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Auf des Messers Schneide - Die USA im Wahljahr

Martin Biesel, Staatssekretär a.D. und Leiter des Naumann-Büros in Washington, D.C., über die prägenden Themen im Präsidentschaftswahlkampf
US-Flagge

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© picture alliance / Zoonar | Valerio Rosati

Martin Biesel, Staatssekretär a.D. und Leiter des Büros der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit in Washington, D.C. mit einem Ausblick auf die Themen des Präsidentschaftswahlkampfs in den USA.

Wer die Wahlen am 5. November 2024 in den USA gewinnen wird, kann niemand seriös vorhersagen. Aber viele Beobachter sind sich einig: Das wird ein knappes Rennen zwischen dem Amtsinhaber, Joe Biden, und seinem Herausforderer Donald Trump.

Dabei ist diese Wahl in gewisser Weise auch einzigartig und rekordverdächtig. Mit dann 159 Jahren sind die beiden Kandidaten die ältesten in der Geschichte der Präsidentschaftswahlen der USA. Eine wahrlich historische Wahl. Zweitens sind es die unbeliebtesten Kandidaten seit es Umfragen gibt. Und drittens war noch nie so früh im Wahljahr, nämlich faktisch schon im Februar, klar, wer der Herausforderer ist. Der Durchmarsch bei den Vorwahlen von Donald Trump hat den Eindruck erweckt, dass die Partei der Republikaner sehr geschlossen hinter ihm stehe. Nur muss man wissen, dass zu den Vorwahlen eher die Ultra-Fans gehen, um einen Fußballbegriff zu verwenden. Bei der Vorwahl in Indiana im Mai erreichte Nikki Haley, die schon vor Monaten aus dem Rennen ausgestiegen war, auf den Wahlzetteln der Republikaner immer noch über 20 %. Eine klare Protestwahl gegen Trump aus den Reihen der Republikaner. Es wollen doch nicht alle Republikaner Trump wählen.

Mobilisierung entscheidet die Präsidentschaftswahl

Ein mindestens so großes Problem bei der Mobilisierung der eigenen Wählerschaft hat Joe Biden. Insbesondere sein Alter wird innerhalb der Wählerschaft als kritisch für eine weitere Amtsperiode gesehen. Das bedeutet aber noch lange nicht, dass demokratische Wähler zu Trump wechseln würden. Das tief gespaltene Land besteht aus zwei unversöhnlichen Blöcken. Das bildet sich auch im Kongress ab. Die Republikaner haben mit dem „Freedom Caucus“ im US-Kongress eine wachsende Gruppe Rechtskonservativer und Evangelikaler, die derzeit dominieren. Andere, moderatere Strömungen in den republikanischen Reihen sind marginalisiert. Nach außen sieht man fast nur Trump. So könnte es im November sein, dass die Verhinderung von Trump zum wichtigsten Grund für die Wahl von Biden wird.

Auf die Swing States kommt es an

Wegen der ideologischen Festlegung der Wählerinnen und Wähler sind in den meisten Bundesstaaten die Mehrheiten schon vor der Wahl klar. Nur in sieben Staaten, den Swing States, gilt diesmal das Rennen als knapp. Die Zahl ist in zwei Jahrzehnten von ca. 16 Swing States immer kleiner geworden. Auch das ein Ergebnis des ideologisch „divided Country“, des gespaltenen Landes. Schon kleine Veränderungen können 2024 den Ausschlag geben. So ist ganz offensichtlich, dass bei zwei unbeliebten Kandidaten die Nachfrage nach einer dritten Option vorhanden ist. Die unabhängigen Kandidaten spielen bis auf Robert F. Kennedy, RFK genannt, keine Rolle. Dieser steht bei rund 10 % in bundesweiten Umfragen. Die Kennedy-Familie distanziert sich von RFK, da er durch wirre Behauptungen auffällt. Donald Trump kritisierte im Mai dessen Kandidatur als demokratische. Ein Zeichen, dass man im Lager von Trump davon ausgeht, dass RFK Trump mehr Stimmen kostet als Biden.

Themen: Immigration und Abtreibung

Der Trend zur Personenwahl hat sich auch weiter verstärkt. Allerdings spielen verschiedene Themen immer noch eine wichtige Rolle. In den Vorwahlen dominierte das Thema Immigration bei den Republikanern. Aber auch demokratische Wähler sehen die illegale Immigration als großes Problem. Ein von Demokraten und Republikanern im Frühjahr verhandeltes Gesetz zur Verhinderung von illegaler Immigration hat Donald Trump blockieren lassen, weil er das Thema weiterhin zur Mobilisierung braucht. Was bei Republikanern das Thema Immigration ist, ist bei den Demokraten das Thema Recht auf Abtreibung. Nachdem im Juni 2022 der Supreme Court das bestehende Abtreibungsrecht von 1973 gekippt hatte, entbrannten heftige Diskussionen in den Bundesstaaten über die zu treffenden Regelungen. Inzwischen zeigt sich, dass auch in republikanisch regierten Staaten Mehrheiten für eine gesetzliche Regelung möglich sind, die Abtreibung erlauben. So lautete jedenfalls das klare Ergebnis eines Referendums im republikanisch regierten Ohio im November 2023. 

