Slowakei
5 Jahre nach dem Mord an Journalist Ján Kuciak
Es geschah am 21. Februar 2018. Ein kleines Dorf in der Westslowakei wurde von Schüssen erschüttert. Und diese Schüsse sollten bald die ganze Slowakei und am Ende die ganze Welt erschüttern: In einem mitteleuropäischen, an sich demokratischen Land wurde ein junger Investigativjournalist mit seiner Verlobten in ihrem Haus erschossen. Ein Mord mit politischen Motiven und ein präzedenzloser Fall, der das Gesicht der Slowakei für immer verändern sollte. Das Vertrauen in die Politik musste anschließend wiederhergestellt und eine neue fortschrittliche und pro-westliche Slowakei mit einer demokratischen Regierung an der Spitze aufgebaut werden. Konnte sich das Land fünf Jahre nach diesem Mordfall von der Korruption befreien und seine politische Kultur verändern? Was haben die Slowaken aus der Geschichte gelernt?
Der Mord und seine Folgen
Es war ein vorsätzlicher Mord, der aufgrund der journalistischen Arbeit Kuciaks im Auftrag verübt wurde. Neben dem bekannten betrügerischen Geschäftsmann Marián Kočner, dessen illegale Aktivitäten Kuciak seit Jahren verfolgte, gehörten zu den Hauptverdächtigen auch höchste staatliche Funktionäre aus der damals regierenden Partei SMER-SD („Richtung-Sozialdemokratie“). Wie sich kurz nach dem Tod des Journalisten herausstellte, hatte Kuciak auf Grundlage seiner investigativen Arbeit die Verbindungen mehrerer slowakischer Politiker und Geschäftsleute zur italienischen Mafia ’Ndrangheta‘ aufgespürt und eine umfangreiche Reportage darüber vorbereitet. Der Mord und die spätere Veröffentlichung der journalistischen Enthüllungen von Kuciak trieben landesweit Menschen auf die Straße, um gegen die korrupte Regierung zu protestieren, die "den Staat entführt" hatte. Das Verbrechen löste die größten Demonstrationen seit dem Sturz des Kommunismus im Jahr 1989 und eine politische Krise aus und führten am Ende zum Rücktritt des Smer-Chefs Robert Fico sowie des Polizeipräsidenten, und zum umfassenden Umbau der Regierung. Es wurde kein Misstrauensvotum gestellt, weil die damalige SMER-Regierung eine zu starke Mehrheit im Parlament hatte.
Neue Regierung, neuer Anfang?
Dieser Vorfall hatte weitreichende Folgen für alle drei damaligen Regierungsparteien. Bei den Präsidentschaftswahlen im Frühjahr 2019 besiegte Zuzana Čaputová (ursprünglich die Vizepräsidentin der liberalen Partei Progressive Slowakei) den SMER-Kandidaten Marián Šefčovič. Im Frühjahr 2020 gewann die OĽANO-Bewegung („Gewöhnliche Leute und unabhängige Persönlichkeiten“) unter der Führung von Igor Matovič, der sich Jahre zuvor als Kämpfer für die ‚einfachen Menschen‘ und gegen die Korruption präsentiert hatte, die Parlamentswahlen mit einem Erdrutschsieg. SMER verlor damals 10 % der Stimmen im Vergleich zu den vorherigen Wahlen 2016 und ihre Koalitionspartner MOST-HID „Die Bücke“ und SNS („Slowakische Nationalpartei“) erreichten nicht einmal die 5-Prozent-Hürde. Das war ein klarer Beweis dafür, dass sich die Slowaken nach einem Wandel sehnten und die Korruption und mafiöse Praktiken in der Politik nicht länger akzeptieren werden. Die Atmosphäre im Land verbesserte sich, die Hoffnungen auf Veränderung und Fortschritt wuchsen. Die außenpolitische Ausrichtung des Landes unter Präsidentin Čaputová und Matovičs Regierung wurde als eindeutig proeuropäisch und prowestlich wahrgenommen. Frau Čaputová erhielt letztendlich mehrere Auszeichnungen für Ihre Arbeit und Repräsentation der Slowakei, unter anderem auch den Freiheitspreis der Friedrich Naumann Stiftung für die Freiheit.
Der Prozess und juristische Folgen
Angeklagt als Auftraggeber des Mordes an Ján Kuciak und Martina Kušnírová wurde schließlich der Geschäftsmann Marián Kočner. Der Mord sollte von seiner Bekannten Alena Zsuzsová arrangiert worden sein. Der Strafgerichtshof in der Slowakei sprach sie 2020 allerdings aufgrund mangelnder Beweise frei. Das löste große Enttäuschung in der Gesellschaft aus. Der Täter und Auftragsmörder verbüßt jedoch bereits seine Strafe und kooperiert mit den Behörden. Er weist eindeutig auf Kočner und Zsuzsová hin, die inzwischen wegen Steuerbetrugs und Vorbereitungen für andere Morde verurteilt wurden. In diesen Tagen rollte ein Gericht in der Slowakei den Mordfall aufgrund neuer Indizien wieder auf, aber der Ausgang des Verfahrens ist noch ungewiss.
