EN

50 Jahre Freiburger Thesen
Werner Maihofer: Liberale Gesellschaftspolitik

Zurück in die Zukunft: Die Freiburger Thesen des Jahres 1971 sind eines der populärsten Parteiprogramme in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland. Sie stellen das wohl avancierteste Zukunftsmodell des Liberalismus nach 1945 dar.
50 Jahre Freiburger Thesen

Auszug aus der Rede von Werner Maihofer auf dem Bundesparteitag der FDP am 27. Oktober 1971 in Freiburg

Den Freiburger Thesen der FDP zur Gesellschaftspolitik, über die wir heute die Generaldebatten unseres Parteitages eröffnen, sind in der Einleitung einige grundlegende Aussagen über die Voraussetzungen und Zielsetzungen liberaler Gesellschaftspolitik vorangestellt.

Es kann in diesem einführenden Vortrag nicht meine Aufgabe sein, diese aus meinem Grundsatzreferat vor dem Bundeshauptausschuß in Bremerhaven übernommenen vier Thesen zum Liberalismus und zu seiner Gesellschaftspolitik mit anderen Worten zu wiederholen. Ich will vielmehr, so gut dies in einer knappen Stunde angeht, den Versuch machen, die hiermit umrissene politische Konzeption eines Modernen Liberalismus von ihrem geistigen Hintergrund her zu beleuchten. Ich will damit zugleich freidemokratische: liberaldemokratische Politik in unserem Lande grundsätzlich abzuheben versuchen von anderen politischen Denkrichtungen und Lebenshaltungen, wie der sozialdemokratischen, aber auch der christdemokratischen.

Dabei will ich, wo immer es angeht, nicht selbst das Wort nehmen, sondern die großen Klassiker unseres Liberalismus unmittelbar zu Ihnen sprechen lassen. Sie mögen danach selbst darüber urteilen, ob und wieweit die große Linie der Ihnen vorliegenden Thesen zur Gesellschaftspolitik dieser unserer liberalen Tradition entspricht oder widerspricht.

Zugleich mögen Sie daraus die eine oder andere gedankliche Anleitung für das große Geschäft entnehmen, das uns Liberalen heute bevorsteht und das Friedrich Naumann mit den Worten umschreibt: „Soll der Liberalismus noch eine neue Periode in Deutschland erleben und seinen jetzigen gebrochenen Zustand überwinden, dann muß er bis zur untersten Tiefe seiner eigenen Prinzipien hinabsteigen und aus dieser seiner alten Brunnenstube neues Wasser herausholen...“

Auf was stoßen wir als unterste Prinzipien des Liberalismus bei einer solchen beschwerlichen und doch unumgänglichen Rückkehr zu den Quellen, die wir im folgenden unternehmen wollen?

Aber es ist doch allein für uns Liberale Demokraten das Schlüsselwort für eine ganze politische Konzeption, das Losungswort für ein ganzes politisches Programm, der Kampfruf für eine ganze politische Epoche.

Werner Maihofer
Werner Maihofer

Auf die Frage, was denn den Liberalen Demokraten von allen anderen unterscheide und auszeichne, pflegen wir die Antwort zu geben: Sein unbedingtes Eintreten für die Wahrung und Mehrung menschlicher Freiheit! Damit ist alles und doch nichts gesagt. Ist das Wort Freiheit doch, zumindest als ein Lippenbekenntnis für Schönwetterzeiten, heute in aller Munde; auch in dem Sozialer und Christlicher Demokraten.

Aber es ist doch allein für uns Liberale Demokraten das Schlüsselwort für eine ganze politische Konzeption, das Losungswort für ein ganzes politisches Programm, der Kampfruf für eine ganze politische Epoche, die mit den demokratischen Revolutionen in Amerika und Frankreich zu Ende des 18. Jahrhunderts anhebt und bis heute das geistige Schicksal unserer westlichen Welt bestimmt.

Träger dieser Freiheitsbewegung und Befreiungsbewegung, die mit dem Ruf: „Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit!“ gegen den absolutistischen Staat und die feudalistische Gesellschaft der Unfreiheit antritt, waren liberale Bürger. Ihre Forderungen nach Freiheitsrechten und Menschenrechten, nach Pressefreiheit und Versammlungsfreiheit, aber auch nach Gewerbebefreiung und Bauernbefreiung gehen ein in die nachfolgende Reformbewegung des Liberalismus auch in unserem Lande, deren Vorkämpfer die verschiedensten „freisinnigen“ und „fortschrittlichen“ liberalen Parteien sind, die nach dem Scheitern der bürgerlichen Revolution von 1848 bei uns entstehen.

In ihnen allen wirkt der revolutionäre Impuls der anklagenden Feststellung Jean-Jacques Rousseaus, mit der dessen Epoche machende Schrift vom Gesellschaftsvertrag anhebt: „Der Mensch wird frei geboren, und überall ist er in Ketten.“

Aus diesem lakonischen Diktum entspringt die für allen Politischen Liberalismus grundlegende Fragestellung, die „Jean-Jacques Rousseau, Bürger von Genf“ (wie es im Titel des Buches heißt) 1762 in die Worte faßt: „Wie findet man eine Gesellschaftsform, die mit der ganzen gemeinsamen Kraft die Person und das Vermögen jedes Gesellschaftsgliedes verteidigt und schützt und kraft deren jeder einzelne, obgleich er sich mit allen vereint, gleichwohl nur sich selbst gehorcht und so frei bleibt wie bisher?“

Die bürgerliche Revolution, wie sie hier in Gedanken vorbereitet und 1789 dann in Frankreich in die Tat umgesetzt worden ist, leitet eine geistige Erschütterung und Verwandlung auch in unserem Lande ein, deren Ausmaß wir uns heute kaum noch vergegenwärtigen.

Die gesamte Rede finden Sie in der Neuauflage der Freiburger Thesen  „Wandel beginnt im Kopf“: