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China
Medienfreiheit in China: „Wir steuern auf einen Tiefpunkt zu“

Überschwemmung
Bewohner während der Überschwemmung in Baisha Town im Kreis Zhongmu. Baisha Town ist das am schlimmsten betroffene Gebiet in der Stadt Zhengzhou in der zentralchinesischen Provinz Henan. © picture alliance/dpa/HPIC | Stringer  

Fast zur gleichen Zeit, als in Deutschland im Juli eine Flutkatastrophe ausbrach, die in der Bundesrepublik mehr als 180 Menschen das Leben kostete, stiegen auch in der chinesischen Provinz Henan die Wasserstände an. In der zentralchinesischen Metropole Zhengzhou kam es zu den schwersten Regenfällen seit Jahrzehnten. Bilder von Menschen, die in U-Bahnen feststecken, in denen das Wasser bereits auf mehr als einen Meter angestiegen war, gingen um die Welt. Zwölf Menschen kamen in Zhengzhou nach offiziellen Angaben ums Leben.

Vor Ort waren nicht nur chinesische Journalisten und Journalistinnen, sondern auch ausländische Korrespondenten, um über das Hochwasser zu berichten. Doch wurde ihre Arbeit immer wieder gezielt gestört, beklagte der Foreign Correspondents Club of China (FCCC) in einem Statement hinterher. Demnach hatte etwa die kommunistische Jugendorganisation von Henan, der 1,6 Millionen Menschen im sozialen Netzwerk Weibo folgen, dazu aufgefordert, den BBC-Reporter Robin Brant ausfindig zu machen. Anwohner von Zhengzhou verwechselten wenige Tage später einen deutschen TV-Reporter mit Brant und umstellten ihn. Nach Angaben von FCCC wurde der Reporter am Arm gepackt und daran gehindert, die Situation zu verlassen. Zudem hätten chinesische Mitarbeiter mehrerer ausländischer Medien nach Todesdrohungen und einschüchternden Nachrichten ihre Jobs aufgegeben.

David Bandurski leitet das China Media Project (CMP), das gerade nach Taiwan umgezogen ist. Das CMP arbeitet mit Medienschaffenden und Partnern zusammen, um Trends und aktuelle Entwicklungen im Journalismus in China zu identifizieren.

FNF China Bulletin: Herr Bandurski, was können wir von den Vorfällen in Henan ableiten, wie würden Sie die aktuelle Lage für Journalisten und Journalistinnen in China beschreiben?

David Bandurski: Die Situation hat sich generell für Medienschaffende in China in den letzten Jahren verschlechtert, dabei geht es nicht nur um ausländische Korrespondenten, sondern auch um chinesische Journalisten und Journalistinnen, die versuchen, an die Grenzen des Möglichen zu gehen. Auch wenn es wirklich wichtig ist, über das Umfeld zu sprechen, in dem ausländische Journalisten und Journalistinnen arbeiten, dürfen wir deren Schicksale nicht aus den Augen verlieren.

Viele der Anfeindungen, die wir derzeit gegen ausländische Korrespondenten beobachten, sind auf die von der Partei geforderte Maxime zurückzuführen, dass ein “gerechteres und differenzierteres” Bild Chinas in der Welt vermittelt werden muss. Dem obliegt die Annahme, dass China von einem kritischen Westen schlecht behandelt wird.

CB: Präsident Xi Jinping hat schon vor fünf Jahren verkündet, dass es notwendig sei, “Chinas Geschichte gut zu erzählen”. Was bedeutet das?

Bandurski: Die Parteiführung ist der Meinung, dass China auf der ganzen Welt eine größere Stimme haben muss. Das geht einher mit dem nationalistischen Versprechen von Xi, eine, wie er es nennt, "große Revitalisierung" der chinesischen Nation herbeizuführen. Für die Führung geht es vor allem um positive Berichterstattung. Der Parteistaat möchte ein Bild vermitteln, das China in der Welt hervorhebt und die Größe der Partei selbst unterstreicht.

Die Führung verbreitet dafür im Land die Annahme, dass die chinesische Stimme in der Welt zugunsten kritischer Berichterstattung ausgeblendet wird und positive Darstellungen unterdrückt werden - von ausländischen Medien, Menschenrechtsgruppen, Politikern in den USA und in Europa. Die Rhetorik in den staatlichen Medien in China und in den sozialen Medien kann ziemlich übel werden, wenn es um die so genannten "feindlichen Kräfte" geht, die angeblich versuchen, China kleinzuhalten. In vielen dieser Fälle, in denen Auslandskorrespondenten betroffen sind, schwappt diese Feindseligkeit über und beeinflusst ihre Arbeit vor Ort.

CB: Welche Folgen hat das für Medienschaffende in China im Allgemeinen?

Bandurski: Der kritische einheimische Journalismus in China wurde unter Xi Jinping seit 2013 dezimiert, und der Druck auf mutigere Journalisten und Journalistinnen sowie Schriftsteller und Schriftstellerinnen steigt immens. Die jüngsten Fälle populistisch und nationalistisch motivierter Schikanen gegen Auslandskorrespondenten kündigten sich bereits in den letzten Jahren durch ähnliche Angriffe an. Vor über einem Jahr wurde beispielsweise die in Wuhan lebende Schriftstellerin Fang Fang im Internet mit Drohungen überzogen und von Nationalisten als Verräterin gebrandmarkt - alles nur, weil ihr öffentlich gemachtes Tagebuch, das “Wuhan Diary”, in dem sie über die Epidemie in ihrer Heimatstadt berichtete, als Verleumdung des Bildes eines großen und tadellosen Chinas angesehen wurde. Auch Caixin, das Nachrichtenmagazin, das Fangs Tagebuch ursprünglich veröffentlicht hatte, wurde heftig kritisiert.

