Präsidentschaftswahlen
Polen wählt trotz Coronakrise
Manche Kommentatoren glaubten nach den polnischen Parlamentswahlen im Oktober 2019, dass sich die wiedergewählte Regierungspartei PiS (Recht und Gerechtigkeit) ein wenig mäßigen würde. Sie wurden enttäuscht. Der Umbau des Staates in eine latent autoritäre Richtung wird noch weiter forciert. Besonders deutlich zeigt sich der bedenkliche Kurs der Regierung in der Art, wie sie die Corona-Krise für die anstehenden Präsidentschaftswahlen am 10. Mai zu instrumentalisieren versucht.
Der polnische Präsident hat eine größere Machtfülle als etwa der deutsche Bundespräsident. Er ist nicht nur Oberkommandierender der Streitkräfte, sondern kann Gesetze, die ihm zur Unterschrift vorgelegt werden, an das Verfassungsgericht weiterleiten und im Falle der festgestellten Verfassungswidrigkeit endgültig auf Eis legen. Er kann auch ohne verfassungsrechtliche Gründe ein Gesetz nicht unterzeichnen. Dann bedarf es einer 3/5-Mehrheit im Parlament, um das Gesetz doch noch durchzubringen.
Man sieht: Es kann für eine Regierung durchaus ein veritables Hindernis sein, wenn der Präsident vielen ihrer Vorhaben kritisch gegenübersteht. Umgekehrt ist es jedoch ungemein praktisch, wenn er dem politischen Kurs der Regierung nahesteht. Womit wir beim polnischen Amtsinhaber wären: Andrzej Duda stammt aus dem Lager der PiS. Er versteht es, sich als das „menschliche Gesicht“ der Nationalkonservativen zu präsentieren. Ab und an leistet er ein wenig Widerstand, wie etwa gegen die erste Stufe der Justizreform oder die Benennung neuer Generäle gemäß Parteibuch. Wenn es aber ernst wurde, sah er sich als „Notar“ der Regierung, der auch problematischste Gesetze kritiklos unterzeichnete. Mit diesem Kurs schaffte er es bisher, auch über das harte PiS-Milieu hinaus Wähler an sich zu binden. Für die PiS ist er dadurch zu einem echten Gewinn geworden. Und die Umfragen deuten schon seit Langem darauf hin, dass Duda die Wiederwahl gegen jeden denkbaren Kandidaten der Opposition gewinnen würde.
Die PiS möchte trotzdem auf Nummer Sicher gehen.
Notstand ohne Notstand
Da kommt die Corona-Pandemie fast wie gerufen. Die polnischen Präsidentschaftswahlen sollen am 10. Mai stattfinden. Es ist nicht unwahrscheinlich, dass zu dem Zeitpunkt die bestehenden Corona-Notstandsmaßnahmen noch in Kraft sind. Auf jeden Fall beeinträchtigen sie vorab dramatisch den Wahlkampf der Opposition. Während in den staatlichen Medien, die die PiS schon zu Anfang ihrer Regierungszeit voll unter ihre Kontrolle gebracht hatte, der amtierende Präsident allgegenwärtig ist, sind die Gegenkandidaten in ihrer Wahlkampfführung fast vollständig eingeengt. Wahlkampfveranstaltungen können zum Beispiel überhaupt nicht mehr durchgeführt werden. Die Regierung fährt dabei einen taktisch geschickten Kurs, der einerseits im Namen der Seuchenbekämpfung immer mehr de-facto-Notstandsverordnungen nach sich zieht (so plant Justizminister Ziobro ein Gesetz, dass bis zu 3 Monate Haft ohne Gerichtsbeschluss ermöglicht), aber einen Notstand als solchen leugnet. Empört kommentiert die Tageszeitung Gazeta Wyborcza, der eigentliche starke Mann im Lande, PiS-Vorsitzender Jaroslaw Kaczyński, führe „den Staat im Ausnahmezustand ohne diesen auszurufen“. Aber ohne formal-rechtlichen Notstand müssen die Wahlen eben nicht zwingend abgesagt werden. Gleichzeitig, so ein Kommentar in der gleichen Zeitung, gebe keine Demonstrationen, keine Gerichte, keine Lohnforderungen, keine Streiks. Kurzum: Keiner störe die PiS beim Regieren. Wozu also die Wahlen verschieben?
Klar ist, dass dadurch der Wahlkampf der Oppositionskandidaten - Małgorzata Kidawa-Błońska von der zentristischen Bürgerkoalition KO (der auch die liberale Partei Nowoczesna angehört), der moderat-konservative Vorsitzende der Polnischen Bauernpartei (PSL), Władysław Kosiniak-Kamysz, der EU-Abgeordnete Robert Biedroń vom Bündnis der linken Parteien, der Kandidat der ultra-rechten Konföderation, Krzysztof Bosak, und der parteilose Publizist Szymon Hołownia – enorm beeinträchtigt wird. Alle bisherigen Umfragen sagen voraus, dass der amtierende Präsident Duda im ersten Wahlgang gegen dieses zersplitterte Feld von Gegenkandidaten mit Leichtigkeit siegen würde, allerdings nicht mit absoluter Mehrheit. Es käme also zu einem zweiten Wahlgang, in dem der Nächstplatzierte alleine gegen Duda kandidieren würde. Das dürfte nach aller Wahrscheinlichkeit wohl Kidawa-Błońska sein.