Sicher ist jedoch, dass die Probleme bei der Verurteilung der Täter in diesem für die Slowakei wegweisenden Fall ein schlechtes Licht auf die slowakische Justiz und Staatsanwaltschaft werfen. Abgesehen davon, dass die slowakische Staatsanwaltschaft seit den Zeiten des Kommunismus nicht reformiert wurde, wurde sie lange Zeit von Ficos Verbündeten besetzt und manipuliert, die so nachweislich viele Fälle unter den Teppich kehren konnten. Obwohl die Viererkoalition viele Personen aus Spitzenpositionen entfernte und zusammen mit dem Nationalen Kriminalamt Ermittlungen in vielen Korruptionsfällen aufnahm, endeten die meisten davon mit einem Freispruch der Täter. Denn auch die neue Staatsführung schaffte es nicht, alle SMER-treuen Personen vollständig aus ihren Ämtern zu entfernen, geschweige denn die in der Slowakei unbedingt notwendige Reform der Staatsanwaltschaft auf den Weg zu bringen.
Hohe Erwartungen, zerplatzte Hoffnungen
Trotz der zunächst hohen Erwartungen an die neue Staatsführung blieb auch die innenpolitische Lage im Lande nicht lange so harmonisch und traumhaft, wie es sich alle wünschten. Nicht nur, weil die neue Regierung mitten in der Corona-Pandemie ihr Amt antrat und vor vielen Herausforderungen stand, sondern auch, weil die Arbeit der Viererkoalition zudem von Anfang an von Streitigkeiten geprägt war. Es ging vor allem um Igor Matovič, der seinen Kollegen und seinen Experten kaum zuhörte und oft rein nach eigener Willkür regierte. Igor Matovič entpuppte sich als ein recht unprofessioneller Populist, der mit seinen spontanen Ideen die Staatskasse stark belastete. Nach einem skandalträchtigen geheimen Einkauf des in der EU nicht zugelassenen russischen Covid-Impfstoffes Sputnik, mit dem sich letzendlich auch nur wenige Slowaken impfen lassen wollten, musste Matovič unter dem Druck seiner Koalitionspartner zurücktreten.
Im Amt des Finanzministers, das er danach übernahm, setzte er jedoch seine Alleingänge fort, bis am Ende die Partei SaS („Freiheit und Solidarität“) die Regierung im Sommer 2022 verließ. Die Konflikte um Matovič führten schließlich zum Sturz der Regierung durch ein Misstrauensvotum kurz vor Weihnachten 2022. Die Präsidentin forderte vorgezogene Neuwahlen, und zwar so früh wie möglich. Das Parlament stimmte jedoch für den spätestmöglichen Termin, den 30. September, d.h. 9 Monate nach dem Sturz der Regierung und weniger als 5 Monate vor dem Termin für die nächsten regulären Wahlen. Die Präsidentin hat inzwischen abermals einen früheren Termin eingefordert, um die Situation im Lande zu beruhigen und wieder Ordnung herzustellen.
Statt Fortschritt Chaos und Empörung
Das wünschen sich auch viele Slowaken, die das Regierungschaos schnell beenden möchten. Die Wahl von Matovič war aus Sicht vieler ein fataler Fehler. Ein politischer Opportunist, der ein von Korruption und Lügen erschöpftes Land übernahm und die Slowaken mit seinen populistischen Versprechungen mit großen Hoffnungen erfüllte, die schon nach wenigen Monaten seines Amtes wie eine Seifenblase zerplatzten. Entsprechend hat er damit nur die schleichende Delegitimierung der demokratischen Kräfte im Lande weiter befördert. Aufgrund des Versagens der regierenden Parteien und ihrer Streitigkeiten von der ersten Stunde ihrer Amtszeit an waren die Chancen für die alten Kader der Sozialdemokraten, eigene Agenda umzusetzen, noch immer nicht ganz versiegt. Und im Zuge der Akkumulation der zahlreichen Krisen der letzten drei Jahre wurden Wut und Zukunftsangst in einer frustrierten Bürgerschaft durch andere Parteien genährt, die sich weiterhin ausgesprochen bedenklich und gefährlich präsentieren.
Die Rede ist nicht nur von SMER, sondern auch von der neofaschistischen Partei Republika und der neuen Partei HLAS („Stimme“ – eine Abspaltung von SMER – Sozialdemokraten). Diese Parteien (außer Republika) führen derzeit in den Umfragen vor den Wahlen, weil sie einfache Wege aus der Krise und die Lösung aller Probleme versprechen, die in den folgenden Errungenschaften bestehen sollen: ein Ende der Unterstützung der Ukraine, die laut der populistischen Rhetorik dieser drei Parteien den Krieg nur verlängern würde und die Abwahl „unfähiger“ Politiker, die laut Fico und seinen Parteifreunden die Verantwortung für alle Probleme der Slowakei tragen. Dabei will er allerdings vergessen machen, was er selbst im Land vor fünf Jahren angerichtet hatte, was ihm auch zu gelingen scheint. Ein Comeback Ficos ließe nur eine Schlussfolgerung zu: Die Slowakei hat aus der Vergangenheit nicht gelernt.