EN

MENA
100 Tage nach dem Sturz des Assad-Regimes

Ein Blick aus der MENA-Region auf den Machtwechsel in Damaskus
Ein Mädchen sitzt auf den Schultern eines Mannes und schwenkt eine syrische Oppositionsflagge während einer Kundgebung in Idlib, Syrien,

Ein Mädchen sitzt auf den Schultern eines Mannes und schwenkt eine syrische Oppositionsflagge während einer Kundgebung in Idlib, Syrien.

© picture alliance / Middle East Images | Omar Albaw

Die Analyse aus der Türkei, dem Libanon, Jordanien, Israel, Ägypten, Tunesien und Marokko

100 Tage nach dem Sturz der Assad-Diktatur durch die Hay'at Tahrir al-Sham (HTS)  und mit ihr verbündeter Rebellengruppen am 8. Dezember 2024 befinden sich die Länder der MENA-Region in einem radikal veränderten Umfeld und weiterhin in einem Prozess der Neuorientierung ihrer Beziehungen zu Syrien.

Die tiefgreifende Verschiebung der regionalen Machtbalance, die drastische Schwächung der vom Iran angeführten sogenannten „Achse des Widerstands“ im Krieg mit Israel sowie die ideologische und außenpolitische Neuausrichtung Syriens nach dem Sturz des Assad-Regimes zwingen die Staaten der Region, ihre Interessen und politischen Strategien gegenüber Damaskus neu zu justieren.

Während einige Länder eine strategische Neupositionierung anstreben, stehen andere vor sicherheitspolitischen oder ideologischen Dilemmata.

Diese Analyse untersucht die bilateralen Dynamiken ausgewählter Staaten der Region, vor allem an Bürostandorten der Stiftung, im Umgang mit Syrien nach dem Machtwechsel. Im Fokus stehen hierbei folgende Fragen: 

  • Welche Bedeutung hatte Syrien für das jeweilige Land vor dem Sturz Assads? 
  • Wie war die Haltung von Regierung und Öffentlichkeit gegenüber dem Assad-Regime? 
  • Wie wurde der Sturz Assads und der Machtwechsel aufgenommen?
  • Wie steht das Land zu den neuen islamistischen Machthabern und der Übergangsregierung unter Ahmad al-Sharaa in Damaskus? 
  • Welche Potenziale für bilaterale Kooperation oder Konflikte zeichnen sich ab? 

Die folgenden Länderanalysen der Projektleiter und Experten der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit in der MENA-Region liefern eine komprimierte Einschätzung dieser Aspekte.

 

Klicken Sie sich durch die einzelnen Länderanalysen.

  • Aret Demirci (Istanbul)

    Unter den politischen Führern weltweit gibt es nur noch zwei von Bedeutung: Wladimir Putin und ich“. Nur wenige Stunden nach Bekanntwerden des Umsturzes des Assad-Regimes im Nachbarland Syrien sprach der türkische Präsident vor Jugendlichen in der südöstlichen Industriestadt Gaziantep und unterstrich womöglich mit diesen Worten bereits seine Ambitionen im neuen Syrien.

    Als hätte es eines weiteren Belegs für seine Ambitionen bedurft, ließ Erdogan wenige Wochen später den neuen starken Mann Syriens, Übergangspräsident al-Sharaa, eigens mit dem Präsidentenflugzeug von Damaskus nach Ankara einfliegen – mehr Machtdemonstration geht kaum.

    Syrien wird die Unterstützung der Türkei niemals vergessen“, bedankte sich al-Sharaa pflichtgemäß in der Pressekonferenz bei seinem Gastgeber und lud ihn nach Syrien ein. Damit war der Ton für diesen Tag gesetzt.

    Der unerwartete wie überraschende Machtwechsel im Nachbarland sorgte umgehend auch für große Euphorie unter regierungsfreundlichen Journalisten. Manche gingen sogar so weit, dass sie bereits in Livesendungen türkische Kfz-Kennzeichen an syrische Städte vergaben – 82 für Aleppo, 83 für Damaskus und so weiter. Der Umsturz in Damaskus sorgte für einen zeitweiligen Aufschwung in den Umfragewerten der regierenden AKP, die seit den verlorenen Kommunalwahlen Ende März des vergangenen Jahres und aufgrund der anhaltenden Inflation im stetigen Fall waren.

    Präsident Erdogan und die Türkei gehören zweifelsohne zu den Siegern des Regimewechsels - Berichten zufolge soll es beim Gespräch im Präsidentenpalast neben den syrischen Flüchtlingen in der Türkei, der Wiederaufnahme diplomatischer Beziehungen, wirtschaftlicher Zusammenarbeit auch um die Unterzeichnung eines Verteidigungsabkommens gegangen sein. Spekulationen zufolge umfassen diese Abkommen eine „gemeinsame Verteidigung, die Einrichtung offizieller türkischer Stützpunkte in Syrien und die Ausbildung syrischer Offiziere und Piloten“. In mehreren türkischen Medien wurde in den Tagen darauf spekuliert, was genau das Verteidigungsabkommen beinhalten könnte. Ein Beamter des türkischen Verteidigungsministeriums erklärte wenige Tage später, es sei „zu früh“, um über Verteidigungsabkommen mit Syrien zu sprechen. Seine Aussage dementierte die zuvor bekannten Berichte zu dem Thema allerdings auch nicht vollständig.

    Erdogan hat in den zurückliegenden Jahren viel investiert im Nachbarland. Syrien war schon immer Chefsache für den Präsidenten und jetzt ist es an der Zeit für ihn, den Gewinn dieser Investition einzufahren. Ankara hat gleich von Beginn an des Bürgerkriegs oppositionelle - und zum Teil islamistische - Kräfte in Syrien unterstützt sowie mehrere Millionen syrische Flüchtlinge bei sich im Land aufgenommen.

    Selbst die herbe Niederlage der AKP bei den Kommunalwahlen im vergangenen Jahr führen einige Beobachter teilweise auf den wachsenden Unmut - auch unter den AKP-Wählern - gegen die mehr als dreieinhalb Millionen Syrer im Land zurück. Selbst wenn die Türkei im Rahmen des Flüchtlingsdeals finanzielle Unterstützung aus Brüssel erfahren hat, so musste auch Ankara für die Versorgung der Syrer im eigenen Land tief in die Tasche greifen.

    Kenner der Region mutmaßen, das erwartete Verteidigungsabkommen deute auf die Bemühungen Ankaras hin, den schwächelnden Einfluss Moskaus in Syrien zu ersetzen, insbesondere angesichts der stockenden Verhandlungen über die Zukunft russischer Stützpunkte auf syrischem Boden. Darüber hinaus solle so der Weg zur Kontrolle der syrischen Wirtschaft geebnet werden – gleich nach dem Umsturz in Syrien schossen die Aktien von Baufirmen an der Istanbuler Börse aufgrund der erhofften Aufträge im Zuge des Wiederaufbaus des kriegsgeplagten Nachbarlandes in die Höhe.

    Mit der Wahl von Donald Trump gibt es in Regierungskreisen die nicht öffentlich artikulierte Hoffnung, die USA würden sich bald gänzlich aus Syrien zurückziehen und ihren kurdischen Partner, die Volksverteidigungseinheiten (YPG), die Ankara wiederum als den syrischen Ableger der türkisch-kurdischen Terrororganisation PKK ansieht und ebenfalls als Terrororganisation einstuft, fallenlassen. Die enge Beziehung zwischen Washington und den syrischen Kurden ist Ankara schon seit Langem ein Dorn im Auge. Zwischenzeitlich, als die YPG nahezu die gesamte Grenze zwischen Syrien und der Türkei kontrollierte, gab es die Befürchtung, ein kurdischer Staat auf der anderen Seite der Grenze sei im Entstehen mit all ihren möglichen Folgewirkungen für die Türkei und dem Konflikt mit der PKK.

