser Tage geputzt, gekehrt und desinfiziert wird - zumal wenn man aus der deutschen Hauptstadt zugereist ist, die gerne mit ihren Verwahrlosungstendenzen kokettiert, da Politik und Verwaltung zum Gegensteuern nicht in der Lage sind oder andere Prioritäten haben.

In Seoul wird der öffentliche Raum quasi zur Hochreinheitszone. Da vieles rund um die Uhr geschieht und viel mehr Menschen zuhause bleiben als sonst üblich, fällt das manchen gar nicht auf. Ein großer Teil der zahlreichen Helden, beispielsweise im Gesundheitssektor, arbeitet unbemerkt von einer breiteren Öffentlichkeit. Eine von der englischsprachigen Tageszeitung Korea Times vor einigen Tagen veröffentlichte Fotoserie erregte einiges Aufsehen. Sie zeigte Bilder von durch Anstrengungen des Krankenhausdienstes gezeichnetem Krankenhauspersonal, stellte diese Menschen kurz vor und präsentierte deren Einstellung zum Kampf gegen die Coronakrise. Einige ließen sich mit geballter Faust ablichten – und alle hatten von den ständig zu tragenden Schutzmasken und den aufopferungsvollen Anstrengungen deutlich gezeichnete Gesichter.

Ängste sind ansteckender als das Virus und können Wahlen entscheiden

Wie dünn das Eis ist, auf dem in einer solchen Krise selbst ein diszipliniertes Volk wie das koreanische wandelt, zeigte sich in den letzten Wochen in der Maskenfrage. Durch die hohe Feinstaubbelastung sind Koreaner, wie auch die Bevölkerung anderer asiatischer Länder, an das Tragen solcher Masken durchaus gewöhnt. Einen Mangel an solchen Masken kennt man nicht, denn sie sind in normalen Zeiten stets in allen Qualitäten und Preisklassen verfügbar.

Regierung und Behörden hatten in der Coronakrise zunächst geraten, Masken zur Ansteckungsvermeidung zu tragen und diese auch oft zu wechseln. Als nun plötzlich im Angesicht der gefühlten Bedrohung praktisch jeder eine Maske trug und diese knapp wurden, war der Unmut groß, zumal der öffentliche Rat plötzlich lautete, die Masken einfach länger zu tragen. Die Emotionen kochten vollends hoch, als ruchbar wurde, dass Millionen von Atemmasken mit Genehmigung der Regierung nach China exportiert worden waren. Die Gesichtsmasken waren so ziemlich die einzigen Panikkäufe der Koreaner.

Eigentlich wäre in Südkorea zurzeit Wahlkampf für das am 15. April neu zu wählende Parlament. Da das öffentliche Leben stark eingeschränkt ist, weichen die Parteien auf das Internet aus und es wird sicherlich später zu klären sein, ob die speziellen Rahmenbedingungen und Auswirkungen der Coronakrise einzelne Parteien oder Bewerber unzulässig benachteiligt haben werden. Wahlentscheidend dürfte sein, welche Partei am glaubwürdigsten Szenarien zur Lösung von Ängsten entwickeln kann, von denen es viele gibt. Die Bewältigung der Pandemie wird ein entscheidender Faktor für die Stimmabgabe der Wähler sein, doch nicht der einzige: Der Wahlkampf wäre eigentlich die Zeit der Abrechnung mit einigen Grundproblemen gewesen, die ja unverändert fortbestehen und von denen sich durch die Seuche manche noch verstärken werden. Explodierende Boden- und Mietpreise, unverändert hohe Jugendarbeitslosigkeit, grundlegende Veränderungen in Wirtschaft und Arbeitswelt, um nur einige Punkte zu nennen, sind die Themen, die den koreanischen Wählern auf den Nägeln brennen. Eines ist sicher: Politik wird auch nach der Bewältigung der Coronakrise in Südkorea ein anstrengendes Geschäft bleiben.

 

Dr. Christian Taaks ist Projektleiter Korea der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit mit Sitz in Seoul