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Bildung
Covid-19: Wie Südasien die Lerndefizite bewältigen will

Education in Pandemic Poster
Education in Pandemic Poster © FNF South Asia

Die SARS-CoV-2-Pandemie hat das Bildungssystem in Südasien erheblich unter Druck gesetzt. Auf dem Höhepunkt der Schließungen im April 2020 konnten laut Weltbank weltweit mit 94 Prozent fast alle Studierenden und 1,6 Milliarden Kinder ihre Universitäten bzw. ihre Schulen nicht mehr besuchen. In Staaten mit niedrigem und mittlerem Einkommen war die Situation schon vor dem Ausbruch von Covid-19 dramatisch. Das verdeutlichen Zahlen von Weltbank und UN: Mehr als die Hälfte aller zehnjährigen Kinder konnte laut Weltbank einfache Texte nicht lesen und verstehen. 258 Millionen Kinder hätten keine Grundschule und keine weiterführende Schule besucht, so die UN. Die Pandemie habe die Situation weiter verschlechtert.

Es wird befürchtet, dass sich gerade in der Region Südasien, in der eine beträchtliche Zahl von Schulkindern lebt, ein riesiges Lerndefizit aufgebaut hat. In ihrer Studie „Beaten or Broken Informality and Covid19 in South Asia” beziffert die Weltbank den durch die Schulschließungen entstandenen wirtschaftlichen Schaden auf 622 Milliarden US-Dollar. Hinzu kämen erhebliche Lernverluste.

Um allen Kindern weltweit Zugang zu qualitativ hochwertiger Bildung gewährleisten zu können, müssen diese Defizite zügig adressiert werden. Darin waren sich Bildungsexperten aus Indien, Nepal und Afghanistan einig, die Mitte Juni bei der Veranstaltung „Education in a Pandemic: Fulfilling Learning Gaps Among Students“ diskutierten, wie das Bildungssystem in Südasien die Herausforderungen nach Ende der Pandemie bewältigen kann. Bei dem Online-Event der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit in Kooperation mit ihrem Partner, dem Centre for Civil Society, wurde deutlich, dass auch 15 Monate nach Beginn der weltweiten Krise noch immer unsicher ist, wann die Bildungseinrichtungen wieder ihren regulären Betrieb aufnehmen können.

Welchen Einfluss SARS-CoV-2 im – gemessen an der Bevölkerungszahl – zweitgrößten Staat der Erde hat, beschrieb Dr. Mona Mathur, Gründerin und CEO der NGO Million Sparks Foundation in Indien, wo vor den Schließungen rund 80 bis 90 Prozent der Kinder zur Schule bzw. zum College gingen. „Der Zugang ist also nicht das Problem, eher die Qualität.“ Es sei noch gar nicht klar, wie viel elementares Wissen rund um Lesen, Schreiben, Rechnen zuletzt verloren gegangen sei. Viel wichtiger ist für Mathur aber ein anderer Aspekt. „Für alle Kinder, die eine öffentliche Schule besuchen, ist dies ein Platz, an dem sie sich sicher fühlen, Essen bekommen und spielen können.“ Zu diesem sicheren Platz hätten die Kinder bereits eineinhalb Jahre lang keinen Zugang gehabt. Bevor man sich um Lerninhalte kümmere, müsse es darum gehen, die mentale Gesundheit der Schüler wiederherzustellen.

Afghanistan habe infolge der Schulschließungen ein volles akademisches Jahr verloren. Private Schulbetreiber hätten für eine Öffnung ihrer Schulen sowie finanzielle Unterstützung des Staates protestiert, jedoch ohne größeren Erfolg, berichtete Abdullah Ahmadzai, Länderrepräsentant der Asia Foundation in Afghanistan, wo laut UNICEF immer noch 3,7 Millionen Kinder, davon 60 Prozent Mädchen, bei einer Gesamtbevölkerung von gut 38 Millionen Menschen keinen Zugang zu Schulen haben. Wie Mathur und Ahmadzai betonte Sakar Pudasaini, Technologieexperte und Erzieher in Nepal, dass auch sein Land große Defizite beobachte, diese jedoch noch nicht mit zuverlässigen Zahlen beziffert werden könnten.

Welche Rolle die Schulen und Erzieher bei der Bewältigung der Folgen spielen könnten, unterstrich Mathur, die allerdings nicht damit rechnet, dass die Einrichtungen zügig dauerhaft öffnen werden. Eine gemeinsame Kraftanstrengung von Schulen, Stakeholdern der Gemeinden und Eltern sei notwendig, um das mentale Trauma zu bewältigen. Lehrer müssten für diese Aufgabe fit gemacht werden. Ein besonderes Augenmerk müssten sie zudem auf die Mädchen richten, die unter der Krise noch stärker als die Jungen litten. Wegen der Zunahme der Armut fürchtet die CEO der Million Sparks Foundation, dass Mädchen noch stärker als üblich in die Hausarbeit eingebunden würden und mit Jobs zum Einkommen beitragen müssten. „Wir müssen unbedingt die Eltern überzeugen, alle Kinder wieder zur Schule zu schicken.“ Darüber hinaus ist es aus Mathurs Sicht wichtig, dass die Lehrer vorrangig geimpft werden.

Für Sakar Pudasaini aus Nepal kommt es aktuell darauf an, dass die Schulen die Zeit bis zur endgültigen Wiedereröffnung nutzen und nicht einfach nur abwarten. Man habe gute Erfahrungen damit gemacht, den Schülern Lernmaterialien zu schicken sowie mit regelmäßigen Anrufen der Lehrer. Auch könnten die Schulen kleinere Gruppen unterrichten, zusammengesetzt aus älteren und jüngeren Schülern. „Was hilft, sollte getan werden.“

Abdullah Ahmadzai aus Afghanistan unterstrich, dass die Pandemie im Bildungssystem seines Landes durchaus innovative Lösungen hervorgebracht habe, sei es, dass die Regierung für die Klassen eins bis zwölf täglich im Fernsehen Lernstoff sendet oder der private Sektor zahlreiche digitale Formate entwickelte. Die Asia Foundation habe das Material gesammelt, um für eine größere Verbreitung zu sorgen. Der verstärkte Einsatz digitaler Medien bietet aus seiner Sicht auch die Chance, im Bildungssektor länderübergreifend zu kooperieren. Größter Engpass sei jedoch in seinem Land die Versorgung mit Strom und Internet. Selbst in der Hauptstadt komme es immer wieder zu Blackouts, die auch mal 24 Stunden dauerten.

Für einen erfolgreichen Neustart im Bildungssystem, müssten zunächst die Millionen Lehrer mobilisiert werden, um wieder in einen Dialog mit den Kindern zu treten, so Mona Mathur. Dank ihrer meist guten technischen Ausstattung könnten die Lehrer über Plattformen gut erreicht werden, um sie dafür zu befähigen. Die Kosten dafür seien gering.

Die Regierung könnte, so Abdullah Ahmadzai, auch über einen Schulbetrieb in Zeiten nachdenken, in denen gewöhnlich nicht unterrichtet werde. In Afghanistan ist dies in den warmen Regionen drei Monate im Sommer der Fall und in den kalten Provinzen drei Monate im Winter.

Einig waren sich die Experten, dass die Regierungen beim Neustart des Bildungssystems vor allem ein verstärktes Augenmerk auf die finanziell schlechter ausgestatteten Schulen richten müssten.