    Doch die Entwicklungen im Nachbarland haben auch eine starke innenpolitische Dimension, die für Präsident Erdogan immer Vorrang hatte vor der außenpolitischen. Derzeit geht es dem Regierungsapparat darum, einen Weg zu finden, der eine weitere Amtszeit für Erdogan als Präsident ermöglichen würde, die – laut derzeitiger Verfassung – schlichtweg nicht möglich ist.

    Es sei denn: Das Parlament löst sich vorzeitig selbst auf und macht damit den Weg frei für vorgezogene Neuwahlen oder im Rahmen einer Verfassungsreform wird eine weitere dritte Amtszeit ermöglicht. Für keine der beiden Optionen reicht die derzeitige Mehrheit der Regierungsallianz, bestehend aus der AKP und ihrem Alliierten, der nationalistischen MHP. Auch wenn derzeit nahezu tagtäglich unabhängige Abgeordnete zur AKP überlaufen, wird die Regierungsallianz ohne die Unterstützung weiterer Parteien die notwendige Mehrheit für eine der beiden Optionen nicht zusammenkriegen.

    Die republikanische CHP, größte Oppositionspartei und haushoher Sieger bei den vergangenen Kommunalwahlen, hat eine Unterstützung für eine vorzeitige Auflösung des Parlamentes nach November 2025 ausgeschlossen. Doch Präsident Erdogan ist an Neuwahlen noch in diesem Jahr unter den derzeitigen wirtschaftlichen Problemen nicht interessiert – er will erst die Inflation unter Kontrolle kriegen, die Wirtschaft ankurbeln und somit eine gute Ausgangsposition für Neuwahlen schaffen.

    So bleibt als aussichtsreichster Partner die viel gescholtene prokurdische DEM übrig. Einerseits werden immer wieder Bürgermeister der DEM mit zum Teil fadenscheinigen Terrorvorwürfen abgesetzt, andererseits ist die Partei Gesprächspartner für die Regierung im Zuge eines erneuten Friedensprozesses mit den Kurden. Der inhaftierte PKK-Anführer Öcalan hat in einem historischen Aufruf am 27. Februar die PKK aufgefordert, die Waffen niederzulegen, den Kampf zu beenden sowie sich selbst aufzulösen. Ob auch die YPG sich dem Aufruf Öcalans anschließen wird, ist ungewiss.

    Es wird spekuliert, die DEM könnte Erdogan unterstützen falls wiederum im Gegenzug der chronische Kurdenkonflikt gelöst wird und die Kurden sprachlich wie kulturell eine Gleichstellung erfahren. Details zu Gesprächsinhalten gibt es dabei keine, das Ganze läuft bislang hinter verschlossenen Türen ab.

    Beobachter vermuten, die Regierung versuche die YPG in Syrien zu schwächen, um so die Verhandlungsmasse der DEM zu reduzieren – umgekehrt würde eine starke YPG in Syrien auch die Kurden in der Türkei stärken, das Ankara auf jeden Fall versuchen werde zu vermeiden.

    Auch wenn die Entwicklungen in Syrien Erdogans Image international aufgewertet zu haben scheinen, bergen sie auch Gefahren und Risiken für die Türkei. Es wäre zu naiv zu glauben, dass das Ende des Baath-Regimes und der Assad-Diktatur umgehend zu stabilen Verhältnissen im Nachbarland führen werden.

    Es bleibt abzuwarten, ob al-Sharaa und seine HTS-Miliz in der Lage sein werden, das Land und ihre Menschen zu einen. Es besteht das nicht zu unterschätzende Risiko, dass Syrien abermals in einen Bürgerkrieg entgleitet oder sich in Stücke zerteilt, mit Auswirkungen wie Terror oder weitere Flüchtlingsströme für die Türkei.

  • Ralf Erbel (Berlin)

    Nur 85 Kilometer Luftlinie oder 110 landschaftlich reizvolle und kurvenreiche Straßenkilometer trennen Beirut und Damaskus. Die Route führt durch zwei Gebirgszüge und das Bekaa-Tal und steht sinnbildlich für die enge wie spannungsgeladene Verbindung der beiden Nachbarstaaten.

    Die tiefen und vielschichtigen Beziehungen beider Länder wurzeln in ihrer langen gemeinsamen Geschichte und familiären Verbindungen. Während das überwiegend von Christen und Drusen besiedelte Libanongebirge – Kernzelle der libanesischen Identität - bereits seit dem 16. Jahrhundert im Osmanischen Reich über ein gewisses Maß an Autonomie verfügte, entstand der „Groß-Libanon“ in seinen heutigen Grenzen, wie auch das moderne Syrien, erst unter dem französischen Protektorat nach dem 1. Weltkrieg.

    Die beiden aus der „Konkursmasse“ des untergegangenen Osmanischen Reichs entstandenen Staaten stießen jedoch bei Anhängern der panarabischen und pansyrischen Nationalbewegungen - vor allem in Syrien selbst, aber auch bei Anhängern im Libanon - auf Ablehnung. Libanesen und Syrer seien „ein Volk in zwei Staaten“ – eine Position, die nicht zuletzt auch von Vertretern des Baath-Regimes in Syrien vertreten wurde.

    Nach ihrer Unabhängigkeit schlugen die beiden Nachbarn jedoch, allen historischen Gemeinsamkeiten zum Trotz, nicht nur unterschiedliche, sondern in entscheidenden Punkten sogar gegensätzliche Wege ein:

    Der Libanon wurde zu einer freien Marktwirtschaft in der Tradition des „laissez-faire“ und politisch zu einer „konfessionellen Demokratie“ mit einem hohen Maß an Meinungs- und Pressefreiheit. Jedoch vermochte der traditionell fragile Staat es nicht, die tiefen gesellschaftlichen und konfessionellen Spannungen sowie politischen Krisen im Land zu entschärfen.

    Syrien hingegen entwickelte sich unter der Baath-Partei (seit 1963) und vor allem der Assad-Dynastie (seit 1970) zu einem autoritären, repressiven Staat mit ausgeprägtem Personenkult und einer sozialistisch und staatlich geprägten Wirtschaft.

    Bereits während des libanesischen Bürgerkriegs (1975-1990), vor allem aber in der als „Pax Syriana“ bezeichneten Nachkriegszeit von 1990 bis 2005, dominierte Syrien als Hegemonialmacht die libanesische Politik mit Hilfe seines Militärs, seines berüchtigten Sicherheitsapparats und politischer Allianzen. Das später als „Achse des Widerstands“ bezeichnete Bündnis zwischen Syrien, dem Iran und der libanesischen Hisbollah begann bereits in den 1980er-Jahren und ermöglichte den unheilvollen Aufstieg der Hisbollah zum mächtigen „Staat im Staate“.

    Erst in der Folge des politischen Erdbebens („Zedernrevolution“) im Jahr 2005 nach dem Mord an Premierminister Rafik Hariri, der wie kein anderer libanesischer Politiker nach dem Bürgerkrieg als Hoffnungsträger für den Wiederaufbau und -aufstieg des Libanon galt, zog Damaskus erst seine Truppen ab und machte anschließend im Jahr 2008 - sechs Jahrzehnte nach der Unabhängigkeit - den Weg für die Aufnahme formeller diplomatischer Beziehungen frei.

