Russland
Putin gibt den wachen, nüchternen Technokraten
In einer über vierstündigen Presskonferenz hat der russische Präsident Wladimir Putin Fragen von russischen und westlichen Journalisten zu Innen- und Außenpolitik beantwortet. Dabei hat er auch eine Falschbehauptung zum Mord im Tiergarten eingeräumt und sich als wacher und nüchterner Technokrat präsentiert. Julius von Freytag, Leiter des Moskauer Büros der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit, ordnet die Konferenz im Interview mit freiheit.org ein.
freiheit.org: Im Sommer wird live im Fernsehen übertragen, wenn Putin stundenlang mit Anrufern aus der Bevölkerung spricht, und kurz vor Weihnachten gibt er sich einem ähnlichen Marathon im Gespräch mit Journalisten hin. Warum tut Putin das?
von Freytag: Er hat es eben noch nicht geschafft, wie Trump direkt über Twitter mit der Bevölkerung zu reden (lacht). Im Ernst benötigt auch jeder autoritäre Herrscher Legitimität und Rückkoppelung mit den Bürgern. Seit Putin Präsident ist, wird politischer Wettbewerb unterdrückt, weshalb er seine Legitimität stärker aus Umfragen in der russischen Bevölkerung zieht. Neben Geheimdienstberichten gelten Umfragen als eine der wichtigsten Informationsquellen des Präsidenten. Auch die Medienfreiheit hat seit seinem ersten Amtsantritt stetig abgenommen. Während es in Staatsmedien tabu ist, schlecht über Putin zu berichten, können Journalisten hier auch schwierige Themen ansprechen. In kontrollierter Umgebung holt er sich also Rückkoppelung und Legitimität.
freiheit.org: Und wie gut hat das funktioniert? Was war die wichtigste Botschaft Putins, die Sie von der Konferenz mitgenommen haben?
von Freytag: Er wirkte ausgeschlafen, vorbereitet, zeigte sich aufmerksam den Problemen der Fragesteller gegenüber und betonte themenunabhängig immer wieder als zentrale Vokabeln Effektivität, Komplexität und Kooperation. Die Botschaft war im Grunde: „Seht, ich höre und löse Eure Probleme, und nebenbei kann ich die Komplexität der Geopolitik wie kein anderer navigieren“. Bei den vielen Fragen um die sozial schwierige Lage nach fünf Jahren Rezession und Stagnation seit Krim- und Ukrainekrieg, klangen seine Antworten aber sehr nach positiven Durchhalteparolen, dass ja eigentlich alles auf dem richtigen Weg sei. Kritische Kommentatoren, die es in Russland zum Glück weiterhin gibt, haben darauf hingewiesen, wie wenig echte Perspektiven für die Erholung der Wirtschaft und sozialen Probleme er präsentiert hat.
freiheit.org: Sie haben schon unzählige ähnliche Ansprachen von Putin verfolgt. Was hat Sie an seinen Antworten heute überrascht?
von Freytag: Wirklich überrascht hat mich, dass der Spiegel-Korrespondent Christian Esch eine Frage zum Tiergartenmord stellen konnte und dass Putin in seiner Antwort eine eigene Falschbehauptung eingeräumt hat. Er gab zu, dass es nie ein Auslieferungsgesuch von Russland gegenüber Deutschland für den Ermordeten gab. Er betonte, sowohl mit den deutschen Behörden zu kooperieren, aber ging auch zum Angriff über, dass der ermordete Georgier Zelimkhan Kangoshvili ein schlimmer Mörder gewesen sei und dass es ein Problem sei, wenn solche Verbrecher friedlich im Westen spazieren könnten. Aber das Einräumen einer eigenen Falschbehauptung ist selbst bei deutschen Politikern selten. Insgesamt hat er eine gute Show geboten. Aber ob ihm das hilft, die Umfragewerte von 2014 zurückzuerobern, bezweifle ich. Dafür müsste zu den abgewogenen Worten mehr konkrete Substanz, beispielsweise mit echten Friedensbemühungen für Ukraine und die eingefrorenen Konflikte in den Nachbarländern, sowie eine echte Reformagenda kommen.