Anfang dieses Jahres wurde Vicky Xu, eine australisch-chinesische Journalistin, die kritisch über heikle Themen wie [die Menschenrechtsverbrechen an den Uiguren in] Xinjiang geschrieben hatte, in China online als "Verräterin" und "weiblicher Dämon" angegriffen, als der Zusammenhang von Zwangsarbeit und der aus Xinjiang stammenden Baumwolle zu einem internationalen Thema wurde. Im Juni wurden rund 200 chinesische Intellektuelle, die in der Vergangenheit an einem Austausch mit Japan teilgenommen hatten, von Online-Nationalisten als "Verräter" beschimpft, bis sich das chinesische Außenministerium sogar zu einer Klarstellung gezwungen sah, dass dieser Austausch "gängige Praxis" sei und auf Gegenseitigkeit beruhe. Aber der Fall zeigt, wie aufgeladen das alles inzwischen ist.

CB: Wie können ausländische Journalisten und Journalistinnen in so einem gesellschaftlichen Klima noch arbeiten?

Bandurski: Jeder Auslandskorrespondent und jede Auslandskorrespondentin kann Ihnen sagen, dass die Situation schon immer eine Herausforderung war. Die Korrespondenten werden natürlich genau beobachtet und müssen regelmäßig, oft vierteljährlich, Termine mit der Staatssicherheit über sich ergehen lassen. Die Erteilung von Visa kann verzögert werden, wenn die Regierung mit einer Berichterstattung unzufrieden ist. Und lokale Behörden behindern oft die Arbeit der Korrespondenten, wenn sie versuchen, über Themen von dort zu berichten. Die Frustration ist groß.

CB: Was hat sich im Vergleich zu von vor fünf Jahren verändert?

 Bandurski: Wir können die Tatsache nicht ignorieren, dass sich Chinas Beziehungen zu vielen anderen Ländern in den letzten Jahren verschlechtert haben, etwa den USA. Nationalistische Narrative rund um die Idee, dass China angegriffen wird und das Land verteidigt werden muss, gedeihen online, während besonnenere und nachdenklichere Stimmen verstummen oder kritisiert werden. Das sind gefährliche Kräfte. Im Juni wurde sogar die Global Times, eine chinesische Zeitung, die für ihre oft bitteren, nationalistischen Tiraden gegen den Westen bekannt ist, heftig angegriffen, weil sie behauptet hatte, dass die Online-Rhetorik in China immer extremer werde. Die Partei spielt ein gefährliches Spiel, wenn sie sich diese Emotionen zunutze macht.

Chinas Online-Informations-Ökosystem ist wie eine Waage mit nur einer Seite geworden. Das nährt emotionale Extreme, die sich auf vereinfachende Vorstellungen stützen, wie die Idee, dass China von ausländischen Reportern verteufelt wird.

CB: Werden wir in Zukunft überhaupt noch unabhängige Berichte aus China lesen können?

Bandurski: Es besteht kein Zweifel daran, dass wir im Moment auf einen Tiefpunkt zusteuern, was den Austausch und die Interaktion mit China in allen Bereichen angeht. Auslandsjournalismus über China ist sehr schwierig geworden. Viele der sachkundigsten Korrespondenten haben unter Druck aufgegeben, in einigen Fällen als Reaktion auf die Spannungen zwischen den USA und China. Die Gefahr der Einschüchterung ist real und kann abschreckend wirken - insbesondere auf jüngere und weniger erfahrene Journalisten, die den Umgang mit dem schwierigen Umfeld in China nicht gewohnt sind.

Es ist wichtig, wo immer möglich, Wege zu finden, sich mit den komplexen Gegebenheiten in China auseinanderzusetzen, ohne die vereinfachenden und positiven Darstellungen zu übernehmen, die die Führung gerne vermitteln möchte. Und wir müssen verstehen, dass es bei der China-Story nicht mehr nur um die Berichterstattung aus China geht. Es könnte und sollte noch viel mehr getan werden, um über Chinas Bemühungen zu berichten, die Welt zu seinen Bedingungen zu beeinflussen - sei es in Europa, Nordamerika, Afrika oder Südostasien und so weiter.

Aber die Berichterstattung vor Ort in China ist nur sehr schwer zu ersetzen, wenn wir keine gute Arbeit von Auslandskorrespondenten und eine aktivere Berichterstattung von chinesischen Medien haben. Ich hoffe, dass wir beides weiterhin sehen werden, und in dieser Hinsicht ist das Bild nicht ganz so düster. Chinas Medien- und Informationsumfeld ist trotz der strengen Kontrolle durch die Führung ein lebendigerer und komplexerer Raum, als wir es wahrnehmen.

 

Vanessa Steinmetz ist Projektassistentin im FNF-Regionalbüro SOOA in Bangkok. 

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