    Ab Ende 2012 griff die Hisbollah zunächst verdeckt, ab dem Frühjahr 2013 dann neben Iran und Russland offen in den syrischen Konflikt ein und rettete damit das verbündete Assad-Regime vor dem drohenden Sturz. Schätzungsweise 1,5 Millionen Syrer flohen während des syrischen Bürgerkriegs in den Libanon, wo sie rund 20%-25% der Gesamtbevölkerung stellen. Damit gilt der Libanon als das Land mit dem weltweit höchsten Flüchtlingsanteil an der Bevölkerung.

    Während des syrischen Bürgerkriegs nahm der multireligiöse Libanon über Parteigrenzen hinweg islamistische Gruppierungen wie Hay'at Tahrir al-Sham (HTS), den Islamischen Staat (IS) und andere Milizen als ernste Bedrohung wahr. Während die Hisbollah als Kriegspartei auf Seiten des Assad-Regimes in den syrischen Bürgerkrieg eingriff, operierten die islamistischen Gruppierungen nicht nur in Syrien, sondern verübten auch Angriffe im Libanon.

    In einer Art sicherheitspolitischem Minimalkonsens unterstützten die rivalisierenden politischen Lager im Libanon die Einsätze der libanesischen Armee gegen dschihadistische Gruppen im libanesisch-syrischen Grenzgebiet.

    Auf diplomatischer Ebene verfolgte der Libanon in der Arabischen Liga und bei den Vereinten Nationen eine Syrien-Politik der „Dissoziation“ bzw. der Neutralität, um negative Rückwirkungen auf den Libanon zu vermeiden.

    Der Sturz des Assad-Regimes im Dezember 2024 markierte in Verbindung mit der schweren militärischen Niederlage der Hisbollah gegen Israel den Bruch der sog. „Achse des Widerstands“ in seiner bekannten Form und eröffnete damit auch für den Libanon ein neues Kapitel. Während viele Libanesen im Machtwechsel in Damaskus auch eine historische Chance zur Neuausrichtung des Libanon und der Region sehen, betrachtet vor allem die Hisbollah den Verlust ihres wichtigen Verbündeten mit existenzieller Besorgnis.

    Nach dem politischen Umbruch in Syrien zeichnen sich erste vorsichtig optimistische Signale für die künftigen bilateralen Beziehungen zwischen Beirut und Damaskus ab. Übergangspräsident al-Sharaa bemühte sich in seinen ersten öffentlichen Stellungnahmen um versöhnliche Töne, sprach von einer „Normalisierung“ der Beziehungen, betonte die Anerkennung der libanesischen Souveränität und versicherte, dass Syrien künftig eine Politik der Nichteinmischung in die inneren Angelegenheiten des Nachbarlandes verfolgen werde.

    Damit verabschiedete sich die neue syrische Führung zumindest verbal vom langjährigen hegemonialen Anspruch Syriens gegenüber dem Libanon. Ob diesen Ankündigungen nachhaltige politische Kurskorrekturen folgen werden, bleibt abzuwarten.

    Die Bilder der ersten politischen Zusammentreffen des syrischen Interims-Präsidenten al-Sharaa und libanesischen Politikern erschienen zumindest geeignet, Zuversicht zu wecken. Noch vor der ersten Zusammenkunft des libanesischen Präsidenten Joseph Aoun mit al-Sharaa am Rande eines Treffens der Arabischen Liga war es ausgerechnet der libanesische Drusenführer Walid Jumblatt - politisches Oberhaupt einer religiösen Minderheit in der Levante - der von Ahmad Al-Sharaa in Damaskus bereits im Dezember empfangen wurde.

    Neben der Neuausrichtung der bilateralen Beziehungen dürfte vor allem der Umgang der neuen syrischen Führung mit ethnischen und religiösen Minderheiten im eigenen Land die Qualität der Beziehungen zwischen dem Libanon und dem „neuen Syrien“ bestimmen: Der anfängliche Optimismus wurde durch die Gewalt-Eskalation zwischen Truppen der neuen islamistischen Machthaber und Anhängern des Assad-Regimes im März 2025 getrübt, vor allem im Zuge der schockierenden Berichte über Rachetaten und Massaker durch islamistische Truppen an alawitischen Zivilisten.

    Die Perspektiven eines erfolgreichen Neuanfangs in den Beziehungen resümiert Mirna Mneimneh, Präsidentin des liberalen arabischen Dachverbands AHLN und Mitglied des von Rafik Hariri gegründeten „Future Movement“ folgendermaßen:

     „Mit dem Sturz des Regimes und während der aktuellen Übergangsphase ist eine abschließende Bewertung der Situation noch nicht möglich. Dies wird von der politischen Ausrichtung des künftigen syrischen Systems und dessen Haltung gegenüber dem Libanon abhängen. Wir hoffen auf ein modernes, demokratisches und offenes System, das seine Nachbarn respektiert und bestmögliche Beziehungen mit dem Libanon und der Region pflegt. Andernfalls könnte die gesamte Region einer ungewissen und instabilen Zukunft entgegensehen.“

    Für einen vertrauensbildenden Neustart gelte es aus libanesischer Sicht, ergänzt Mirna Mneimneh, drei Themen prioritär aufzugreifen:

    „Es gibt viele Prioritäten, aber drei zentrale Themen stechen hervor: die Kontrolle der Grenzen und die Schließung illegaler Übergänge, die Lösung der syrischen Flüchtlingskrise im Einklang mit internationalen Standards und die Überprüfung bilateraler Abkommen.“

    Die politische Entwicklung in Damaskus wird weiterhin mit Skepsis, aber auch mit gespannter Aufmerksamkeit in Beirut verfolgt werden.

  • Jörg Dehnert (Amman)

    Die jordanisch-syrischen Beziehungen pendelten in den letzten 100 Jahren nahezu kontinuierlich zwischen Konfrontation und Kooperation. Die erste Hälfte 1921 bis 1971 war durch eine kontinuierliche Gegnerschaft geprägt, weil König Abdallah Syrien als Teil seines haschemitischen Reiches ansah und selbst nach der Unabhängigkeit beider Ländern 1946 diesen Anspruch aufrechterhielt. Syrien seinerseits unterstützte die PLO im Konflikt mit König Hussein. Damaskus entsendete 1971 sogar Streitkräfte zur Unterstützung Arafats gegen den jordanischen Herrscher und brach im Nachgang sogar die diplomatischen Beziehungen zu Jordanien vorübergehend ab.

    Kam es 1973 durch die Beteiligung Jordaniens auf der Seite der arabischen Allianz im Yom-Kippur Krieg gegen Israel zunächst zu einer Annäherung der bilateralen Beziehungen, wurde durch König Husseins Unterstützung der Friedenspolitik des ägyptischen Präsidenten Sadat eine weitere „Eiszeit“ eingeleitet. Mit dem Abschluss des jordanisch-israelischen Friedensvertrages in den 90ziger Jahren verbesserten sich die Beziehungen erneut, da der Vertrag syrischen Geschäftsleuten Handel mit den palästinensischen Gebieten ermöglichte und Jordanien damit zu einem wichtigen Transitland wurde. Mit Beginn des arabischen Frühlings 2011 und dem syrischen Bürgerkrieg 2012 kam es zum erneuten Bruch zwischen beiden Staaten, der nächste direkte Kontakt erfolgte erst wieder im Oktober 2021 durch ein Telefonat zwischen König Abdullah und Präsident Assad, in dessen Folge Jordanien die Grenzen zu Syrien wieder öffnete.

