Pekings Narrativ
"Geräuschlose Schlacht" zwischen China und dem Westen
Der Osten steigt auf, der Westen sinkt ab: So sieht Chinas Präsident Xi Jinping die Welt. Seine Herausforderung des Westens soll Xi helfen, die Macht der Kommunistischen Partei neu zu legitimieren.
„In unserer Welt, die sich eines seit hundert Jahren noch nie dagewesenen Wandels unterzieht, ist ein Trend unverkennbar geworden: der Osten steigt auf während der Westen sinkt und fällt“, verkündete Chinas KP-Chef Xi Jinping auf der Feier zum hundertjährigen Bestehen seiner Partei. Xi fügte hinzu: „Das ist es, was uns gelassen macht und vertrauensvoll in die Zukunft blicken lässt.“ Das war am 1. Juli 2021. Da klang Xi wie ein General, der seiner Armee Mut zuspricht, durchzuhalten, um eine Entscheidungsschlacht doch noch zu gewinnen.
Tatsächlich begann diese Schlacht gegen den Westen Anfang 2013, kurz nach der Amtseinführung Xis als Staatspräsident und damit als Chinas neuer, starker Mann. In einem 92-minütigen Video, produziert von den wichtigsten Staatsträgern wie der Armee, dem Geheimdienst, der staatseigenen Akademie der Sozialwissenschaft und der Propagandaabteilung der KP, sprach die neue Führung von einer geräuschlosen Schlacht, bei der es darum ginge, dass „die Imperialisten niemals mit ihrem Plan aufhören werden, uns zu vernichten, etwa dadurch, unseren Sozialismus zu unterwandern.“
Elf Monate später, im Mai 2014, deklarierte Parteichef Xi seine „umfassende Konzeption für die Staatssicherheit“, die elf Bereiche des Gesellschaftslebens umfasst: von Wissenschaft und Technik über Kultur und Religion bis hin zu Sport und Medizin. Überall müsse China sich vor einem feindseligen Westen in Acht nehmen. Wo immer es möglich ist, müsse man Einflüsse auf China und Chinesen zurückdrängen, etwa zunehmend in Hong Kong und Macao, wo Freiheiten westlichen Stils noch garantiert waren.
Damit das Konzept nicht nach greller, aggressiver und dennoch illusorischer Propaganda aussieht, wurden in den darauffolgenden Jahren eine Reihe von Gesetzen im Schnellverfahren verabschiedet und umgesetzt: angefangen vom „Gesetz der Staatssicherheit“ über das „Gesetz der Sicherheit des Internets“ und das „Anti-Spionage-Gesetz“ bis hin zum „Gesetz der Staatssicherheit in der Sonderverwaltungszone Hongkong“. Und 2021, als Antwort auf die Sanktionen der EU aufgrund der massiven Menschenrechtsverletzungen in Xinjiang, kam auch noch das „Anti-Sanktionsgesetz“.
Handelskrieg mit den USA nicht ausgestanden
Derweil wurden ab 2016 in China im großem Stil kartellrechtliche Ermittlungen gegen globale Unternehmen wie Qualcom, Microsoft, Mercedes Benz und Audi durchgeführt. Es war Firmenvertretern aus dem Westen sogar verboten, zum Gespräch mit der chinesischen Behörde NDRC (National Development and Reform Commission) ihre eigenen Anwälte mitzubringen. Ganz nach dem Motto: „Friss oder stirb.“ In dieser Runde gaben die westlichen Giganten klein bei. Bei weiteren Runden begannen einige der Mega-Konzerne, vor allem aus Amerika und aus Japan, sich gänzlich aus China zurückzuziehen, was enorme Kapitalflucht auslöste.
Zudem begann kurz darauf der Handelskrieg mit Donald Trumps Amerika, der bis heute tobt. „Ein chinesisches Stalingrad“, titelte Mitte 2018 Hu Xijin, Chefredakteur der „Global Times“ in Peking. „Wir können es uns nicht leisten, diese Schlacht zu verlieren.“ Aber China hat verloren. Ein Deal wurde abgeschlossen, Peking hinkt noch heute hinter seiner Vertragspflicht hinterher, Unmengen Produkte aus den USA zu kaufen - ansonsten drohen noch höhere Strafzölle. Bald wird die neue Handelsministerin der USA, Katherine Chi Tai, bekanntgeben, ob die Drohungen Trumps, die verhängten Strafzölle weiter anzuheben, von seinem Nachfolger Joe Biden wahrgemacht werden. Aus Washington verlautete schon, dass bereits verhängte Strafzölle bleiben.
Der von Xi kleingeredete Westen reagiert teils aggressiv, teils widerwillig auf Chinas Herausforderung. Immer mehr europäische Nationalparlamente haben Gesetzinitiativen, die Beziehung zu Taiwan verbessern sollen - was China bis zur Weißglut reizt. In Osteuropa kündigen immer mehr Staaten, die bislang jede chinesische Investition umarmt hatten, ihre Bereitschaft auf, chinesische 5G Technologie von Huawei anzuschaffen. Dem hat sich inzwischen sogar Serbiens Präsident Aleksandar Vučić angeschlossen. 2020, als die erste chinesische Impfstoff-Lieferung auf dem Flughafen von Belgrad landete, hatte Vučić noch mit Tränen in den Augen die chinesische Nationalflagge geküsst.
Großbritannien und Frankreich haben Flugzeugträger ins Südchinesische Meer entsandt, Deutschland die Fregatte „Bayern“. Deutschland und Japan haben einen sicherheitspolitischen Dialog begonnen. In alledem sieht Peking stark Misstrauen bildende, wenn nicht gar feindselige Gesten. „Was bedeutet dies alles für uns Europäer, die wir auch in Zukunft mit China im Gespräch bleiben wollen?“, fragte im Mai 2021 bei einem internationalen Webinar in Paris ein Berater des Französischen Präsidenten Emmanuel Macron in die Runde. „Folgendes“, antwortete ein China-Experte: „Bislang sind die Europäer immer mit einem schönen Blumenstrauß zu den Chinesen gegangen. Nun knallen sie zuerst eine geladene Pistole auf den Tisch und wollen dann reden.“
*Ming Shi ist freier Journalist und Jurist. Er stammt aus Peking.
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