Faire Wahlen nicht durchführbar
Nicht nur die Mehrheit der Bevölkerung hält eine Durchführung der Wahlen unter den gegenwärtigen Bedingungen für nicht wünschenswert. Es gibt darüber hinaus schlichtweg technische Probleme: Bis zum 10. April müssten zum Beispiel die lokalen Wahlkommissionen mit rund 300.000 Freiwilligen besetzt werden. Die Kommunen wissen nicht, wie sie das in den Zeiten von Corona organisieren sollen. Der Betrieb der Botschaften und Konsulate ist fast eingestellt. Wie sollen sich also tausende Auslandspolen registrieren lassen? Kann man die ganze Wahl ganz auf Briefwahl umstellen? Die Post wäre, so Expertenschätzungen, den zusätzlichen 9 Millionen Sondersendungen nicht gewachsen. Zudem: Aus wahltaktischen Gründen hatte die Regierung 2018 die Fernwahl eingeschränkt - offiziell, weil diese Wahlfälschung ermöglichen würde. Auch die Möglichkeit, die das Büro des Ministerpräsidenten nunmehr ins Spiel brachte, man könne ja Urnen zu den Menschen in Quarantäne hinbringen, wurde von der Regierung selbst abgeschafft. Das Wahlgesetz lässt sich zudem sechs Monate vor einer Wahl nicht mehr ändern.
Kurz: Politischer Anstand und auch rein sachlich-technische Gründe legen eine Verschiebung der Wahl geradezu zwingend nahe. Dass die Regierung bisher hartnäckig auf einer Durchführung am 10. Mai besteht, ergibt sich für sie aus rein rechnerischen und strategischen Gründen. Man könnte von einer machiavellistischen Mathematik sprechen. Die Umfragen sprechen eine klare Sprache. Vor einigen Tagen veröffentlichte Zahlen des Meinungsforschungsinstituts IBRIS besagen zwar, dass 73% der Befragten eine Verschiebung der Präsidentschaftswahlen wollen, aber Dudas Anhänger überdurchschnittlich bereit seien, auch im Mai zur Wahl zu gehen, während oppositionelle Wähler verstärkt an Wahlabstinenz denken. Die Gesamtbeteiligung würde dann auf schlappe 31% sinken (2015: 48,96%). Duda bekäme 65% und wäre im ersten Wahlgang gewählt. Verschöbe man aber die Wahlen, würde Duda wegen der höheren Beteiligung oppositioneller Wähler in diesem Falle nur 44% bekommen – was zwar deutlich über den prognostizieren 19% für Kidawa-Błońska läge, aber einen zweiten Wahlgang nötig machen würde. In diesem würde Duda wahrscheinlich mit 53% zu 39% siegen, aber es gibt einen Anteil von 8%, der noch unentschlossen ist. Warum also das Risiko eingehen?
Machiavelli und Wahlumfragen
Faire Wahlen sind zurzeit nicht durchführbar. Aus der Sicht einer skrupellosen Machtpolitik ist das Festhalten am Wahltermin irgendwie rational – zumindest für die Regierungspartei.
Ist eine Verschiebung doch noch möglich? Die Opposition reagiert zunehmend hart. Kidawa-Błońska will ihren Wahlkampf auszusetzen und ruft zum Wahlboykott auf. Die Wahlen müssten verschoben werden, sagt Adam Szłapka, Vorsitzender der liberalen Nowoczesna: „Jeder versteht das, außer Andrzej Duda!“ Gestern gab es eine neue Umfrage, der zufolge der Anteil derer, die eine Verschiebung fordern, jetzt sogar auf 77,4% gewachsen ist. Das Interessante dabei: Auch unter Dudas Anhängern beträgt die Zahl mittlerweile 74%. Die Wahlbeteiligung würde nach dieser Umfrage noch weiter auf 20,7% sinken – ein Rekordtief, dass auch bei einer sicheren Wahl Dudas (mit 54,6% im ersten Wahlgang) die Frage der demokratischen Legitimität aufwirft.
Solche Verhaltensregeln politischer Kultur hat die PiS bisher jedoch nur selten befolgt. Allerdings könnte der Trend, dass auch die eigenen Anhänger die Position der Partei mittlerweile sehr kritisch sehen, von der PiS-Führung als langfristige Gefahr und strategisches Risiko wahrgenommen werden. Es gibt seit gestern vorsichtige Ausführungen Dudas, er ginge davon aus, die Epidemie sei Ostern vorbei, sodass die Wahlen problemlos durchgeführt werden könnten. Sollte das nicht der Fall sein, könne man die Wahlen nicht durchführen. Ob sich die Regierung dieser Meinung anschließt, dafür gibt es allerdings noch keine Anzeichen. Und vielleicht versucht Duda auch nur, sein Image als Gemäßigter aufzupolieren, das durch die machiavellistische Position der Partei in letzter Zeit schwere Lädierungen hinnehmen musste. Für das Land wäre es indes in jedem Fall das Beste, wenn für die Präsidentschaftswahlen faire Regel gelten würden.