    So wechselhaft wie die Entwicklung der beiden Länder sich gestaltete, so halten sich auch die Chancen und Herausforderungen in den bilateralen Beziehungen nahezu die Waage. Durch den arabischen Frühling und den syrischen Bürgerkrieg nahm Amman 1,3 Millionen syrische Flüchtlinge auf, die eine große soziale und ökonomische Belastung für den Staat, allein schon durch die Aufrechterhaltung und Ausstattung der Flüchtlingslager, bedeuten. Sicherheitspolitisch stellt Syrien durch seine Allianz mit Russland, vor allem aber mit dem Iran und dessen Feindseligkeiten gegenüber Israel ein kontinuierliches Risiko für Jordanien da. Die Sicherung der 378km langen Grenze bindet eine große Anzahl von Sicherheitskräften, die den Drogen- und Waffenschmuggel sowie das Einsickern von Terrorzellen der Hamas, Hisbollah und ISIS unterbinden müssen.

    Andererseits war Syrien auch immer ein starker Handelspartner und ermöglichte damit auch wirtschaftlichen Aufschwung. Insbesondere der günstige Import von Früchten, Gemüse und Kleidung aus Syrien waren sehr attraktiv. Wie stark gerade die ökonomischen Aspekte die Politik der jordanischen Regierung beeinflussen, zeigt ein Blick auf die Zahlen: von 617 Millionen USD im Jahr 2010 verringerte sich die beiderseitige Handelsbilanz auf 167 Millionen USD in 2022. Damit wird auch der Versuch Jordaniens verständlich, die Biden Administration schon im Oktober 2021 zu einer Kooperation mit dem Assad Regime zu überzeugen. Auch gehörte König Abdullah zu den Initiatoren, die für eine Wiederaufnahme Assads 2023 in die Arabische Liga plädierten, von der Syrien über ein Jahrzehnt suspendiert worden war.

    Auf die jüngsten Entwicklungen nach dem Sturz des Assad Regimes blickt Amman gleichermaßen hoffnungsvoll als auch besorgt. Jordanien hofft, dass sich die Situation im Nachbarland in Richtung mehr Menschenrechte, Rechtsstaatlichkeit und Marktwirtschaft entwickelt. Dadurch könnten sich die Lebensbedingungen für die 1,3 Millionen syrischen Flüchtlinge in Jordanien so verbessern, dass viele von ihnen in ihre Heimat zurückkehren können. Das Land könnte damit viele Gelder, die der Aufnahme und Betreuung syrischer Flüchtlinge dienen, in andere Felder wie z.B. Infrastruktur, Energiegewinnung, Wasserversorgung und Bildung investieren. Parallel dazu würde auch der Lebensstandard der eigenen Bevölkerung drastisch angehoben werden. Die Inflation und Arbeitslosigkeit sind in den letzten drei Jahren stark gestiegen, ca. 40% der Hochschulabsolventen sind arbeitslos, viele von ihnen wandern in die Golfstaaten ab.

    Jordanien erhofft sich von einer positiven Entwicklung Syriens auch den Wiederaufbau von Handelsbeziehungen und eine Stärkung der eigenen Wirtschaft. So hat das jordanische Königshaus auch schon unmittelbar nach dem Fall des Assad-Regimes die diplomatischen Kanäle wiederbelebt und seine Unterstützung bei der Entwicklung des Landes zugesagt. König Abdullah war der erste arabische Führer, der den neuen Machthabern gratulierte: „Jordan stands beside its Syrian brothers and respects their will and choices.” Partnerschaftliche Beziehungen zu Syrien würden die Sicherheit des Landes erheblich erhöhen und wie schon erwähnt, Gelder für andere notwendige Projekte freisetzen.

    Eine Stabilisierung Syriens und eine damit verbundene Rückkehr der Flüchtlinge in ihr Heimatland, würde Jordanien auch an seiner „zweiten Front“, der Westbank und Gaza, entlasten. Gerade aber die Stabilisierung Syriens ist eine wichtige Voraussetzung für die zukünftigen bilateralen Beziehungen im politischen, sicherheitspolitischen und ökonomischen Bereich. Amman blickt daher mit großer Sorge auf die Besetzung weiterer Gebiete auf den Golan-Höhen durch Israel, die Inlandnahme türkischer Truppen im Norden Syrien und deren Kampf gegen kurdische Unabhängigkeitsbestrebungen sowie auch eine mögliche Intervention Irans im Osten Syriens, die allesamt die staatliche und territoriale Einheit Syriens gefährden. Abgesehen davon ist auch nicht klar abzusehen, wie die Rivalität der vielen unterschiedlichen bewaffneten syrischen Milizen zu beenden ist und mögliche innenpolitische Konflikte vermieden werden können.

    Selbst syrische Oppositionelle und liberale Partner stehen bei aller Freude über das Ende des Assad Regimes den jüngsten Entwicklungen bestenfalls vorsichtig optimistisch gegenüber. In einem Workshop der liberalen Partei Syriens „AHRAR“ wurde seitens der Parteiführung als best-case Szenario ein Modell analog des „Mubarak Systems“ angesehen.

    Jordanien wird daher verstärkt Anstrengungen und Initiativen unternehmen, die auf stabile Strukturen, sichere Grenzen und den Ausbau der Handelsbeziehungen mit Syrien abzielen.

  • Kristof Kleemann (Jerusalem)

    In dem Verhältnis zwischen Jerusalem und Damaskus vermischen sich seit der Staatsgründung Israels historische Konflikte, territoriale Streitigkeiten und neue Sicherheitsbedrohungen. Die Golanhöhen, das Israel im Sechs-Tage-Krieg 1967 eroberte, sind nach wie vor ein Brennpunkt des Konflikts. Während Israel die Golanhöhen 1981 formell annektierte, betrachtet die internationale Gemeinschaft mit Ausnahme der USA das Gebiet weiterhin als Teil Syriens. Trotz dieses Konfliktes wurden die Beziehungen in den letzten fünf Jahrzehnten durch das Waffenstillstand-Abkommen von 1974 geprägt, das von den USA nach dem Jom-Kippur-Krieg vermittelt wurde, um die Lage zu stabilisieren und künftige Feindseligkeiten zu verhindern. Es legte einen Waffenstillstand fest, verpflichtete beide Seiten zum Rückzug ihrer Streitkräfte aus den Konfliktgebieten und schuf eine von den Vereinten Nationen überwachte Pufferzone auf den Golanhöhen. Eine direkte Konfrontation mit dem Assad-Regime konnte so über 50 Jahre vermieden werden, die Spannungen aber blieben. Gerade nach dem Beginn des Bürgerkrieges in Syrien und der sich verstetigenden Allianz Syriens mit dem Iran und der Hisbollah wurde das Sicherheitsinteresse Israels direkt berührt. Syrien diente als strategischer Korridor für den iranischen Einfluss, der Waffentransfers an die Hisbollah ermöglichte und Operationen des Korps der Islamischen Revolutionsgarden (IRGC) beherbergte. Dies machte Syrien zu einem wichtigen Knotenpunkt in Irans „Achse des Widerstands“, die darauf abzielt, Israel und seine westlichen Verbündeten in der Region herauszufordern.

