Thailand
Geld für alle
Thailand hat keine Schuldenbremse. Also hat die Regierung Carte Blanche: Alle Bürgerinnen und Bürger bekommen jeweils 250 Euro geschenkt. Das war ein Wahlversprechen. Die Einlösung kostet knapp 13 Milliarden Euro, die der Staat nicht hat. Konsum soll und wird steigen. Nur: der positive Effekt dürfte kurzzeitig sein, die höheren Staatsschulden bleiben viele Jahre lang.
Versprechen sind Teil jedes Wahlkampfes: Erhöhungen von Mindestlohn und Renten, Mietbremse und –deckel, bessere Bildung und Gesundheit, höheres Kindergeld und vieles andere mehr. In Thailand setzte eine Partei bei der Parlamentswahl im vergangenen Jahr noch einen drauf und versprach Unerhörtes: Geld für alle. Genauer gesagt 10.000 Baht, umgerechnet 250 Euro, für alle. Die Pheu Thai Partei, die mit der Mutter aller Wahlversprechen viele Stimmen bekam, regiert nun. Ihr Spitzenkandidat Srettha Thavisin ist seit einem knappen Jahr Premierminister und übernahm zunächst auch das Finanzministerium. Ungefähr so lange zerbricht er sich den Kopf darüber, wie er das Wahlversprechen umsetzen könnte.
Nun soll es bald soweit sein, allerdings etwas abgespeckt auf „fast alle“: relativ Wohlhabende und Kinder unter 16 bekommen nichts. Aber die meisten Thais, 50 Millionen, erhalten wohl demnächst ein „Digital Wallet“, also ein digitales Portemonnaie mit einem Guthaben von 10.000 Baht. In einer App können Thais sich vom 1. August bis zum 15. September registrieren. Wer kein Smartphone besitzt, muss zur Anmeldung persönlich zum Amt und wird für jeden Einkauf einen Ausweis benötigen. Das digitale Geld soll im vierten Quartal verfügbar sein. Der gutgeschriebene Betrag entspricht zwei Dritteln eines durchschnittlichen, thailändischen Monatsgehalts.
Wenn alle Berechtigten das Geschenk der Pheu Thai Partei annehmen, wird das den Staat 12,7 Milliarden Euro kosten. Das sind 2.7 Prozent von Thailands Bruttoinlandsprodukt. Zum Vergleich: Wäre Deutschland, wo das Durchschnittsgehalt gut 4.300,- Euro beträgt, ähnlich spendabel und zahlte 50 Millionen Bürgerinnen und Bürgern zwei Drittel eines Monatsgehalts, 2.870,- Euro, dann bräuchte Christian Lindner 143,5 Milliarden Euro. Thailand schreckt vor solchen Dimensionen nicht zurück. Die Kosten des „Digital Wallet“- Geschenks entsprechen in etwa den jährlichen Ausgaben für Verteidigung und Gesundheit.
Wirtschaftlicher Tsunami
Laut Regierung geht es bei dem Geldsegen um das Ankurbeln der lokalen Wirtschaft. In der Tat ist das Projekt so angelegt. Bürgerinnen und Bürger dürfen ihr digitales Geld nur an ihrem Wohnsitz im Umkreis von vier Kilometern und nur in „kleinen Läden“ ausgeben. Auch die Waren sind beschränkt. Zum Beispiel sind Alkohol, Tabak und Sprit ausgenommen. Und es dürfen auch keine Rechnungen für Strom, Gas, Wasser oder Studiengebühren beglichen werden. Lebensmittel und Gegenstände des täglichen Gebrauchs sollen gekauft werden. Die Läden können mit ihren eingenommenen digitalen Baht ihre Bestände aufstocken. Wurde ein digitaler Baht für zwei Transaktionen verwendet, kann er in Bargeld umgetauscht werden. Der Begriff „Kleine Läden“, der sich auf die Fläche eines Ladens bezieht, hat leider oft nichts mit „klein“ zu tun. Dazu gehören nämlich auch die Geschäfte von Ketten wie „7-Eleven“ und „Family Mart“, die Teil superreicher Konglomerate sind. Diese werden potentiell als große Gewinner der Initiative betrachtet, was nicht wirklich der Regierungs-Rhetorik der Unterstützung kleiner, lokaler Unternehmen entspricht.
Premierminister Srettha sagt durch das Ankurbeln der lokalen Wirtschaft einen wirtschaftlichen Tsunami voraus. Die Starthilfe werde dazu beitragen, die Wirtschaft des Landes zu einem Ferrari machen. „Ich ermutige alle, die für das Programm qualifiziert sind, stolz darauf zu sein, das Geld auszugeben“, sagte Premier Srettha der Financial Times, „jeder von Ihnen trägt bei zu Wirtschaftswachstum und Stabilität unseres Landes.“
Kein Geld für Wohlhabende
Sethaput Suthiwartnarueput, der Gouverneur der thailändischen Zentralbank, ist kein Fan von Geldgeschenken auf Pump. „Wir halten es nicht für notwendig, den Konsum anzukurbeln“, zitiert ihn Bloomberg. Setthaput ist ein angesehener Ökonom, der Partner der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit war, bevor er Zentralbank-Chef wurde. Er hatte sich offen gegen das Mega-Projekt ausgesprochen und schlug vor, nur Menschen Geld zu geben, die es dringend brauchen.
