Digitale Wirtschaft:
So soll Chinas Internet der Zukunft aussehen
In China muss alles im Dienste der Kommunistischen Partei stehen. Das gilt auch für so globale Projekte wie das Internet. Im neuen Fünfjahresplan für die Digitalwirtschaft erklärt China Daten zu kritischen Produktionsfaktoren und unterstellt sie zentralisierter Beplanung. Peking will sich damit zum Pionier im Bereich der Datenregulierung machen – mit weitreichenden globalen Konsequenzen.
Der Technologiewettbewerb zwischen den USA und China heizt sich auf, gleichzeitig geht Chinas Führung zunehmend gegen Tech-Giganten im eigenen digitalen Bereiche hart vor. In Zeiten wie diesen gibt es daher auch außerhalb Chinas ein wachsendes Interesse daran, die schier endlose Anzahl von Ankündigungen neuer Gesetze und Regelungen zu Internetsicherheit, Datensicherheit und Privatsphäre genau in den Blick zu nehmen. Um zu verstehen, worauf Chinas Digitalwirtschaft zusteuert, sind die Dokumente zur staatlichen Strategie unerlässlich.
Seit 1953 gibt die Regierung der Volksrepublik China Fünfjahrespläne aus. Der neueste, der Vierzehnte Plan für 2021-2025, wurde am 11. März 2021 verabschiedet und schwört den Staat generell auf eine „neue Entwicklungsphase“ ein, die durch Maßnahmen zur Stärkung des „internen Kreislaufs“ gekennzeichnet ist, etwa durch die Festigung der heimischen Wirtschaft. Jedoch dürfen diese Pläne nicht mit einer generell nach innen gerichteten Strategie für die Ziele der zukünftigen Entwicklung verwechselt werden. Insbesondere Chinas technologische Ambitionen bleiben sehr anspruchsvoll und erheben einen globalen Anspruch. Dies gilt insbesondere für den Plan für die Weiterentwicklung des Internets und der digitalen Wirtschaft.
Chinas Streben nach globalem Internet- und Digitalwirtschafts-Einfluss, möglicherweise sogar nach Herrschaft, zeigt der neueste Fünfjahresplan zur Entwicklung der Digitalwirtschaft. Er wurde am 12. Dezember 2021 vom Staatsrat ausgegeben. Solche Planungsdokumente werden üblicherweise nach der Ausgabe jedes großen Fünfjahresplans vom Staatsrat oder anderen Behörden veröffentlicht. Sie zielen darauf ab, die branchenspezifische Anleitung für bestimmte Politikbereiche näher auszuführen. Das typische Markenzeichen solch staatlicher Planungsdokumente ist, dass sie einen bestimmten „Leitgedanken“ aufzeigen. In diesem Fall geht es um das „neue Zeitalter von Xi Jinpings Gedanken zum Sozialismus mit chinesischen Eigenschaften“ und der „präzisen Realisierung des Geistes des (jüngsten) Kommunistischen Parteitags Chinas“.
Dominanz in der Digitalwirtschaft durch Xi Jinpings Theorien
Wie also steht es um die staatliche Planung zur Digitalwirtschaft? Den Anfang macht die Informationsinfrastruktur, die die „KBCD“ Technologien stützt: Künstliche Intelligenz (K), Blockchain (B), Cloudcomputing (C) und Daten (D). Es wird verwiesen auf die entscheidenden Errungenschaften des vorausgegangenen Fünfjahresplans, wie etwa dem „weltgrößten Glasfaseroptik-Netzwerk und 4G-Kommunikationsnetzwerk“, dem Ausbau des E-Commerce-Sektors und der e-Government, sowie dem Vorsprung in der Finanztechnologie und dem Onlinelernen. Demnach soll die Digitalwirtschaft ganze 7,8 Prozent zum BIP Chinas beigetragen haben.
Während sowohl der steigende globale Wettbewerb als auch die Isolierung vom Westen wesentlichen Einfluss auf die chinesische Digital-Strategie gehabt haben müssen, bezieht das Dokument - wie vorherzusehen war – zu diesen offensichtlichsten Einflussfaktoren keine Stellung. Es räumt nur ein, dass Chinas Digitalwirtschaft unter dem Einfluss mehrerer externer Faktoren vor „riesigen Veränderungen“ stehe.