    Israel hat die wichtigste regionale Entwicklung seit dem Terrorangriff der Hamas vom 7. Oktober zwar nicht vorhergesehen, unvorbereitet waren die israelischen Streitkräfte trotzdem nicht. Als Reaktion setzte das israelische Sicherheitsestablishment einen Notfallplan in Gang, die „Operation Bashan Arrow“, die vermutlich bereits 2011 zu Beginn des syrischen Bürgerkrieges ausgearbeitet wurde. Israelische Bodentruppen marschierten in die Pufferzone zwischen Israel und Syrien ein. Ziel war es, dem israelischen Geheimdienst eine bessere Überwachung der syrisch-libanesischen Grenze zu ermöglichen, über die ein Großteil des Waffenschmuggels an die Hisbollah abgewickelt wurde. Außerdem drangen israelische Einheiten in Gebiete auf den syrischen Golanhöhen ein. Israel bezeichnete sein neues Engagement in Syrien als „defensiv“, ließ aber offen, ob und wann es sich auf die Waffenstillstandsgrenze von 1974 zurückziehen werde. Besonders effektiv war die groß angelegte Bombardierungskampagne, die die militärische Infrastruktur zerstörte. Sowohl die syrische Luftwaffe und Luftabwehr als auch die Marine wurden zerstört. Damit verfügt Israel nun über einen sicheren Luftkorridor zum Irak und zum Iran. Die ersten, die die Folgen zu spüren bekamen, waren pro-iranische Milizen im Irak, die sich mit der Regierung in Bagdad darauf einigten, ihre Drohnenangriffe auf Israel einzustellen und auch der Iran weiß, dass eine israelische Bombardierung iranischer Atomanlagen durch diesen strategischen Vorteil wahrscheinlicher geworden ist.

    Das Vorgehen der israelischen Streitkräfte erfuhr sowohl in der israelischen Bevölkerung als auch in der Opposition breite Unterstützung. Oppositionsführer Lapid sagte „dies ist eine weitere Gelegenheit, ein entscheidendes Glied im iranischen Netzwerk zu zerstören und die Waffenlieferungen an die Hisbollah dauerhaft zu stoppen". Allerdings übte Lapid auch Kritik an der Kommunikation der israelischen Regierung. "Es gibt keinen Grund, dass der Premierminister und der Verteidigungsminister weniger als 24 Stunden nach dem Fall von Damaskus an der syrischen Grenze stehen und behaupten, Assad sei wegen unserer Aktionen gestürzt worden. Das Letzte, was die syrischen Rebellen wollen und brauchen, ist die Behauptung, sie seien dank Israel an die Macht gekommen. Dies ist eine unnötige Arroganz und wird früher oder später dazu führen, dass sie reagieren und versuchen, der arabischen Welt zu beweisen, dass dies nicht stimmt“, so Lapid.

    Diese Äußerungen machen die Herausforderungen für das künftige Verhältnis mit den neuen Machthabern in Damaskus deutlich. Israels oberste Priorität ist es, die Grenzregion zu sichern, das Erstarken von extremistischen Gruppierung zu unterbinden und darauf zu achten, dass der Iran nicht wieder Fuß fassen kann. Damit verbunden bestehen selbstverständlich auch Sorgen über die innenpolitischen Entwicklungen in Syrien. Zwar hat die Hay’at Tahrir al-Sham (HTS) einen Prozess der relativen Mäßigung durchlaufen. Dennoch ist nicht nur aus israelischer Perspektive zu befürchten, dass eine extremistische religiöse Ideologie die Oberhand gewinnt oder zumindest autoritäre Führungsmuster übernommen werden. Auch in Jordanien, Ägypten oder Saudi-Arabien blickt man mit Sorge auf eine Renaissance der Muslimbrüderschaft und selbst wenn al-Sharaa sich tatsächlich der Mäßigung verschrieben hat, ist er in den Führungszirkeln nach wie vor von Extremisten umgeben, die seine Bemühungen um eine Stabilisierung der komplexen politischen Landschaft Syriens behindern könnten. Ein weiteres Risiko besteht in der Präsenz israelischer Truppen in Syrien. Zwar hat al-Sharaa erklärt, die Organisation wolle das Rückzugsabkommen respektieren und einen Konflikt mit Israel vermeiden. Sollte die israelische Präsenz aber dauerhaft werden, könnte die Legitimität der neuen syrischen Regierung untergraben werden. Jüngste Äußerungen des israelischen Außenministers Katz über eine dauerhafte Präsenz Israels gefährden daher die Stabilität, die Israel eigentlich anstrebt – denn dadurch könnte Israel ungewollt extremistische Elemente stärken. Dazu kommt, dass ein weiterer wichtiger Unterstützer der HTS, Erdogans Türkei, ein angespanntes Verhältnis zu Israel hat. Dabei wird Israel zukünftig auf die Kooperation mit Ankara angewiesen sein, um sicherheitspolitische Interessen durchzusetzen.

    Die Syrien-Expertin des Institute for National Security Studies (INSS), Carmit Valensi, empfiehlt daher unter amerikanischer Schirmherrschaft und in Zusammenarbeit mit der Türkei Gesprächskanäle mit dem neuen Regime zu eröffnen. Dieser Ansatz soll nicht nur die militärischen Fähigkeiten Israels, sondern auch die diplomatischen, zivilen und humanitären Bemühungen betonen und die moderaten arabischen Staaten einbeziehen. Dazu gehöre auch, einen Zeitplan für den Verbleib in dem syrischen Gebiet zu formulieren und die für seinen Rückzug erforderlichen Bedingungen festzulegen. Damit könnten laut Valensi die negativen Auswirkungen der Militärpräsenz verringert und langfristige Sicherheit ohne die Notwendigkeit einer militärischen Präsenz geschaffen werden. 

    Ob dieser Ansatz am Ende Erfolg haben wird, ist derzeit nur schwer abzusehen. 100 Tage nach dem Sturz von Machthaber al-Assad ist vieles in Bewegung. Zudem belasten die jüngsten Vorschläge von Donald Trump für die Zukunft des Gazastreifens die Beziehungen zu den moderaten arabischen Staaten. Klar aber ist:  Die Erfolge gegen die Stellvertreter Irans haben das regionale Gleichgewicht neu ausgestaltet, bringen aber auch neue Risiken mit sich. Langfristige Sicherheit für Israel gibt es dabei nur durch Stabilität, durch Kooperation mit moderaten Partnern in der Region und durch Lebensperspektiven für Menschen.

  • Ebtisam Hussein (Kairo) und Jörg Dehnert (Amman)

    Ägypten und Syrien verbindet eine lange gemeinsame Geschichte, die von politischen Bündnissen und ideologischer Nähe geprägt war. Zwischen 1958 und 1961 bildeten beide Länder die Vereinigte Arabische Republik, eine kurzlebige politische Union unter der Führung von Gamal Abdel Nasser, die auf den Prinzipien des arabischen Sozialismus basierte. Trotz des späteren Auseinanderbrechens der Union blieben die Beziehungen eng. Der syrische Bürgerkrieg hatte erhebliche Auswirkungen auf Ägypten: Millionen syrischer Flüchtlinge suchten Schutz im Land und fanden dort oft erfolgreiche Wege zur Integration. Für Ägypten stehen Frieden und Stabilität an oberster Stelle, weshalb der langanhaltende Konflikt in Syrien stets mit Sorge betrachtet wurde. Die aktuelle politische Neuordnung in Damaskus weckt nun die Hoffnung auf ein Ende der Instabilität. 

    Über Jahrzehnte hinweg erkannten ägyptische Regierungen das Assad-Regime als legitimen Vertreter Syriens an. Auch während der Massenproteste gegen Baschar al-Assad im Jahr 2011 und im darauffolgenden Bürgerkrieg stellte Ägypten seine Autorität nicht infrage. Die ägyptische Führung befürchtete vor allem ein Erstarken islamistischer Gruppen, die inmitten des syrischen Konflikts an Einfluss gewannen. Die Bedrohung durch extremistische Milizen und deren mögliche Ausbreitung auf andere Länder der Region prägte maßgeblich die ägyptische Syrien-Politik. 

