Japan
Turbo-Wahlkampf in Japan – doch keine Aufbruchsstimmung
Der aktuelle Wahlkampf in Japan ist mit zwölf Tagen fast so kurz wie die Legislatur des amtierenden Ministerpräsidenten Fumio Kishida: Noch am Tage seiner Wahl als Nachfolger des glücklosen Yoshihide Suga am 4. Oktober hatte Kishida die Auflösung des Unterhauses für den 14. Oktober und Neuwahlen angekündigt. Damit hatte sich die Vermutung bestätigt, dass Suga den Langzeitministerpräsidenten Shinzo Abe nach dessen gesundheitsbedingtem Rücktritt nur kurzzeitig beerben würde. Der Wahlkampf begann nur kurz nach dem erneuten Premier-Wechsel am 19. Oktober, am 31. folgt der Urnengang.
Kishida hatte als Ministerpräsident also noch kaum Gelegenheit, Fehler zu machen. So beschränkte er sich darauf, vage formulierte positive Erwartungen zu schüren, von denen niemand weiß, ob er sie auch tatsächlich erfüllen kann. Allerdings ist Kishida kein unbeschriebenes Blatt. Der 64-Jährige stammt aus einer Politikerfamilie und arbeitet bereits seit fast vier Jahrzehnten im politischen Betrieb. Er hatte bereits hohe Posten inne, war unter anderem Außen- und Verteidigungsminister.
Ein Wahlprogramm, das ohne das Wort „Reform“ auskommt
Kishidas Hauptaugenmerk liegt auf einer Stärkung der Wirtschaft. Die dazugehörige Politik erinnert stark an das Ökonomieverständnis seines Vor-Vorgängers und Langzeitministerpräsidenten Shinzo Abe, den ohnehin viele Beobachter weiterhin als richtungsweisenden Strippenzieher in der LDP vermuten. Abes Politik mit hohen Staatsausgaben zugunsten einer wachstums- und damit Steuern generierenden Wirtschaft scheinen weder Kishida noch seine Partei infrage zu stellen. Vom Reformelan, den er im vergangenen Sommer bei der Vorbereitung der Ablösung des damals noch amtierenden Ministerpräsidenten Suga an den Tag gelegt hatte, ist nach Kishidas Wahl zum Parteivorsitzenden und Ministerpräsidenten wenig übriggeblieben.
Dabei besteht in Japan ein hoher Reform- und Innovationsbedarf, nicht nur in der Wirtschaft. Die Energiepolitik benötigt Richtungsentscheidungen und einen Modernisierungsschub, Forschungsförderung stagniert oder ist gar rückläufig, die sich aus dem demographischen Wandel ergebenden Probleme sind keineswegs gelöst und auch die Digitalisierung müsste entschlossener vorangetrieben werden. Es wird dieser Tage leicht vergessen, dass es mit der Wirtschaft auch vor Ausbruch der Coronapandemie nicht wirklich voranging.
Das Land hat stark mit den Folgen der Coronakrise zu kämpfen, wie die ganze Welt in diesem Sommer rund um die Olympischen Spiele beobachten konnte, die ohne Zuschauer ausgetragen wurden. Die Athleten waren konsequent isoliert, der olympische Geist bis zur Unkenntlichkeit desinfiziert – und trotzdem hatte man mit Infektionen zu kämpfen.
Festes Parteiengefüge
Die Unterhauswahlen werden am festen Parteigefüge Japans indes wohl nicht viel ändern. In einer Umfrage zu Beginn des aktuellen Wahlkampfes wurde der LDP ein Verlust von ungefähr 40 Unterhausmandaten vorhergesagt. Bis jetzt hielt sie noch 278 Sitze inne. Da die Koalition mit der kleinen Komeito-Partei fortgesetzt werden soll, wäre die Partei trotz dieser Verluste in der Lage, weiterhin mit stabiler Mehrheit zu regieren. Obwohl Kishida mit seinem Kabinett noch keine politische Gestaltungskompetenz unter Beweis stellen konnte, sind die Zustimmungsraten für die Koalition von historisch niedrigen 30 Prozent unter Ministerpräsident Suga auf immerhin 49 Prozent gestiegen.
In derselben Umfrage kam die Constitutional Democratic Party of Japan (CDP) als größte Oppositionspartei auf 133 Sitze, was einer Erhöhung um 23 Sitze entspräche. Den Zuwachs hätte die CDP einer verbesserten Koordination unter den Oppositionsparteien zu verdanken, zu denen etwa die Kommunistische Partei (JCP), die Democratic Party for the People, Reiwa Shinsengumi und die Sozialdemokratische Partei gehören.
Dass in Japan einmal eine andere Partei die Regierung führt als die konservative LDP, ist kaum absehbar. Allzu sehr darf sie sich allerdings nicht darauf verlassen, dass sie weiterhin aus alter Gewohnheit gewählt wird. Einige Probleme werden drängender, etwa die tendenziell stagnierenden Löhne, das Rentensystem, das viele Senioren zum Arbeiten zwingt, Ausbildungsfragen und vieles mehr. Politischer Gestaltungswille könnte da hilfreich sein.
Dr. Christian Taaks ist Leiter des Büros der FNF Korea in Seoul. In seinen Zuständigkeitsbereich fällt auch die Beobachtung Japans.