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Taiwaner zu Ukraine-Krieg
„Dieser Krieg hat dem taiwanischen Volk gezeigt, wie wichtig Einigkeit und Wille sind“

Proteste in Taiwan

Bei vielen Taiwanerinnen und Taiwanern schürt der russische Angriff auf die Ukraine die Angst, dass es ihnen irgendwann ähnlich ergehen könnte

© picture alliance / Pacific Press | Yunjie Liao

Ein autoritärer Staat, der seinen kleineren Nachbarn angreift: Bei vielen Taiwanerinnen und Taiwanern schürt der russische Angriff auf die Ukraine die Angst, dass es ihnen irgendwann ähnlich ergehen könnte. Vier Taiwanerinnen und Taiwaner schildern dem „Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit China Bulletin“, wie sie sich fühlen, was sie der chinesischen Führung zutrauen und weshalb sie dennoch Hoffnung haben.

Billy Zhe-Wei Lin, Open-Source-Mitarbeiter und Bürgerjournalist

Wir machen uns Sorgen um ein mögliches Eindringen Chinas in Taiwan. Der Krieg in der Ukraine kann dazu führen, dass unsere demokratischen Partner, wie etwa die USA, abgelenkt sind. Das macht einen chinesischen Angriff noch wahrscheinlicher. Jedoch wissen wir, dass die chinesische Führung viele Vorbereitungen treffen muss, bevor sie ihre Armee einsetzen kann. Die Kommunistische Partei kann die Armee nicht plötzlich mobilisieren.

Pekings politische Motivation ist schwierig abzuschätzen. Sie könnte nicht nur von der internationalen Situation bestimmt werden, sondern hängt auch mit der innenpolitischen Situation zusammen, mit der Xi Jinping konfrontiert ist. Wenn er sich innenpolitischen Herausforderungen gegenübersieht oder wenn die Wirtschaftsleistung seine Legitimität an der Macht infrage stellt, könnte er den Schwerpunkt seiner Innenpolitik verlagern, indem er Taiwan angreift. So gesehen kann China jederzeit entscheiden, Taiwan anzugreifen. Wir müssen immer Acht geben.

Der Verlauf der russischen Invasion in der Ukraine wird Xi Jinpings Denken definitiv beeinflussen. Dieser Krieg zeigt, dass das Urteil autoritärer Herrscher leicht ungenau sein kann. Ich denke, dass Xi Jinping dies in seine Überlegungen einbeziehen wird. Xi denkt vor allem an seine eigene politische Karriere. Selbst wenn er eine Schlacht verliert, wird er dies tun, solange er seine politische Karriere festigen kann.

Noch bedeutender ist, dass dieser Krieg dem taiwanischen Volk gezeigt hat, wie wichtig Einigkeit und Wille sind. Solange es einen starken Willen zum Widerstand gibt, wird selbst eine Armee wie die russische in diesem Krieg ernsthaften Schaden nehmen.

 

Yi-hsiang Shih, Generalsekretär der Taiwan Association for Human Rights

Die offizielle Stellungnahme der russischen Behörden, wonach die Ukraine ein untrennbarer Teil Russlands ist, ist Chinas Behauptung gegenüber Taiwan sehr ähnlich. Jedoch hat China wahrscheinlich schon bemerkt, dass dieser unberechtigte Krieg nicht nur die Ukrainerinnen und Ukrainer zusammengeschweißt hat, sondern auch die EU, das Vereinigte Königreich, die USA und viele andere Länder. Die Sanktionen gegen Russland nehmen stetig zu. Falls China in Taiwan eindringen sollte, wären die gleichen Folgen zu erwarten. Als Menschenrechtler und Bürger eines der wenigen Länder mit Freiheit, Demokratie und Menschenrechten in Asien, denke ich, dass dieser Krieg uns darin bestärkt hat, dass wir an der Seite der Opfer von Menschenrechtsverletzungen stehen sollten, die unter autoritären Regierungen leiden.

Wir können sehen, dass Putins Kontrolle über Pressefreiheit und seine Unterdrückung von Antikriegsaktivisten weiter zunehmen. Auch Xi Jingping erhält sein Regime seit Langem mit totalitärer Herrschaft aufrecht. Leider ist das Ausmaß seiner grausamen Maßnahmen und Menschenrechtsverletzungen noch viel größer als das von Russland. Da die USA und die europäischen Länder in jüngster Zeit angefangen haben, China wachsam zu beobachten, und auch allerlei Druck innerhalb der chinesischen Regierung aufkommt, wird Xi Jingping sich fragen müssen, ob er einem Angriff auf Taiwan Vorrang geben sollte und ob das der Festigung seines Regimes helfen oder schaden würde. Zwar ist es irrational, in nächster Zeit mit dem gewaltsamen Eindringen in Taiwan zu rechnen. Trotzdem sind die Aktionen des Diktators Xi Jingpings undurchschaubar.

 

Yu-hsien Liao, Bezirksrätin von Yunlin:

Als Mitglied des Bezirksrats von Yunlin in Taiwan bin ich sehr besorgt, denn im 21. Jahrhundert ist ein solch schwerer Angriffskrieg nicht ausgeschlossen. Die Missachtung der Menschenrechte durch die Kommunistische Partei Chinas in Hongkong beweist einmal mehr, dass man diesem Land nicht trauen kann. Als Taiwanerinnen und Taiwaner, die Diktatur und Unterdrückung hinter sich gelassen haben und nun von der Unterdrückung durch die Kommunistische Partei Chinas bedroht sind, sollten wir immer wachsam sein und unser Bestes tun, um unsere Heimat zu schützen.

Yunlin ist die Kornkammer Taiwans, und im Falle eines Krieges wird Yunlin ein wichtiges Versorgungszentrum sein. Unser Bezirk wird aber oft vernachlässigt, weil er ein landwirtschaftliches und nicht-urbanes Gebiet ist. Langfristige Vernachlässigung führt jedoch dazu, dass die Menschen relativ gleichgültig gegenüber internationalen Nachrichten werden. Der Krieg zwischen Russland und der Ukraine macht mir Angst vor dem Tag, an dem das Gleiche hier geschehen wird. Die Menschen in Yunlin sollten wissen, wie wichtig sie für Taiwan sind, und ihr Hafen Mailiao ist ein extrem wichtiger Hafen. Die Entwicklung des Krieges in der Ukraine wird sich auch auf die Strategie der Kommunistischen Partei Chinas in Bezug auf Taiwan und auf die Idee der gewaltsamen Vereinigung auswirken.

Ich glaube nicht, dass es dadurch (die Probleme des russischen Militärs, Anm. d. Red.) Abschreckungseffekte gibt, sondern nur, dass Xi Jinping seine Strategien geändert hat. Die wirtschaftlichen Beziehungen zwischen Russland und der Europäischen Union sind enger geworden. Seit dem Amtsantritt von Xi Jingping hat China jedoch immer versucht, sich von der Wirtschaft zu lösen, die sich um Europa und die USA dreht. China ist ständig auf der Suche nach einer Wirtschaft, die von der westlichen Welt unabhängig ist, und versucht, diese zu etablieren. Bis zu einem gewissen Grad haben sie ihren eigenen Wirtschaftsmarkt. Daher denke ich, dass China keine Angst vor einem Zusammenschluss der europäischen Länder hat. Pekings unmenschliches Vorgehen gegen Tibet und die politischen Maßnahmen, die die Menschenrechte in Hongkong verletzen, haben gezeigt, dass sie keine Rücksicht auf die Menschenrechte und die Freiheit nehmen. Dennoch ist es unwahrscheinlich, dass China in naher Zukunft Taiwan angreifen wird. Schließlich muss die KP ihre strategischen Positionen, die internationale Lage und die Pandemie gründlich abwägen.

 

Peng-hsuan Lee, NGO-Mitarbeiterin:

Wenn ich mir die derzeitige Invasion in der Ukraine ansehe, bin ich persönlich beunruhigt. Ich glaube, dass es vielen Taiwanerinnen und Taiwanern genauso geht wie mir. China ist dafür bekannt, dass es verschiedene Gelegenheiten ergreift, um seine Wünsche durchzusetzen. Der Krieg kommt mir jetzt viel realer vor. Ich habe begonnen, mich an meine Erfahrungen während des (in Taiwan üblichen, Anm. d. Red.) Wehrunterrichts zu erinnern und mit meinen Freunden - sowohl männlichen als auch weiblichen - darüber zu diskutieren. Ich könnte mir vorstellen, meine Kenntnisse und Fähigkeiten im Bereich der Zivilverteidigung auch in Zukunft zu verbessern. Ich mache mir ein wenig Sorgen, weil ich das Gefühl habe, dass viele meiner Mitbürgerinnen und Mitbürger sich nicht trauen würden, das Land so zu verteidigen, wie es die Ukrainer tun. Ich mache mir auch Sorgen, dass wir nicht in der Lage sind, meinen zukünftigen Kindern eine sichere Welt zu bieten, in der sie aufwachsen können. Wenn wir etwas daraus gelernt haben, dann die Wichtigkeit der Selbstverteidigung und die tägliche Verbindung und Unterstützung, die wir der internationalen Gemeinschaft verdanken.

Ich glaube aber, dass Taiwan und die Ukraine im Interesse der westlichen Demokratien ganz anders bewertet werden - und auch zwischen den Vereinigten Staaten und der EU gibt es einen großen Unterschied. Die einmütige Unterstützung der demokratischen Regierungen durch die Zivilgesellschaften zeigt jedoch definitiv eine Haltung gegenüber den autoritären Ländern, die deutlich macht, dass dieses Verhalten nicht akzeptabel ist. Aber um Chinas Aggressionen wirksamer abzuschrecken, müssen die großen Demokratien meiner Meinung nach einen stärkeren Standpunkt einnehmen und substanziellere Unterstützung leisten, statt nur Lippenbekenntnisse abzugeben.

Yawei Chou ist Programm Managerin im FNF-Büro in Taipei