    Trotz der andauernden Gewalt erkannte Ägypten das Assad-Regime weiterhin als offizielle Regierung Syriens an. Allerdings schloss sich Kairo 2011 der Entscheidung der Arabischen Liga an, Syriens Mitgliedschaft aufgrund der Gewalt gegen die eigene Bevölkerung auszusetzen. Dennoch blieb Ägypten skeptisch gegenüber der bewaffneten Opposition, da diese auch islamistische Gruppen wie Dschabhat al-Nusra und Hay'at Tahrir al-Sham (HTS) umfasste. In den Augen der ägyptischen Führung fungierte Assad als Barriere gegen den wachsenden Einfluss des politischen Islam in der Region. 

    Ein bedeutendes diplomatisches Signal setzte Ägypten 2023, als Präsident Abdel Fattah al-Sisi den syrischen Außenminister Faisal Mekdad empfing.. Diese Geste unterstrich Kairos anhaltende Unterstützung für die syrische Regierung bis zum letzten Moment. 

    Ägyptens Außenpolitik ist stark auf innenpolitische Stabilität ausgerichtet und verfolgt keine interventionistische Agenda in der MENA-Region. Entscheidend für die künftige Haltung gegenüber Syrien wird die ideologische Ausrichtung der neuen Machthaber sein. Falls das Regime islamistisch dominiert sein wird, könnte Kairo befürchten, dass die neue Regierung ägyptischen Oppositionsgruppen Schutz gewährt – eine potenzielle Bedrohung für die Regierung Sisis. Sollte sich das neue syrische Regime jedoch als national orientierte Regierung präsentieren, wären normale diplomatische Beziehungen und sogar wirtschaftliche sowie sicherheitspolitische Kooperationen denkbar. 

    Die künftigen Beziehungen zwischen Ägypten und Syrien hängen maßgeblich von der politischen Entwicklung in Damaskus ab. Ägypten würde vermutlich ein syrisches Regime bevorzugen, das von säkularen und nationalen Kräften geführt wird. Sollte Syrien hingegen unter der Kontrolle radikaler Islamisten stehen, wäre mit Spannungen zu rechnen. Dennoch dürfte die neue Führung, selbst unter der Leitung von Ahmad al-Sharaa, bestrebt sein, eine gemäßigte Außenpolitik zu verfolgen, um internationale Anerkennung zu gewinnen. 

    Seit 2013 verfolgt Ägypten eine Politik, die nationale Sicherheit und regionale Stabilität priorisiert, insbesondere in der Bekämpfung islamistischer Bewegungen. Sollte der Einfluss anderer MENA-Staaten, insbesondere der Türkei, nach Assads Sturz zunehmen, könnte dies Kairo dazu bewegen, sich stärker in regionale Initiativen zur Stabilisierung Syriens einzubringen. Eine Vermittlung zur Gestaltung eines geordneten Machtwechsels könnte ein Bereich sein, in dem Ägypten eine Rolle spielt. 

    Die kommenden Monate werden zeigen, ob Ägypten eine pragmatische Zusammenarbeit mit der neuen syrischen Führung anstrebt oder ob ideologische Differenzen die bilateralen Beziehungen belasten werden.

  • Alexander Knipperts (Tunis)

    Knapp 2400km Luftlinie trennen Tunis von Damaskus, bis nach Europa ist es hingegen einen Katzensprung. So ist Syrien für die allermeisten Tunesier ein ferner Ort, den nur wenige jemals bereist haben. Obwohl die beiden Länder bereits unmittelbar nach der tunesischen Unabhängigkeit 1956 diplomatische Beziehungen aufnahmen und seitdem bis zum arabischen Frühling auf staatlicher Ebene bilateral und in regionalen Foren einen regelmäßigen Austausch betrieben, sind wirtschaftliche und kulturelle Verbindungen Tunesiens nach Europa aufgrund der geographischen Nähe und der wirtschaftlichen Verflechtungen traditionell um ein Vielfaches intensiver.

    Der 2011 von Tunesien ausgegangene Arabische Frühling bedeutete für die Beziehungen der beiden Länder indes eine Zäsur – während in Tunesien die islamistische Ennahda-Partei als stärkste Kraft aus den Wahlen der verfassungsgebenden Versammlung hervorging und bei den folgenden Parlamentswahlen 2014 als zweitstärkste Kraft und Teil einer Koalitionsregierung hervorging, bekämpfte Präsident Assad die Opposition in Syrien über die folgenden 10 Jahre in einem blutigen Bürgerkrieg. Dementsprechend war diese Zeit von einem faktischen Abbruch der bilateralen Beziehungen geprägt, die Führung der Ennahda-Partei suchte zudem explizit den Schulterschluss mit Teilen der Opposition in Syrien und – so ein Vorwurf von Kritikern – ermöglichte durch Wegschauen oder gar aktive Unterstützung die Ausreise von mehr als 3000 tunesischen Kämpfern in den „syrischen Dschihad“. 

    Für das Ursprungsland des arabischen Frühlings, dessen aktueller, 2019 erstmals gewählter Präsident Kais Saied dem aus dem Umsturz 2011 hervorgegangenen „demokratischen Experiment“ seitdem ein jähes Ende gesetzt hat, ist der Sturz des syrischen Langzeit-Diktators Assad und die Machtübernahme durch eine islamisch-konservative Kraft somit eine symbolträchtige Erinnerung an die eigene jüngere Geschichte. Die Implosion der Assad-Herrschaft erinnert daran, dass autoritäre politische Systeme trotz aller Gewalt, Repression und Zensur oft plötzlich und in entscheidenden Momenten instabil werden. Neben dieser innenpolitischen Dimension stellen die Umbrüche in Syrien auch ganz unmittelbar den von Präsiden Kais Saied verfolgten außenpolitischen Kurs einer Annäherung an die vom Iran geführte „Achse des Wiederstandes“ mit der Wiederaufnahme der Beziehungen zum Assad-Regime und der - zumindest rhetorischen - Abwendung von Europa, hin zu den BRICS mit den dominierenden Mächten Russland und China, als zukunftsträchtige Alternative infrage.

    Innenpolitisch orientiert sich die Reaktion der Menschen in Tunesien entlang der bestehenden Verwerfungen vor allem an der Haltung gegenüber islamistischen Parteien als politische Kraft. Je nach politischer Haltung reicht die Interpretation der Ereignisse in der Levante dabei von Freude über die Befreiung der Syrer von ihrem Schlächter über zynische Kommentare zum eigenen Scheitern im Aufbau einer erfolgreichen Demokratie unter Beteiligung der Ennahda bis hin zu Warnungen und Verschwörungserzählungen eines „Komplotts“ der USA und Israels in der Levante.

    So ist Assads Flucht ein Zeichen des Aufbruchs und der Warnung zugleich, insbesondere im Hinblick auf die eigene Erfahrung mit einer islamistisch geprägten Regierung. So zieht der autoritär-populistische Präsident Saied seit seiner Amtsübernahme 2019 einen großen Teil seiner Zustimmung aus der Vertreibung und Verfolgung der islamisch-konservativen Ennahda Partei und der Verhaftung ihrer in Ungnade gefallenen Führungsmitglieder. Der Erfolg der syrischen HTS-Milizen bei der Machtübernahme in Damaskus stellt hier das innenpolitische Narrativ in Frage, nachdem das Zeitalter islamistischer Alternativen zu den autoritären Regimen der Region vorbei sei.

    Dies ist nicht zuletzt deshalb von Relevanz, weil aus Tunesien am Beginn des Bürgerkrieges die bevölkerungsanteilig größte Zahl an ausländischen Kämpfern nach Syrien ging, um dort auf Seiten islamistischer Milizen in den Kampf zu ziehen. Auch wenn die Mehrzahl der überlebenden Kämpfer bereits seit 2015 nach Tunesien zurückgekehrt sind, ruft es das Risiko von politischer Gewalt als Reaktion auf die Unterdrückung großer Teile der Bevölkerung und insbesondere der Anhänger religiöser politischer Strömungen in Erinnerung.

    Noch unmittelbarer ist die Auswirkung auf die außenpolitische Ausrichtung des Landes. Im Zuge der seit 2019 betriebenen Annäherung an andere autoritäre Regime in der Region und an die vom Iran angeführte „Achse des Wiederstandes“ hatte die Regierung von Präsident Saied im Zuge der Wiederaufnahme Syriens in die Arabische Liga erst im April 2023 die tunesische Botschaft in Damaskus feierlich wiedereröffnet. Noch wenige Tage vor der Flucht Assads hatte zudem das tunesische Außenministerium die „volle Solidarität“ mit dem Regime Assads erneut bekräftigt. Es dauerte nach dem Sturz des syrischen Regimes dann auch mehr als eine Woche, bis eine öffentliche Verlautbarung zu den Ereignissen in Syrien Stellung nahm und das „Recht des syrischen Volkes auf Selbstbestimmung“ wortkarg bestätigte.

    Seitdem versucht die tunesische Regierung, den Wandel in der Levante als Teil einer „zionistischen Verschwörung“ abzutun, scheitert aber mit ihrem Narrativ an der komplexen Realität der neuen Machtverhältnisse in Syrien. Vorerst ist man auf eine außenpolitische Schadensbegrenzung fokussiert und darauf, sich des Rückhalts der ebenfalls geschwächten regionalen Führungsmacht Iran zu versichern. Eine wichtige Rolle auch für Tunesien wird zudem die Auswirkung des Umsturzes in Syrien auf die russische Präsenz in der Region und auf das russische Bündnis mit dem im Osten Libyens herrschenden General Haftar spielen. Vielerorts wird spekuliert, dass Russland zum Erhalt seiner afrikanischen Einflusszonen im Sahel nach dem Verlust seiner sicheren Mittelmeerbasen in Syrien sein Standbein im Nachbarland ausbauen wird. Dies könnte zum einen den gewaltsamen Konflikt in Libyen neu aufflammen lassen, zum anderen steigt das Risiko, dass auch Tunesien im Konflikt der rivalisierenden Mächte gezwungen wird, bezüglich seiner geopolitischen Orientierung Farbe zu bekennen.

    Ob der populistischen anti-westlichen Rhetorik dann tatsächlich Taten folgen, und die enge wirtschaftliche und kulturelle Bindung an Europa zugunsten einer bislang wenig mit Substanz ausgestatteten Allianz mit den BRICS Mächten jäh beendet würde, darf man bezweifeln. Findet das Land sich jedoch unversehens im Spannungsfeld der um Vorherrschaft ringenden Regionalmächte wieder, kann dies sehr schnell weitaus größere Auswirkungen auch auf das innenpolitische Kräfteverhältnis in Tunesien haben.

  • Sebastian Vagt (Rabat)

    Einer der schönsten Plätze im Zentrum Rabats (place al-Joulane) trägt den Namen der syrischen Golanhöhen, die seit Jahrzehnten von Israel besetzt und annektiert sind. Man könnte daraus auf eine besondere Verbundenheit zwischen den beiden arabisch geprägten Staaten schließen. Das Gegenteil ist jedoch der Fall, und dies hat ausgerechnet mit den Golanhöhen zu tun. Als zum jüdischen Jom-Kippur-Fest 1973 eine Allianz arabischer Staaten Israel an mehreren Fronten angriff, war Marokko mit einer ganzen Panzerbrigade an vorderster Front dabei. Die 3.500 marokkanischen Soldaten sollten an der Seite ihrer syrischen Kameraden die Golanhöhen von der israelischen Besatzung befreien. Die syrischen Soldaten zogen jedoch frühzeitig von der Front ab und ließen ihre marokkanischen Verbündeten alleine im Gefecht zurück, so erzählen es jedenfalls marokkanische Zeitzeugen. Der Angriff endete erfolglos und mit hohen Verlusten unter den Marokkanern.

    Die Erzählung vom „Verrat an der Front“ markiert einen Schlüsselmoment in den kühlen Beziehungen, die aufgrund der unterschiedlichen außenpolitischen Orientierungen beider Staaten in der Folge nur noch schwieriger wurden. Während Marokko traditionell eine enge Anlehnung an den Westen und die Golfmonarchien pflegt, wurde das sozialistische Syrien unter der Herrschaft der al-Assads erst ein Alliierter der Sowjetunion und nach der islamischen Revolution von 1979 ein enger Verbündeter des iranischen Regimes. Spätestens als Syrien Ende der 70er Jahre auch noch begann, die Unabhängigkeitsbewegung Frente Polisario in der von Marokko beanspruchten Westsahara zu unterstützen, zerriss das Tischtuch zwischen Damaskus und Rabat endgültig.

    Nach dem Ausbruch des syrischen Bürgerkrieges 2011 durfte die marokkanische Regierung auf einen Sturz al-Assads hoffen und versuchte diplomatisch daran mitzuwirken, indem sie ein hochrangiges Treffen der Gruppe „der Freunde Syriens“ ausrichtete.  Diese Gruppe aus mehreren Staaten verfolgte das Ziel, der zersplitterten syrischen Opposition den Rücken zu stärken und sie auf eine Machtübernahme vorzubereiten. Nachdem sich diese Hoffnung im Schutt des syrischen Bürgerkrieges aufgelöst hatte und al-Assad die Rebellion entgegen aller Erwartungen überstanden zu haben schien, gehörte Marokko zu den letzten Mitgliedsstaaten, die einer Rückkehr Syriens in die Arabische Liga zähneknirschend zustimmte.

    Die Botschaften beider Staaten im jeweils anderen Land sind seit dem Abbruch der diplomatischen Beziehungen 2011 bis heute geschlossen und sowohl Syrer als auch Marokkaner beklagen die daraus resultierenden Schwierigkeiten beim Reisen. Das Handelsvolumen zwischen Syrien und Marokko ist gering, weshalb beide Länder als Handelspartner füreinander so gut wie keine Rolle spielen.

    Aus marokkanischer Sicht kann es nach der syrischen Revolution also nur besser werden. So überrascht es nicht, dass der Sturz des Langzeitdiktators Baschar al-Assad nicht nur unter den rund 5.400 in Marokko lebenden Syrern, sondern auch in der marokkanische Öffentlichkeit mit Freude aufgenommen wurde. In seiner ersten Reaktion unterstrich Außenminister Nasser Bourita die Solidarität Marokkos mit der syrischen Bevölkerung: „Marokko hat sich immer für Reformen und Stabilisierung, für die Souveränität und Einheit Syriens und für das, was den Bestrebungen des Volkes entspricht, eingesetzt.“ Die Wiedereröffnung der marokkanischen Botschaft ist laut Medienberichten bereits in Planung und König Mohammed VI. versäumte es nicht, dem neuen syrischen Übergangspräsidenten Ahmad al-Scharaa persönlich zur Amtsübernahme zu gratulieren.

