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Parlamentswahl in Tschechien
Tschechien nach der Parlamentswahl: Es war spannend und es wird spannend

Andrej Babis
Andrej Babis nach erster Hochrechnung der Wahlergebnisse. © picture alliance / ASSOCIATED PRESS | Petr David Josek

Spannend bis zur letzten Minute: So war die Parlamentswahl, die am Freitag und Samstag in Tschechien stattfand. In den nach und nach veröffentlichten Zwischenergebnissen lag die Regierungspartei ANO des derzeitigen Ministerpräsidenten Andrej Babiš noch mehrere Stunden nach Wahlschluss in Führung. Nach Auszählung der Stimmen aus den Großstädten wurde die ANO jedoch von dem Mitte-Rechts-Bündnis SPOLU (Gemeinsam) unter der Führung von Petr Fiala, einem Professor und ehemaligen Rektor einer der größten tschechischen Universitäten, überholt. Mit 27,8 % der Stimmen gewann SPOLU mit dem knappsten Ergebnis in der Geschichte der Tschechischen Republik und lag damit 0,7 Prozentpunkte vor der zweitplatzierten ANO.

 

Sieg der Opposition

Noch in der Euphorie eines überraschenden Sieges, die die Vorwahlprognosen vom Ende September noch nicht vorhersagt hatten, erklärte das konservativ-orientierte SPOLU-Bündnis seine Absicht, eine Regierungskoalition mit dem zweiten Oppositionsbündnis von Piraten und STAN (Bürgermeister und Unabhängige), die mit 15,6 % den dritten Platz belegten, bilden zu wollen. Im 200-köpfigen Abgeordnetenhaus hätten die Bündnisse gemeinsam eine deutliche Mehrheit mit 108 Stimmen (SPOLU – 71, Piraten/STAN – 37).

Nur ein paar Stunden nach der Verkündung der Wahlergebnisse trafen die Vorsitzenden der fünf Parteien zusammen und unterschrieben ein Memorandum, in dem sie sich darauf verständigten, keine Regierung mit einer anderen politischen Gruppierung zu bilden. Auf diese Weise schicken die bisherigen Oppositionsbündnisse die ANO-Bewegung von Andrej Babiš und die rechtspopulistische Partei für Freiheit und Direktdemokratie (SPD), die auch den Einzug ins Parlament schafften, praktisch in die Opposition. Beide Bündnisse schlossen bereits im Rahmen der Wahlkampagne aus, dass sie über eine Regierungskoalition mit ANO, SPD oder den Kommunisten überhaupt verhandeln würden.

Wahlbeobachter sind sich einig, dass es SPOLU, das aus drei Parteien besteht, gelang, die beste Wahlkampagne zu fahren. Petr Fiala, SPOLU-Spitzenkandidat und Vorsitzender der stärksten Partei des Bündnisses, den Bürgerdemokraten (ODS), punktete in den Vorwahldebatten mit seiner ruhigen, aber auch entschiedenen, sachlichen und konstruktiven Haltung. Darüber hinaus scheint SPOLU von einer für tschechische Verhältnisse hohen Wahlbeteiligung (65,4 %) profitiert zu haben und überzeugte wahrscheinlich die Wähler, die sich erst in letzter Minute entschieden.

Während sich das SPOLU-Bündnis über seinen Wahlsieg freute, herrschte im Lager des anderen Bündnisses von Piraten/STAN eine gewisse Enttäuschung. Die Piraten/STAN hatten bereits vor den Wahlen erklärt, dass jedes Ergebnis unter zwanzig Prozent ein Misserfolg wäre. Noch im Juni sahen die Umfragen einen Gesamtsieg dieses Bündnisses voraus. In den drei Monaten vor den Wahlen scheinen besonders die Piraten das Vertrauen der Wähler verloren zu haben, insbesondere aufgrund der aggressiven Anti-Kampagne, die von der Regierungspartei ANO gegen sie geführt wurde. Nach Ansicht von Wahlbeobachtern haben sie jedoch auch unter eigenen Fehlern gelitten, insbesondere unter ihrer glanzlosen und oft unverständlichen Kampagne. Die Piraten in Tschechien besetzen den Platz „mitte-links“ und „modern“ im Spektrum, irgendwo zwischen sozialliberal und grün. Die Partei der Bürgermeister (STAN) ist vor allem auf lokaler Ebene verankert und agiert eher unideologisch.