Angesichts dieser „neuen Umgebung” haben Chinas Planer vier Beobachtungen ausgemacht, die ihre strategischen Ziele und Maßnahmen beeinflussen. Erstens: die Entwicklung der Digitalwirtschaft wird die „Taktik der Wahl, um die Welle der nächsten technischen Revolution und deren Möglichkeit für eine Transformation der Industrie nicht zu verpassen“. Zweitens wird der „Datenfaktor“ der „Hauptmotor, der die Entwicklung der Digitalwirtschaft vorantreibt“. Drittens: „Digitalisierte Angebote werden ein wichtiger Aspekt, um das Leben der Bürger zu verbessern“. Und zuletzt sind „Regulierungen für eine gesunde und nachhaltige Digitalwirtschaft dringend geboten“, damit sich die digitale Wirtschaft in einer "qualitativ hochwertigen Weise" entwickeln kann.
Die Vorgaben - von generellen Zielen bis zu konkreten Maßnahmen
Entsprechend führt das Planungsdokument fünf allgemeine Entwicklungsziele auf:
1. Für den Daten-Faktormarkt wird eine vorläufige Struktur festgelegt.
Dies zeigt, dass die chinesische Zentralregierung Daten als entscheidenden Produktionsfaktor für wirtschaftliche Aktivitäten anerkennt, neben traditionellen Faktoren wie Kapital, Rohstoffen, Arbeitskräften und Land. Das bedeutet, dass Daten künftig unter die gleiche zentralisierte Planung, Kontrolle und Regulierung fallen, wie andere Produktionsfaktoren. China zielt eindeutig darauf ab, schnell zum Vorreiter bei der Erprobung des regulatorischen und ordnungspolitischen Rahmens für den Datenhandel und -Austausch zu werden. Dazu nutzt die chinesische Regierung die Größe des eigenen Marktes und die vielen Daten, die in kritischen Bereichen wie Finanzdienstleistungen, Transport, Logistik und anderen generiert werden. China strebt nach einem "First-Mover"-Vorteil und will vor seinen Konkurrenten wie den USA und Europa Standards setzen. Die globale Einhaltung der Vorschriften und die Regeln, die in anderen Teilen der Welt aufgestellt werden, sollen beeinflusst werden.
2. Die digitale Transformation in der Produktions- und Dienstleistungsbranche sowie in der Landwirtschaft wird in eine "neue Phase" treten.
Dies ist eine immer wiederkehrende Botschaft, die auch in anderen Planungsdokumenten hervorgehoben wurde, wie etwa im Vierzehnten Fünfjahresplan zur Entwicklung der Software- und Informationstechnologie-Industrie, den das Ministerium für Industrie und Informationstechnologie (MIIT) im November 2021 herausgegeben hatte. Darin werden wiederholt Fortschritte bei der industriellen Automatisierung und softwaredefinierten Infrastruktur gefordert. Dies steht nicht nur im Einklang mit den Zielen der nationalen Politik "Made in China 2025", sondern spricht auch eindeutig eine kritische Schwäche an, die von vielen in Chinas arbeitsintensiven Industrien gesehen wird: Sie waren weder in der Lage, Hochtechnologie in der Produktion zu nutzen, noch ein ausreichend wettbewerbsfähiger Akteur bei Hightech-Produkten wie Halbleitern zu werden.
3. Der Grad der Industrialisierung des digitalen Sektors wird erheblich gesteigert.
Seit Jahren setzt sich China für den Ausbau seiner inländischen Innovationskapazitäten ein, auch für digitale Dienstleistungen und Produkte. Dank des riesigen Binnenmarktes haben viele führende Technologieunternehmen beachtliche Größe und Gewinne erreicht, aber das Gesamtniveau echter Innovation ist umstritten. Angesichts des anhaltend harten Durchgreifens in China wird der digitale Sektor des Landes, insbesondere die Plattformanbieter, weiterhin mit einem äußerst schwierigen Umfeld konfrontiert sein, sowohl im Inland als auch im Ausland. Es wird allgemein angenommen, dass China versuchen wird, seine staatlichen Anstrengungen zu mobilisieren, um die Innovation auf "Deep-Tech"-Bereiche wie Halbleiter, fortschrittliche künstliche Intelligenz, Hochleistungs-Cloud-Computing und Quantencomputer umzulenken.
4. Digitale öffentliche Dienste werden für alle zugänglicher und gerechter.
Trotz der hohen Mobilfunk- und Breitbandverbreitung in China und der breiten Akzeptanz einiger Anwendungen, insbesondere in Bereichen wie dem elektronischen Zahlungsverkehr, bleibt die digitale Kluft ein Problem für ein großes Land mit einer großen und wachsenden Einkommenskluft zwischen den Menschen. Die Forderung nach einer kontinuierlichen Überwindung der digitalen Kluft entspricht Xi Jinpings Losung des "Gemeinsamen Wohlstands".
