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Südafrikas Wahljahr und die Hoffnung auf ein neues 1994
Die bevorstehenden Wahlen könnten Südafrika grundlegend verändern. Dem seit dem Ende der Apartheid regierenden Afrikanischen Nationalkongress (ANC) werden jahrelange Misswirtschaft und Korruption vorgeworfen. Die Infrastruktur des Landes ist verlottert. Die Wirtschaft leidet. Viele Südafrikaner wünschen sich einen Neuanfang. Wie stehen die Chancen auf eine transformative Ära des Wandels und der Erneuerung? Ein Interview mit Wayne Alexander, der die Liberale Werkstatt der Stiftung in Kapstadt leitet.
Freiheit.org: Der Wahltermin steht noch nicht fest. Trotzdem ist der bevorstehende Urnengang in Südafrika und im Ausland in aller Munde. Was ist dieses Jahr so besonders?
Wayne Alexander: 1994 fanden in Südafrika die ersten demokratischen Wahlen nach dem Prinzip "one man, one vote" statt. Damit begann für die "Regenbogennation" unter der Führung von Nelson Mandela eine neue Ära der Hoffnung, da sie sich endlich einer demokratischen Ordnung rühmen konnte.
Springen wir ins Jahr 2024, dreißig Jahre nach dieser historischen Wahl. Südafrika steht am Ende seiner sechsten Legislaturperiode und mitten im Wahlzyklus. Die Regierungspartei, der nach dem Befreiungskampf an die Macht gekommene Afrikanische Nationalkongress (ANC), hat durch Korruptionsvorwürfe und mangelnde Bürgernähe viel von ihrer politischen Macht eingebüßt.
Theoretisch könnte diese Wahl die dreißigjährige Herrschaft des ANC beenden. Viele Umfragen sagen ihm einen Stimmenanteil von unter 50 Prozent voraus. Dann müsste er sich einen Koalitionspartner suchen. Das wäre politisches Neuland.
Wahltermin bestätigt
Wann werden die Wahlen stattfinden?
Vergangene Woche wurde der 29. Mai als Wahltermin festgelegt. Ursprünglich erwarteten wir, dass Präsident Ramaphosa das Datum bereits in seiner State of the Nation Ansprache am 8. Februar bekannt geben würde. Diese ist ein wichtiges politisches Ereignis und war heuer eindeutig dem Wahlkampf des ANC gewidmet. Dass Ramaphosa hier noch keinen Wahltermin nannte, deutet darauf hin, dass sich der ANC noch nicht bereit für die anstehende Wahl fühlt. Letztlich hatte der Präsident jedoch wenig Spielraum, da Ende August der gesetzlich spätestmögliche Termin ist.
Wählerregistrierung garantiert die Ausübung des Wahlrechts
Vor kurzem wurden die südafrikanischen Bürger aufgerufen, sich für die Wahlen registrieren zu lassen. Wie trägt die Wählerregistrierung zu einem gesunden und fairen Wahlsystem in Südafrika bei?
Während der Apartheid wurden Wählerregistrierung und Wählerlisten gezielt eingesetzt, um große Teile der Bevölkerung von demokratischer Teilhabe auszuschließen. Seit 1994 garantiert die Wählerregistrierung die Ausübung des Wahlrechts. Verantwortlich für die Durchführung ist die IEC, die nicht dem Präsidenten, sondern dem Parlament gegenüber rechenschaftspflichtig ist. Damit ist die IEC eine unabhängige und starke Hüterin des südafrikanischen Wahlsystems.
Die Wählerregistrierung fand am 19. und 20. November 2023 sowie am 3. und 4. Februar 2024 statt. Im ganzen Land wurden über 23.000 Registrierungsstellen eingerichtet. Fast 5 Millionen Südafrikaner haben sich entweder neu bzw. zum ersten Mal registrieren lassen oder ihr zugewiesenes Wahllokal überprüft. Im Ausland lebende Südafrikaner konnten sich in den Botschaften registrieren lassen.
Lassen sich aus der Wählerevidenz Trends ablesen?
Die Wahlkommission gab bekannt, dass 1,1 Millionen neue Wähler in die Wählerlisten eingetragen wurden. Damit stieg die Zahl der registrierten Wähler in Südafrika von 26,3 Millionen auf 27,4 Millionen.
Allerdings sind rund 14 Millionen Wahlberechtigte noch nicht registriert. Die Wahlbeteiligung ist daher rückläufig. Eine niedrige Wahlbeteiligung nützt den etablierten Parteien, kann aber in einer jungen Demokratie wie Südafrika zu Instabilität führen. Da der Populismus auf dem Vormarsch ist, könnte sich die Enttäuschung der Bürger über die amtierende Regierung im schlimmsten Fall in Protesten und Gewalt entladen. Wir müssen mehr tun, um neue Wähler zur Stimmabgabe zu bewegen.
Kampf gegen Korruption und Parteienalterung
Warum fehlt das Interesse? Und wen betrifft das am meisten?
Leider sind es vor allem junge Menschen, die sich nicht registrieren lassen. Wie viele Südafrikanerinnen und Südafrikaner sind sie frustriert von Korruption, unnahbaren Politikern und dem Mangel an neuen Ideen in den überalterten, männerdominierten Parteien. Viele wollen sich deshalb gar nicht erst engagieren. Wahlkommission und Parteien, aber auch die Zivilgesellschaft arbeiten hart daran, junge Wähler zur Registrierung zu bewegen. Ground Work Collective ist ein solches Projekt, das interaktives Marketing und Musikkonzerte nutzt, um junge Menschen für politisches Engagement zu begeistern.
Was sagen die Experten über den Wahlausgang voraus?
Eine Gruppe südafrikanischer Kommentatoren nahm kürzlich an einem von der Friedrich-Naumann-Stiftung unterstützten Web-Talk mit dem Titel "Reality Check with Redi Tlhabi" teil. Im Mittelpunkt der Diskussion standen die politische Landschaft und die Zukunft des Landes. Alle waren sich einig, dass ein Wandel dringend notwendig ist. Bei den Wahlprognosen wird es schwieriger. Der ANC wird wohl an der Macht bleiben. Ob mit absoluter Mehrheit ist fraglich. Wahrscheinlicher ist eine Koalition mit einer anderen Partei.
Die kommenden Wahlen werden aber auch Veränderungen in der Oppositionslandschaft mit sich bringen. Neue Parteien, wie Rize Mzansi oder Action SA, sind hinzugekommen und könnten in Zukunft einflussreiche politische Kräfte werden. Der ANC, selbst wenn er wieder die Regierung stellt, wird vermutlich weiter in der Wählergunst abrutschen, es sei denn, man schafft es, das Ruder herumzureißen und die dringenden Probleme Südafrikas endlich anzupacken. Mit Sicherheit werden die nächsten Monate, auch über die Wahlen hinaus, sehr spannend bleiben.
Wayne Alexander leitet die Liberale Werkstatt der Stiftung in Kapstadt.