Bei den Wahlen war auch ein in der tschechischen Politik bisher unbekanntes Phänomen zu beobachten: Die Wähler haben mit der Vorzugsstimme (eine „Zweitstimme“, mit der der Wähler die Listen der Parteien verändern kann), die Kandidaten der STAN begünstigt, die nun 33 Sitze im Abgeordnetenhaus einnehmen werden. Die Piraten, die ursprünglich als stärkere Partei in das Bündnis eingetreten waren und deren Vorsitzender auch der gemeinsame Kandidat des Bündnisses für das Amt des Ministerpräsidenten war, erhielten nur vier Sitze. Im Vergleich zur letzten Legislaturperiode werden sie 18 Sitze verlieren.

Obwohl das Piraten/STAN-Bündnis ein höheres Ergebnis anstrebte, waren sich der Piratenvorsitzende Ivan Bartoš und der STAN-Vorsitzende Vít Rakušan einig, dass die wichtigste Aufgabe erfüllt wurde: SPOLU und Piraten/STAN haben gemeinsam eine Mehrheit erreicht und können somit eine Regierung bilden, die den versprochenen Wandel in der tschechischen Politik herbeiführen solle. Viele Wahlbeobachter warnen jedoch vor der potenziellen Instabilität einer solchen Regierung, die sich zum ersten Mal in der Geschichte des Landes aus fünf Parteien zusammensetzen würde. Bisher war man in Tschechien höchstens an eine regierende Viererkoalition gewöhnt.

ANO-Bewegung: Das Ergebnis sei „großartig“, aber…

Die ANO-Bewegung des aktuellen Premierministers Andrej Babiš, die auf europäischer Ebene zur liberalen ALDE-Partei gehört, wird mit 27,1 % der Stimmen 72 Sitze im Abgeordnetenhaus besetzen. Das sind sechs Sitze weniger als vor vier Jahren, als ANO mit 29,6 % die Parlamentswahl gewann. „Ich denke, unser Ergebnis ist großartig. Wir haben selbst nicht damit gerechnet, im Juni kamen wir nur auf 22 %,“ sagte der Parteivorsitzende Babiš in seiner Nachwahlrede. Allerdings räumte er auch ein: „Ich habe dieses Ergebnis nicht erwartet. Es stimmt, dass wir nicht mit einer Niederlage gerechnet haben.“

Die ANO-Bewegung ist, was die Sitzzahl angeht, die stärkste politische Partei geblieben, was angesichts der zahlreichen Skandale um den Parteivorsitzenden Babiš und seiner populistischen Politik ein unerwartet gutes Ergebnis ist. Es nützt Babis und ANO jedoch wenig. Die potenziellen Koalitionspartner von Babiš schafften nämlich den Einzug ins Parlament nicht die zwei Oppositionsbündnisse von SPOLU und Piraten/STAN wollen mit ihm nicht über die Regierungsbildung verhandeln und mit der vierten Kraft im Abgeordnetenhaus der rechtsradikalen SPD hätte ANO nur 92 Stimmen, also keine Mehrheit im Abgeordnetenhaus.

Obwohl Babiš keine guten Aussichten hat, eine Regierungskoalition zu bilden, ist es wahrscheinlich, dass er doch die Chance bekommt, es zumindest zu versuchen. Präsident Miloš Zeman hat wiederholt erklärt, dass er die Regierungsbildung dem Chef der an Sitzen stärksten Partei und nicht einem Bündnis anvertrauen wird, und hat damit deutlich gemacht, dass er auf Babiš setzt. Die merkwürdige, aber für beide Seiten vorteilhafte und pragmatische Allianz zwischen Babiš und Zeman, die sich in den vergangenen Jahren mehrfach stabil zeigte, könnte Babiš für einige Zeit über Wasser halten. Babiš erklärte bereits, dass er versuchen wird, auf SPOLU zuzugehen, um über eine Regierungsbildung zu verhandeln, falls er von Präsident Zeman dazu beauftragt werde. Einige Beobachter merken an, dass Babiš hypothetisch versuchen könnte, eine Regierung mit einzelnen Parteien der Bündnisse auszuhandeln. Der Erfolg eines solchen Szenarios scheint jedoch unwahrscheinlich. Dies könnte nur gelingen, wenn es Babiš schaffen würde, die nach den Wahlen erklärte Einigkeit der Bündnisse zu brechen, oder wenn sich die Koalitionsparteien untereinander zerstreiten würden.

Babiš deutete vor der Wahl an, dass er die Politik verlassen würde, sollte ANO in die Opposition gehen: „Ich bin als Manager in die Politik gegangen, ich kann also nicht so gut reden. Wenn wir in der Opposition landen würden, würde ich die Politik verlassen“, sagte er in einem Interview ein paar Tage vor der Wahl. Was würde er danach machen? Einige Journalisten spekulieren über seine mögliche Kandidatur auf den Präsidentenposten, wenn im März 2023 die Amtszeit des aktuellen Präsident, Zeman enden wird. „Ich will nicht Präsident werden,“ reagierte jedoch Babiš auf eine direkte Frage. Am Sonntag erklärte er in einem Facebook-Video, dass er alles nochmals rekapituliert und sich entschieden habe, als Oppositionsführer im Abgeordnetenhaus zu bleiben, auch wenn seine Bewegung nicht in der nächsten Regierung wäre.