5. Das Governance-System für die Digitalwirtschaft wird optimiert.
Hier zeigen sich deutlich die chinesischen Merkmale des Regierens, mit einem System, das weiterhin ausschließlich von der Regierung auf allen Ebenen geführt wird sowie einem Modell der "diversifizierten Beteiligung, geschützt durch die Rechtsstaatlichkeit". Die Regulierungssysteme für die digitale Sphäre sollen "perfektioniert" werden, wobei der Schwerpunkt auf der Verbesserung der "Sicherheit" der Digitalwirtschaft liegt. Diese Beschreibung spiegelt die Darstellung von Chinas politischen Systems und seiner nationalen Sicherheit Chinas wider, die besagt, dass das digitale Regierungssystem fest unter der Kontrolle der chinesischen Zentralregierung und der Partei gehalten wird.
Von den Zielen zur Umsetzung
Die Pläne zur Modernisierung der chinesischen Informationsnetzinfrastruktur sind sehr umfangreich und weitreichend. Sie umfassen inländische Glasfasernetze und internationale Untersee-Glasfaserkabel zur Unterstützung von Rechenzentrums-Clustern im ganzen Land sowie Satellitenkommunikation zur Verbesserung der globalen Positionierungsfähigkeiten des Landes, was die räumliche Informationsinfrastruktur verbessern soll.
Eine Reihe von Projekten, die in jüngster Zeit Aufmerksamkeit erregt haben, können als Chinas Bemühen gesehen werden, seine Pläne für die Digitalwirtschaft und die Informationsnetzinfrastruktur zu verwirklichen. So wird China beispielsweise in der südlichen Stadt Nansha in der Provinz Guangdong seinen ersten "Freihandelshafen für Daten" mit einem Investitionsvolumen von 5 Milliarden US-Dollar errichten. Nansha wird als Knotenpunkt für den grenzüberschreitenden Datentransfer und Unterseekabel fungieren, möglicherweise in Zusammenarbeit mit Chinas „Belt and Road“-Partnerländern. Das Konzept ist von Chinas Freihandelszonen der vergangenen Jahrzehnte abgeleitet, die günstige steuerliche und andere rechtliche Bedingungen für den grenzüberschreitenden Warenverkehr bieten. China hatte mit begrenztem Erfolg versucht, dieses Konzept auf den Dienstleistungssektor zu übertragen. Erst jetzt wird die Anwendung auf den Datenaustausch ausgeweitet. Dieser wird für in- und ausländische Unternehmen von entscheidender Bedeutung sein, um die strenge Kontrolle der Datenströme zu bewältigen, insbesondere nach der Verabschiedung des Gesetzes über Datensicherheit.
Der freie Datenhafen Nansha kann zum Teil auch als Reaktion auf die Haltung der US-Behörden betrachtet werden, die Unterseekabelprojekte mit amerikanischer Beteiligung nach Hongkong ablehnen, weil China seit 2020 die Sonderverwaltungsregion zunehmend kontrolliert und dem Pacific Light Cable Network (PLCN) die Anlandung in Hongkong untersagt. Das Unterseekabelprojekt, in das die amerikanischen Internetgiganten Google und Facebook investiert haben, wäre die erste Direktverbindung zwischen Los Angeles und Hongkong gewesen, musste aber schließlich umgeleitet werden und in Taiwan enden, um die Zustimmung der USA zu erhalten.
Da es in absehbarer Zukunft weder in China noch in Hongkong zu einem Ausbau der kommerziellen Seekabelkapazitäten kommen wird und jede Beteiligung von Unternehmen aus den USA oder anderen Ländern wahrscheinlich von der US-Politik beeinflusst wird, müssen die chinesischen Behörden eingreifen, um einer "Bandbreitenblockade" entgegenzuwirken. Künftiger Kapazitätsbedarf soll in Zusammenarbeit mit Partnern der „Belt and Road“-Initiative gedeckt werden. Der Erfolg dieser Strategie bleibt abzuwarten und wird weitgehend von den geopolitischen Faktoren zwischen den USA und China abhängen.
Erwähnenswert ist auch, dass China beschlossen hat, das Unterseekabel-Zentrum in Nansha auf dem Festland zu errichten und Hongkong zu umgehen, das bis zu den jüngsten US-Sanktionen ein wichtiges internationales Datenzentrum und Unterseekabel-Zentrum in Asien war und nur 80 Kilometer entfernt ist.
In dem Dokument über die Zusammenarbeit im Rahmen der „Belt and Road“-Initiative wurde der Aufbau eines vertrauenswürdigen Blockchain-basierten Servicenetzes erwähnt. Tatsächlich wurde Chinas Blockchain-basiertes Servicenetzwerk (BSN) als staatlich geförderte öffentlich-private Partnerschaft angepriesen, um eine "gemeinsame Infrastruktur für die Einführung und den Betrieb von Blockchain-Anwendungen weltweit" zu schaffen. Eine "globale Infrastruktur" soll aufgebaut werden, die jedoch so funktioniert, dass der Betreiber des BSN in der Lage sein wird, Blockchains zu zensieren oder vollständig zu löschen, die gegen chinesische Vorschriften verstoßen. Das ist ein weiteres Beispiel für die Ausdehnung des chinesischen Einflusses und seines Governance-Regimes über seine Grenzen hinaus.