Außenpolitik gewinnt keine Wahlen.

Diese alte Wahlkämpferweisheit in den USA bleibt gültig. Aber bei knappen Wahlentscheidungen spielen auch kleine Veränderungen eine Rolle. An den Universitäten entwickelt sich eine Protestbewegung wegen des Gaza-Krieges, die die Nahostpolitik von Joe Biden kritisiert. Diese Gruppen kommen zwar nahezu ausschließlich aus dem demokratischen Lager, aber sie sind selbst innerhalb ihrer Generation eine kleine Gruppe. In Michigan gibt es viele muslimische Wähler, die die pro-israelische Haltung Bidens ablehnen, die bisher mehrheitlich Demokraten gewählt haben. Auch diese Gruppe wird kaum zu Trump wechseln. Aber ob sie überhaupt noch zur Wahl gehen, bleibt fraglich. Und Michigan gilt als ein Swing State. In der Wahlkampfkommunikation spielt der Krieg gegen die Ukraine eine untergeordnete Rolle. Zwar haben die Republikaner im Kongress auf inneren Druck hin ihre Meinung für das Ukraine-Hilfspaket Ende April geändert. Aber in der Bevölkerung ist die Bedrohung durch China das weitaus wichtigere Thema. So ist es auch zu erklären, dass die beiden Parteien ein Gesetz gegen die chinesische Plattform TikTok beschlossen haben. TikTok wird immerhin von 170 Millionen Usern in den USA genutzt. Also im Grunde der Hälfte der Bevölkerung. Aber wenn es gegen China geht, dann stehen die beiden Parteien meist zusammen.

„It ́s the economy, stupid“

Dieser Spruch aus Bill Clintons Wahlkampf hat in fast allen Wahljahren treffend das zentrale Wahlkampfthema beschrieben. Nur trifft diesmal die Wahlkampflogik, gute Wirtschaft gleich gute Wahlchancen für den amtierenden Präsidenten, nicht zu. Im Grunde brummt die US-Wirtschaft: 2 Prozent Wachstum, 300.000 neue Jobs fast jeden Monat, nahezu Vollbeschäftigung. Nur klaffen wirtschaftliche Entwicklung und Stimmung weit auseinander. Umfragen zeigen deutlich, dass die Amerikanerinnen und Amerikaner mehrheitlich pessimistisch in ihre wirtschaftliche Zukunft blicken. Der Traum vom eigenen Haus mit Mitte 30 ist vorläufig für viele unerschwinglich geworden. Lebenshaltungskosten werden als viel zu hoch empfunden. Der Aufschwung bringt kaum eine Aufhellung der politischen Stimmung.

Der US Kongress macht einen ständigen Stresstest

Am 5. November wird nicht nur der Präsident gewählt. Von fast ebenso großer Bedeutung sind die Ergebnisse bei den Wahlen für das US-Repräsentantenhaus und den Senat. Im Senat steht ein Drittel der Senatoren zur Wahl. Das US-Repräsentantenhaus wird alle zwei Jahre komplett neu gewählt. Im Grunde befinden sich seine Mitglieder im permanenten Wahlkampfmodus. Und gerade das Repräsentantenhaus hat mit seiner knappen republikanischen Mehrheit in den beiden letzten Jahren immer wieder seine Handlungsfähigkeit verloren. So wurde der republikanische Mehrheitsführer Kevin McCarthy mit acht Stimmen der eigenen Fraktion im Oktober 2023 abgewählt. Ein historisch einmaliger Vorgang. Das gleiche Schicksal drohte dem neuen Sprecher Mike Johnson. Der wurde allerdings von den Stimmen der Demokraten vor der Abwahl gerettet. Es wird bei der Wahl vor allem darauf ankommen, dass im Repräsentantenhaus wieder klare Mehrheiten herrschen. Denn auch die traditionell moderierende Rolle des Senates hat nicht mehr ausgereicht, das Repräsentantenhaus kompromissfähiger zu machen. Wenn das US-Repräsentantenhaus weiterhin von einer kleinen Gruppe von Hardliner-Abgeordneten in Geiselhaft genommen wird, dann wird die kommende Legislaturperiode extrem schwierig, unabhängig davon, wer Präsident wird.

 

Martin Biesel ist Staatssekretär a.D. und Leiter des Regionalbüros Nordamerika der Friedrich-Naumann-Stiftung in Washington, D.C.

Der Text erschien zuerst in der Ausgabe 02/2024 der fdplus