Rechtspopulisten werden nicht stärker, Sozialdemokraten und Kommunisten aus dem Spiel

Auch die Rechtspopulisten von der SPD, die den Austritt Tschechiens aus der EU fordern und stark einwanderungsfeindlich sind, sind geschwächt. Mit 9,6 % der Stimmen werden sie 20 Sitze im Abgeordnetenhaus belegen, zwei weniger als in der letzten Wahlperiode. Der SPD-Vorsitzende Tomio Okamura zeigte sich mit dem Ergebnis trotzdem zufrieden. Er führt den leichten Stimmenrückgang auf das Entstehen neuer Gruppierungen zurück, deren Programm sich mit dem der SPD überschneidet und die unter der erforderlichen Fünf-Prozent-Hürde blieben.

Die größten Verlierer der diesjährigen Wahlen sind die Sozialdemokraten (ČSSD) und die Kommunisten (KSČM), die zum ersten Mal in der Geschichte der unabhängigen Tschechischen Republik nicht in das Abgeordnetenhaus einziehen. Ihr Scheitern zeigt den Höhepunkt der Krise der tschechischen Linken, die es bisher nicht geschafft hat, sich in eine moderne europäische Linke zu verwandeln. Nach Ansicht von Kommentatoren haben beide Parteien auch den Preis für die Unterstützung der regierenden ANO-Bewegung in den letzten Jahren bezahlt. Die ČSSD hat in den vergangenen acht Jahren an der Seite der ANO regiert. Die Kommunisten tolerierten die Minderheitsregierung von ANO und ČSSD in den letzten vier Jahren. Es scheint, dass der größte Teil der linken Wählerschaft somit von der ANO-Bewegung im Abgeordnetenhaus vertreten wird, deren Kernwählerschaft sich aus Rentnern zusammensetzt, die die Bewegung dank ihrer großzügigen Politik ihnen gegenüber auf ihre Seite gezogen hat.

Wer wird regieren?

Auch wenn die Lage nach den Wahlen ziemlich klar zu sein scheint, hat Präsident Zeman immer noch eine starke Hand im Spiel. Bereits in der Vergangenheit zeigte er, dass er nicht viel Respekt vor der Funktionsweise des parlamentarischen Systems hat, als er nach Parlamentswahlen 2017 mehrere Monate eine Regierung ohne das Vertrauen des Abgeordnetenhauses regieren ließ. Einige Beobachter sind der Meinung, dass sich eine solche Situation auch diesmal wiederholen könnte, und dass die Regierung Babiš wieder für viele Monate ohne Vertrauen weiterregieren könnte. Andere Kommentatoren halten dieses Szenario jedoch nicht für wahrscheinlich. Sie weisen darauf hin, dass es vor vier Jahren unmöglich war, ohne die ANO-Bewegung eine Regierungsmehrheit zu bilden, während sich die Situation nun grundlegend geändert habe, da die Oppositionsblöcke heute über eine komfortable Mehrheit im Abgeordnetenhaus verfügen. Sie glauben, dass der Präsident am Ende SPOLU und Piraten/STAN ermöglichen wird, eine Regierung zu bilden.

Viel wird dabei auch vom Gesundheitszustand des Präsidenten abhängen, der in letzter Zeit mehrfach hospitalisiert war, zuletzt am Sonntag, einem Tag nach den Wahlen. Sollte der Präsident über einen längeren Zeitraum untätig bleiben, könnte ihn das Parlament für amtsunfähig erklären. Die Befugnisse des Präsidenten würden dann auf andere Verfassungsorgane übergehen - den Premierminister und die Präsidenten der beiden Parlamentskammern. Der Präsident könnte möglicherweise dann das Verfassungsgericht anrufen. Dort würde dann eine Anhörung stattfinden, um festzustellen, ob er wirklich amtsunfähig ist oder nicht.

Die Situation ist also klar und unklar zugleich. Die Wähler haben die Karten ausgeteilt, auf deren Grundlage die bisherigen Oppositionsblöcke in der Lage zu sein scheinen, eine Regierung mit dem Vertrauen des Abgeordnetenhauses zu bilden. Allerdings wird die Person des Präsidenten nun eine wichtige Rolle spielen. Es ist wahrscheinlich, dass wir noch einige Zeit auf eine neue Regierung in Tschechien warten müssen.

 

Natálie Maráková ist Projektmanagerin der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit im Büro für die Mitteleuropäischen und Baltischen Staaten in Prag.