Thailand hat durch marktwirtschaftliche Reformen und Handel seit den späten 1980er Jahren die Armut sensationell reduziert: von 73% im Jahr 1990 auf aktuell etwa 6%. Doch das bedeutet, dass immer noch knapp fünf Millionen Thais arm sind. Weil weitere zehn Millionen nur mit Ach und Krach über die Runden kommen, zahlt der Staat insgesamt 15 Millionen Thais Sozialhilfe. Wer monatlich weniger als 210 Euro verdient, hat Anspruch. Ausschließlich ihnen sollte das 250 Euro-Geschenk gemacht werden, schlug Zentralbank-Chef Sethaput vor. Dann sei die Finanzierung des Projektes auch fiskalpolitisch „gesünder“, sprich machbarer.
So vernünftig sich das auch anhörte: Die Pheu Thai Partei hatte im Wahlkampf nicht „Geld für die Ärmsten“, sondern „Geld für alle“ versprochen. Immerhin führte der Einwand der Zentralbank dazu, dass relativ Wohlhabende nun doch kein Geld geschenkt bekommen. Wer bereits ordentlich Geld auf dem Konto hat oder gut verdient, geht leer aus. Das betrifft rund 6 Millionen Bürgerinnen und Bürger. Zudem geht das Finanzministerium davon aus, dass sich nur 90 Prozent der Berechtigten registrieren werden.
Nutzen verpufft – Schulden bleiben
Wenn Bürgerinnen und Bürger ihr digitales Geld ausgeben, wird Thailands Bruttoinlandprodukt dadurch um etwa 1.5 Prozent steigen, schätzt der Internationale Währungsfonds. Allerdings verpufft der Nutzen nach einem Jahr. Die Schulden bleiben. Denn das Geldgeschenk wird, verteilt über die Haushaltsjahre 2024 und 2025, durch neuen Staatsschulden finanziert. Zinsen und Tilgung werden Thailands Finanzen viele Jahre lang belasten.
Thailands Wirtschaft - nach Indonesien die zweitgrößte Südostasiens - ankurbeln zu wollen, ist nachvollziehbar. Sie wuchs im Jahr 2023 nur um 1.9 Prozent und hat immer noch nicht ihr Niveau von vor der Corona-Pandemie erreicht. Zwar erholt sich der zwei Jahre lang von Reisebeschränkungen dezimierte Tourismussektor langsam wieder. Aber Produktion und Nachfrage von Kraftfahrzeugen, ein weiterer, zentraler Sektor der thailändischen Wirtschaft, gingen jüngst stark zurück. Während Thailand dümpelt, wuchsen die Wirtschaften Indonesiens und Vietnams im vergangenen Jahr um 5 Prozent.
Offensichtliche Betrugsrisiken
Um Thailands Wirtschaft stärker und wettbewerbsfähiger zu machen, braucht es mehr als ein Geld-Geschenk. Statt Korruption und Putsche wären funktionierende Institutionen, Rechtsstaatlichkeit, fairer Wettbewerb, Innovation und bessere Bildung wünschenswert. Um all die Wachstumshemmnisse anzugehen, müsste Thailand mehr und nachhaltiger in seine Zukunft investieren. Leider hat der Staat fürchterlich geringe Einnahmen, was zu relativ geringen Ausgaben führt. Insbesondere die Steuereinnahmen liegen unter dem Durchschnitt vergleichbarer Volkswirtschaften. Im Jahr 2019 zahlten in Thailand nur zehn Prozent der Erwerbstätigen Einkommenssteuer.
Das Projekt „Geld für alle“ hat nicht nur Fragen nach Nutzen und Lasten aufgeworfen. Thailands Antikorruptionsbehörde hat ganz andere Bedenken. Es gebe offensichtliche Betrugsrisiken, wenn 13 Milliarden Euro durch eine neue Handy-App an 50 Millionen Thais verteilt werden. Das Kabinett nahm die Warnung zur Kenntnis. Ob und wenn ja, wie die Regierung Missbrauch ausschließen will, bleibt unklar.
Zentralbank-Unabhängigkeit ein Hindernis
Zudem zeigte die Diskussion um das Geld-Geschenk, dass Thailands Regierung wenig von einer unabhängigen Zentralbank hält. Ihr Chef Sethaput bekam nach seiner Kritik Gegenwind, der sich auch auf andere Bereiche ausdehnte. Seit mittlerweile neun Monaten fordert Premier Srettha den Zentralbank-Chef regelmäßig öffentlich dazu auf, zwecks Wirtschaftsankurbelung den Leitzins zu senken. Dabei ist dieser mit 2,5% im regionalen Vergleich bereits niedrig. Zentralbank-Chef Sethaput, der vom Premierminister zu monatlichen Gesprächen einberufen wird, bleibt standhaft und senkt den Leitzins nicht. Die Unabhängigkeit der Zentralbank sei „ein Hindernis bei der Lösung wirtschaftlicher Probleme“, findet Paetongtarn Shinawatra, die Vorsitzende der Pheu Thai Party, der „Geld für alle - Partei“. Ihre Partei sowie ihr Regierungschef Srettha werden ein knappes Jahr nach Regierungsübernahme übrigens immer unbeliebter. Nur noch 17 Prozent der Thais mögen die Partei, nur noch 13 Prozent den Premier. Die Abwärtstrends haben viele Gründe. Es ist fraglich, ob 250 Euro die Wende bringen.
Felix Jantz ist regionaler Programm-Manager im Südost- und Ostasien Büro der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit in Bangkok / Thailand.