Was weggelassen wird ist genauso wichtig wie das, was geschrieben wird
Obwohl die staatlichen Planungsdokumente Chinas in ihrem Ton und ihrer Prosa oft bürokratisch, banal und repetitiv erscheinen, dienen sie doch als definierte Zielvorgaben, an denen die Beamten in China gemessen werden und die sie daher im Allgemeinen befolgen. Sie bieten somit einen recht guten Indikator dafür, in welche Richtung sich Politik, Bemühungen und Investitionen bewegen sollten. Beobachter mögen manchmal versucht sein, zu glauben, eine solche zentrale Planung sei sorgfältig durchdacht - was sie in der Tat oft auch ist. Es ist dennoch wichtig, den verborgenen Zweck und unausgesprochene Folgen zu berücksichtigen. Was nicht gesagt wird, kann oft genauso wichtig, wenn nicht sogar wichtiger sein als das, was gesagt wird. Obwohl Chinas staatliche Planer unermüdlich für Innovation und Talententwicklung eintreten, bieten sie kaum eine Begründung dafür, warum eine zentral geplante und kontrollierte Richtlinie ihnen helfen kann, dieses Ziel zu erreichen. Während eine höhere Bandbreite und eine bessere Netzinfrastruktur sowohl für die Bürger in den Großstädten als auch in den ländlichen Gebieten von Vorteil sein sollten, sind solche Maßnahmen auch das Rückgrat für eine zügellose Staatsgewalt. Diese baut die Überwachung ihrer Bürger weiter aus und kontrolliert ihr Leben in praktisch allen Bereichen, ohne die Garantien einer echten Rechtsstaatlichkeit, demokratischer Institutionen und der Achtung der Menschenrechte. Und das sind genau die wichtigen Rechte der Menschen, die in Chinas Plan natürlich fehlen. Doch gerade das, was in Chinas Plan fehlt, könnte die entscheidende Stärke der freien Welt sein.
Die politischen Entscheidungsträger Chinas sind in der Regel recht zuversichtlich, was auf den Erfolg des chinesischen Internetsektors in den vergangenen Jahrzehnten zurückzuführen ist. Es mutet daher ein wenig ironisch an, dass genau diese Sektoren derzeit von zahlreichen staatlichen Maßnahmen betroffen sind, um die Macht der "Big Tech" zu zügeln, sodass ein künftiger Erfolg in einem noch strenger kontrollierten Umfeld kaum sicher ist.
Während Talente und Kapital wichtige Bestandteile des Ökosystems der Innovations- und Technologieentwicklung sein müssen, könnten Chinas "interner Kreislauf" und seine zunehmende Isolation darauf hindeuten, dass es für das Land immer schwieriger wird, auf wichtige Ressourcen außerhalb Chinas zurückzugreifen, insbesondere auf solche aus der entwickelten, freien und demokratischen Welt. Der Wettstreit zwischen zwei sehr unterschiedlichen Auffassungen darüber, was nötig ist, um in der Innovations- und Technologieentwicklung erfolgreich zu sein, ist noch nicht entschieden.
Der ultimative Zweck und die Agenda praktisch jeder Politik oder Strategie in China muss in erster Linie im Dienste der herrschenden Regierung und der Partei stehen. Das gilt auch für die technologischen, wirtschaftlichen und sozialen Ziele jeder staatlichen Planung.
Während die USA und andere Regierungen der freien Welt sowie die Industrie und die Zivilgesellschaft darüber nachdenken, wie das künftige Internet entwickelt und reguliert werden sollte, ist es für alle Beteiligten wichtig, mit Weitblick zu handeln und über unsere derzeitigen Probleme mit dem Internet oder sogar die Probleme mit den großen Tech-Giganten hinauszublicken. Die politischen Entscheidungsträger und alle Interessengruppen müssen sich auf das globale Gesamtbild konzentrieren und dabei Chinas erklärte Pläne und Strategien als wichtige Wettbewerbsreferenz berücksichtigen. Nur so können ein Rahmen und ein Aktionsplan für ein wirklich demokratisches, freies, offenes und nachhaltiges Internet der Zukunft entwickelt werden.
*Charles Mok ist Gastwissenschaftler beim Global Digital Policy Incubator of the Cyber Poliy Center an der Universität Stanford. Von 2012 bis 2020 hat er als Mitglied des Parlaments die Informationstechnologie im Legislativrat Hongkongs vertreten.