    Für das Ende des Bürgerkrieges hätte man sich in Rabat aber sicherlich ein anderes Szenario als die Machtübernahme durch die islamistischen Rebellen der Hay'at Tahrir al-Sham (HTS) gewünscht. In Marokko verfolgen Königshaus und Behörden eine Null-Toleranz-Politik gegenüber radikalen Islamisten und stehen auch gemäßigten Vertretern des politischen Islam traditionell kritisch gegenüber. Für eine gute Zusammenarbeit werden die Marokkaner also über ihren anti-islamistischen Schatten springen müssen. Das gilt umgekehrt auch für die neuen Machthaber in Damaskus, denen die Normalisierung der diplomatischen Beziehungen zwischen Israel und Marokko ein Dorn im Auge sein könnte, immerhin beansprucht Israel nach wie vor die Golanhöhen, deren Rückgabe auch das erklärte Ziel der neuen syrischen Regierung bleibt.

    Sollte es den Verantwortlichen in Damaskus und Rabat gelingen, diese Vorbehalte zu überwinden, könnten daraus zahlreiche Möglichkeiten zu einer fruchtbaren Zusammenarbeit erwachsen. Das glaubt auch Yassine Bahlouli, der sich als Präsident der politischen Jugendorganisation AJA[1] für gute Beziehungen seines Landes in der Region engagiert: „Die Beziehungen zwischen Marokko und Syrien könnten auf einem win-win-Ansatz basieren, der auf gemeinsamen Interessen und gegenseitiger Achtung ihrer territorialen Integrität beruht.“ Syrien würde Marokko helfen, indem es seine Unterstützung der Frente Polisario einstellt und im Gegenzug den marokkanischen Anspruch auf die Westsahara anerkennt. Marokko könnte sich dafür, auch unter Nutzung seiner guten diplomatischen Kontakte, für einen Rückzug israelischer Streitkräfte auf die Waffenstillstandslinie stark machen.

    Neben gemeinsamen diplomatischen Interessen könnten auch die wirtschaftlichen Beziehungen an Bedeutung gewinnen. Yassine Bahlouli ist überzeugt, dass marokkanische Unternehmen über wertvolles Knowhow im Bereich der Infrastrukturentwicklung und der Energiewende verfügen und damit genau die Dienstleistungen und Investitionen anbieten können, die beim Wiederaufbau Syriens am meisten gebraucht werden.

    Kawtar Mawas, Präsidentin der liberalen afrikanischen Jugendorganisation ALYF[2] hofft, dass nicht nur die wirtschaftlichen Beziehungen zwischen beiden Ländern belebt werden: „Der Regimewechsel bietet Marokko die Möglichkeit, den kulturellen Austausch zu vertiefen, insbesondere durch die Anerkennung des unschätzbaren Beitrags der syrischen Flüchtlinge zur marokkanischen Gesellschaft.“ Menschen aus Syrien sind in Marokko unternehmerisch umtriebig, was vor allem im Bereich der Gastronomie einen sichtbaren Ausdruck findet, und haben nicht selten Arbeitsplätze für Flüchtlinge aus anderen Ländern geschaffen. Sie dürfen nun darauf hoffen, dass ihnen das Reisen leichter und Familienzusammenführungen möglich gemacht werden.

    Die nächsten Wochen werden zeigen, ob sich diese Hoffnungen erfüllen und ob Syrien und Marokko nach mehr als fünf Jahrzehnten der Entfremdung ein hoffnungsvoller Neustart für die bilateralen Beziehungen der beiden historisch so bedeutenden Zentren der arabisch-islamischen Zivilisation im Maghreb und Mashrek gelingt.

     

    [1] Association Jeunesse et Avenir

    [2] African Liberal Youth Federation

  • Jörg Dehnert (Regionalbüroleiter der Friedrich-Naumann-Stiftung in der MENA-Region)

    Bei allen Unterschieden und wechselhaften Entwicklungen, die die aufgeführten Länder mit Syrien über die Zeit hatten, so eint die aufgeführten Akteure in den zukünftigen Beziehungen doch die klare Ablehnung und Positionierung gegen islamistische und iranfreundliche Gruppierungen und Kräfte und deren Einflussnahme der Regierung in Syrien. Die politisch Verantwortlichen versuchen mit allen demokratischen und in einigen Fällen auch autoritären Maßnahmen, den Machteinfluss der Islamisten in ihren eigenen Ländern einzudämmen. Diesen Politikansatz versuchen sie auch gegenüber demneuen Syrienumzusetzen, indem sie die nichtislamistischen Akteure stützen und stärken oder aber auf einen aufkommenden Islamismus mäßigend einzuwirken versuchen.

    In diesem Zusammenhang gilt für die arabischen Staaten (Ägypten, Marokko, Tunesien, Libanon und Jordanien) auch das Eintreten für ein geeintes Syrien: Ein Auseinanderfallen analog zu Libyen oder eine Desintegration des Landes soll unbedingt verhindert werden. Die Türkei und Israel sind in dieser Hinsicht wesentlich flexibler, sehen sie doch in der derzeitigen Situation auch die Möglichkeit, territoriale Zugewinne zu erlangen, zumindest aber mittel- oder auch langfristig Pufferzonen im Norden Syriens und den Golan-Höhen einzurichten, um das eigene Territorium nicht unmittelbar in potentielle Konflikthandlungen miteinzubeziehen.

    Eine zweite Gemeinsamkeit ist allen Akteuren das Streben und der Einsatz für ein langfristig stabiles Syrien. Hier hat Stabilität notfalls sogar den Vorrang vor einer Entwicklung zur Demokratie, zudem wenn diese unüberschaubare Prozesse in Gang setzen könnte, die die Interessen der Nachbarländer gefährden. Stabilität bedeutet in dieser Interpretation neben klaren politischen Machtstrukturen auch die Verbesserung der Lebensverhältnisse im von Bürgerkrieg und den anschließenden Folgen gebeutelten Syrien. Reduzierung von Armut und Arbeitslosigkeit, wirtschaftlicher Aufschwung und eine Verbesserung der Infrastruktur sind die unmittelbar zwingenden Maßnahmen, will man diese von allen gewünschte und erhoffte Stabilität erreichen.

    Verknüpft damit sehen einige Akteure auch Chancen für die eigene Entwicklung, wie zum Beispiel im Ausbau oder der Wiederbelebung vergangener Handelsbeziehungen, einer Intensivierung des Warenaustauschs oder aber auch in Investitionsmöglichkeiten eigener Unternehmen.

    Demokratische Entwicklungsziele, wie Freiheit, Rechtsstaatlichkeit und Marktwirtschaft, finden zwar in der öffentlichen Diskussion von den aufgeführten Akteuren ebenfalls Erwähnung, treten letztendlich aber gegenüber den Stabilitätskriterien in den Hintergrund.

    Beide Entwicklungen, Stabilität und Demokratieentwicklung, können allerdings nur mit Zustimmung der syrischen Bevölkerung erfolgreich sein.

    Eine durch Druck von außen aufgezwungene Lösung wird scheitern, die Beispiele der jüngsten Vergangenheit sprechen hier eine deutliche Sprache.

  • Zum Download der gesamten Studie:

    Bei Medienanfragen kontaktieren Sie bitte:

    Florian von Hennet
    Florian von Hennet
    Leiter Kommunikation, Pressesprecher
    Telefon: + 4915202360119
    Close menu