Tourismus
Wie Thailand das Virus besiegte - und seine Wirtschaft dennoch leidet
Taiwan und Südkorea machen Schlagzeilen. Aber der Hidden Champion im Kampf gegen das Coronavirus ist Thailand. Schon seit mehr als zwei Monaten wurden in dem südostasiatischen Land keine lokale Infektion mehr registriert. Die Weltgesundheitsorganisation WHO schickte sogar ein Filmteam, das Thailands Erfolge für die Weltöffentlichkeit dokumentieren sollte. Eine Ehre, die sonst nur dem reichen Neuseeland zuteilwurde. Doch zum Feiern ist kaum einem Thailänder zumute. Trotz der Erfolge im Kampf gegen die Pandemie steht die Wirtschaft des Landes vor der größten Herausforderung seit Jahrzehnten. Das Virus wird das Land ökonomisch deutlich härter Treffen als der Tsunami 2004 oder die Asienkrise Ende der 90er-Jahre.
Die Pandemie hat den wichtigsten Wirtschaftszweig des Landes, die Tourismusindustrie, in einen Schockzustand versetzt. Schätzungen gehen davon aus, dass die Branche direkt und indirekt mehr als ein Fünftel zur Wirtschaftsleistung des Landes beiträgt. Diese Abhängigkeit rächt sich jetzt. Die thailändische Handelskammer rechnet damit, dass die Wirtschaft dieses Jahr um bis zu 11,4 Prozent schrumpfen könnte. Das Königreich zählt damit zu den Staaten, die durch die Pandemie wirtschaftlich am stärksten getroffen werden.
Die düstere Konjunkturprognose steht dabei im krassen Widerspruch zu den im internationalen Vergleich erstaunlichen Corona-Zahlen: Nur 58 Menschen sind in Thailand an der Krankheit gestorben, insgesamt steckten sich in Thailand weniger als 2500 Menschen an. Im nur etwas bevölkerungsreicheren Deutschland liegt die Zahl der Opfer bei fast 10.000 und die Zahl der Infektionen bei fast 200.000. Dabei war für Thailand das Risiko eines großen Ausbruchs wegen seiner zahlreichen Besucher aus China extrem hoch. In dem Urlaubsland wurde sogar die erste Coronavirus-Infektion außerhalb der Volksrepublik festgestellt: Ein Tourist aus Wuhan hatte das Virus bereits im Januar nach Thailand gebracht.
Abstand halten gehört in Thailand zur Kultur
Doch die Behörden reagierten entschlossen. Sie testeten viel, isolierten die Infizierten rasch und spürten Kontaktpersonen konsequent auf. Ganz geklärt sind die Gründe für Thailands Erfolgsgeschichte aber nicht: Mediziner halten auch eine vorteilhafte genetische Disposition der Thais für möglich.
Vielleicht spielt auch die Alltagskultur eine Rolle. In der Mekong-Region halten die Menschen respektvoll Abstand voneinander. Statt sich zur Begrüßung die Hand zu geben, legt man die eigenen Handflächen zur Begrüßung aufeinander und senkt leicht den Kopf – das traditionelle Wai. Auch die Disziplin, mit der die Thailänder seit Beginn der Krise Masken tragen, dürfte sich positiv ausgewirkt haben.
Eine Maßnahme hat mit großer Sicherheit zum medizinischen Erfolg beigetragen: die rigorose Abschottungspolitik. Seit Monaten sind die Grenzen praktisch dicht. Nur ausgewählte Gruppen haben die Chance auf eine Einreise. Selbst im Ausland gestrandete Thailänder warten lange bis sie in ihr Heimatland zurückkehren können. Wer es letztendlich schafft, muss anschließend zwei Wochen in strenge Quarantäne – entweder in einem Zentrum der Regierung oder in einem dafür autorisierten Hotel.
Die Abschottung wirkt. Während in den Quarantänezentren täglich Infektionen festgestellt werden, ist das Land ansonsten virusfrei – abgesehen von den allgegenwärtigen Masken, Desinfektionsmittelspendern und der Aufforderung zum Social Distancing. Nach strengen Maßnahmen zwischen März und Mai herrscht wieder weitgehender Alltag.
Allerdings ist es deutlich ruhiger – die Nebenwirkung der strengen Abschottungstherapie. In Bangkok, eigentlich eine der am meisten besuchten Städte der Welt, sind Restaurants und Geschäfte deutlich leerer. Touristen-Hotspots wie Krabi und Phuket sind völlig ausgestorben. Viele Läden und Hotels werden wohl nie mehr aufmachen.
Die Armut wächst
Schon vor dem Ausbruch der Krankheit hatte Thailands Konjunktur an Kraft verloren. 2019 wuchs die Wirtschaft weniger als drei Prozent. Zu wenig für ein Schwellenland, das zu den Industriestaaten aufschließen will. Die Weltbank beklagte dieses Jahr, dass die Armut im Land wieder zugenommen hat. 6,7 Millionen Thailänder leben von nicht einmal 3,10 US-Dollar am Tag. 2015 waren es noch weniger als fünf Millionen.
Dem Land ist es nicht gelungen, in der Wertschöpfungskette weiter nach oben zu klettern und produktiver zu werden. Stattdessen bemühten sich Wettbewerber wie Vietnam erfolgreicher um Direktinvestitionen. Eine bereits langanhaltende Dürre belastet außerdem die Landwirtschaft. Nur aufgrund der steigenden Gästezahlen, vor allem aus China, wuchs die Wirtschaft überhaupt noch. Umso größer ist der Druck, das Land wieder zu öffnen.
Doch kaum einer wagt die Prognose, wann wieder zahlungskräftige Gäste ins Land kommen dürfen. Noch unterstützt die Bevölkerung den rigorosen Kurs der Regierung: Bei einer Umfrage im Juli waren 95 Prozent der Thailänder dafür, keine Ausländer ins Land zu lassen. Zu groß ist die Angst vor dem Virus – aber auch vor einem weiteren Lockdown, der die Wirtschaft noch stärker belasten würde. Und selbst wenn Thailand die Grenzen öffnen würde, ist fraglich, ob Ausländer überhaupt Lust auf Fernreisen haben.
Um die schlimmsten Auswirkungen abzumildern, versucht Thailands Regierung zumindest den inländischen Tourismus anzukurbeln: Sie subventioniert beispielsweise Hotelübernachtungen mit umgerechnet bis zu 80 Euro. Zusätzliche Feiertage sollen die Thailänder ebenfalls zum Geld ausgeben animieren. Eine nachhaltige Strategie ist das noch nicht: Es wäre wohl das erste Mal in der Wirtschaftsgeschichte, dass sich ein Land mit mehr Urlaub aus einer Krise retten kann.
Frederic Spohr ist Büroleiter der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit in Thailand und Myanmar mit Sitz in Bangkok.
Dieser Beitrag wurde am 8. August auf capital.de erstveröffentlicht.