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China
Die „Neue Seidenstraße“: Wie sich China Einfluss im Westbalkan sichert

Montenegro Seidenstraße
Die Moracica Brücke ist eines der größten Infrastrukturprojekte, die von China auf dem Westbalkan gefördert werden © picture alliance / Hans Lucas | Nangka Press

„Ursula von der Leyen hat beschlossen, dass wir kein Recht auf diese Güter haben. Jetzt ist jedem klar, dass die europäische Solidarität nicht existiert. Es war ein schönes Märchen. Die einzigen, die uns jetzt helfen können, ist die Volksrepublik China“: Mit diesen deutlichen Worten reagierte der serbische Präsident Aleksandar Vučić im ersten Jahr der Corona-Pandemie auf einen von der EU-Kommission verkündeten Exportstopp von medizinischen Schutzgütern. Es war ein Frontalangriff auf das Bündnis, zu dem Serbien als EU-Anwärter immerhin einmal zählen möchte. Doch in Zeiten der Krise schien nun offenbar die Regierung in Peking der bessere Partner – und Schaden für die Beziehungen zur EU nahm man in Kauf.

Es ist nicht das einzige Beispiel für die Spaltung, die der wachsende Einfluss Chinas in Europa hervorruft. Grundlage dafür ist vor allem die „Belt and Road Initiative“ (BRI), besser bekannt als die „Neue Seidenstraße“: Ein gigantisches chinesischen Großprojekt, an dem 2019 bereits über 80 Länder beteiligt waren. Nach Angaben des britischen Historikers Peter Frankopan leben mehr als 63 Prozent der gesamten Weltbevölkerung entlang der „Neuen Seidenstraße“ zwischen China und dem östlichen Mittelmeerraum, mit einem kollektiven Bruttoinlandsprodukt von 21 Billionen US-Dollar – oder 29 Prozent des globalen BIP.

Für China ist die dauerhafte und gesicherte Versorgung mit Rohstoffen eines der Hauptmotive der Seidenstraßen-Initiative. Das wird auch im Falle Serbiens deutlich. Der Handel mit China konzentriert sich auf den Export nahezu eines einzigen Produkts: Kupfer und seine Derivate, die fast 80 Prozent der gesamten serbischen Exporte nach China ausmachen. Die einzige in Betrieb befindliche Kupfermine in Serbien, Bor, wird von dem chinesischen Staatsunternehmen Zijin verwaltet, das Ende 2018 die Mehrheitsanteile erwarb. Darüber hinaus ist Serbien für China in den vergangenen Jahren zu einem strategischen Partner geworden und das erste Land in Europa, welches über kombinierte chinesische Kampf- und Aufklärungsdrohnen verfügt sowie Überwachungstechnologien aus der Volksrepublik zum Aufbau einer entsprechenden Infrastruktur nutzt.

Dabei hebt die chinesische Regierung in der öffentlichen Diskussion stets den Kooperationscharakter seines „Jahrhundertprojekts“, wie Präsident Xi Jinping die Initiative nennt, hervor, selten jedoch die eigenen Interessen. Vielmehr stellt sie sich als Verteidigerin des freien Welthandels dar, immer das Wohl der Menschheit vor Augen. Gleichzeitig versucht Peking seinen Einfluss in Europa zu vergrößern, in dem es die politischen Diskurse beeinflusst, heißt es etwa in einem aktuellen Report des „European Think-Tank Network on China (ETNC). In Südosteuropa nutzt China zudem das 2012 ins Leben gerufene sogenannte „17+1“-Format, um wirtschaftliche Beziehungen und politischen Einfluss auszubauen. Dieses Bündnis setzt sich aus 12 EU-Migliedstaaten Ost- und Südosteuropas sowie fünf Westbalkanstaaten plus China zusammen. 

Chinas Schuldenregime

Doch die verbreitete „Win-Win“-Rhetorik zu den gemeinsamen Projekten, die naturgemäß auf Konfliktvermeidung angelegt ist, hat mittlerweile einer kritischeren Realitätswahrnehmung Platz gemacht. Dies betrifft im Fall der „Neuen Seidenstraße“ vor allem die einseitigen – China begünstigenden – Vertragsgestaltungen, die ansteigende Verschuldung vieler Empfängerländer sowie die spürbar wachsende politische Einflussnahme begünstigen.

Kürzlich sind durch eine internationale Studie des US-amerikanischen Forschungslabors AidData aufschlussreiche Informationen über Kreditverträge zwischen China und zahlreichen Schuldnerländern bekannt geworden. .“ Ein Forschungsteam konnte rund 100 Kreditverträge im Volltext ausfindig machen. Das Ergebnis der Recherche scheint nun vielen kritischen Stimmen recht zu geben: „Chinas Auslandskredite räumen den Schuldnern meist deutlich schlechtere Bedingungen ein als die Abkommen anderer großer Gläubigerländer“ und beeinflussten so auch die Innen- und Außenpolitik der Empfängerstaaten. Unter anderem Der Spiegel“ berichtete in Anlehnung dessen über „Knebelkredite“ und „wie Peking seine Schuldner kontrolliert“. „Strikte Geheimhaltungsklauseln“, die es den Empfängern nicht erlaubten, über die Konditionen noch über andere Bestimmungen der Verträge zu informieren, seien häufig vorzufinden. Vor allem aber sicherten die Deals China weitreichenden politischen Einfluss zu.

Wozu das führen kann, lässt sich im kleinsten Westbalkanstaat Montenegro ablesen, der 2014 einen Großkredit von fast einer Milliarde Dollar bei der chinesischen Exim-Bank aufgenommen hat. Die fällige erste Rate in Höhe von 67,5 Millionen Dollar wird der von der Corona-Krise hart betroffene Kleinstaat wohl nur unter größten Anstrengungen begleichen können. Nach jüngsten Berechnungen der italienischen UniCredit Group entspricht Chinas Kreditvergabe bereits knapp 21 Prozent des BIP in Montenegro (3,4 Prozent in Bosnien und Herzegowina, sieben Prozent in Serbien und 7,5 Prozent in Nordmazedonien).

Die bekannt gewordenen Kreditverträge berühren offensichtlich Kernfragen staatlicher Unabhängigkeit und werfen vielerlei Fragen auf, gerade auch in Richtung Serbien. Denn so manche offizielle Äußerung von Präsident Vučić erscheint nunmehr in einem anderen Licht. Etwa wenn er das chinesische Vorgehen gegen die Demokratiebewegung in Hongkong rechtfertigt oder seine „‘absolute Unterstützung für die Vereinigung Chinas mit Taiwan‘ bekundet.“ All dies ist kaum mehr als interessenpolitisches Kalkül zu erklären. Naheliegender erscheint, dass hier bereits ein erheblich gewachsener politischer Einfluss Chinas zum Ausdruck kommt. Die „geopolitisch wachgerüttelte(n) EU“, von der Ende 2019 in einem Artikel der SWP zu lesen war, ist nun aufgefordert, diesem wachsenden Einfluss autoritärer Mächte in der Westbalkanregion stärker als bisher entgegenzutreten. 

Michael Roick ist als Projektleiter der FNF für den Westlichen Balkan von Belgrad aus für Serbien, Kroatien, Bosnien und Herzegowina und den Kosovo verantwortlich.

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