Kommunal- und Regionalwahlen
Wind of Change in Kroatien?
Junge unverbrauchte politische Parteien und Wahlbündnisse erzielten bei den jüngsten Regional- und Kommunalwahlen in Kroatien erstaunliche Erfolge. Dabei hat das Land seit Jahren vor allem mit wachsender Politikverdrossenheit zu kämpfen. In der allgemeinen Lebenszufriedenheit, die das statistische Amt der Europäischen Union Eurostat jedes Jahr für alle EU-Länder misst, belegt Kroatien regelmäßig einen der untersten Ränge. Anhaltende Abwanderung, niedrige Geburtenraten sowie eine geringe Wahlbeteiligung gerade bei jungen Menschen sind weitere Indikatoren, die geringes Vertrauen in das politische System und einen Mangel an Zuversicht dokumentieren. Und nun diese Erfolge neuer politischer Kräfte zumindest in größeren Städten sowie – besonders symbolträchtig – der Hauptstadt Zagreb.
Keine Freudentänze bei den Großen
In 20 Regionen, 126 Städten und 429 Gemeinden wurde gewählt. Landesweit eroberte die regierende HDZ etwa 45 Prozent der Städte und Gemeinden und 15 der 20 Regionen, was noch am Wahlabend von ihrem Vorsitzenden und Premier Andrej Plenkovic als „ein kolossaler Sieg“ bezeichnet wurde. Auf den zweiten Blick geben aber vor allem die Machtverluste in der Hauptstadt Zagreb (die HDZ war hier bislang immerhin ein mitbestimmender Juniorpartner) und in der zweitgrößten Stadt des Landes, Split (Niederlage im Rennen um OB-Posten), sowie in der bisherigen Hochburg Vukovar dem Ganzen einen bitteren Beigeschmack. Allerdings bleibt die HDZ klar stärkste Partei.
Die Sozialdemokraten konnten zwar einzelne Erfolge erzielen wie in ihrer Hochburg Rijeka, der drittgrößten Stadt Kroatiens sowie im barocken Varazdin. Und der SDP-Kandidat für den Posten des Regionsvorsitzenden in Istrien hat nur um Haaresbreite den Sieg über die seit 30 Jahren andauernde IDS-Herrschaft verpasst. Nur 54 Stimmen trennten ihn von seinem Gegenkandidaten Boris Miletic. Die Entscheidung über eine neuerliche Stimmenauszählung steht noch aus. Den Sozialdemokraten droht allerdings die Verdrängung als führende Oppositionspartei durch die grün–linke Partei Mozemo! („Wir schaffen es!“).
Erfolge bei links-grünen und liberalen Kräften
Tomislav Tomasevic, Aktivist und Vorsitzender der links-grünen Mozemo, wurde in der Stichwahl mit 65 Prozent der Stimmen zum OB der Hauptstadt gewählt und somit Hauptsieger dieser Wahlen. Die Bürgerinnen und Bürger Zagrebs erwarten von ihm vor allem, das schwer durchschaubare und mächtige Korruptionsnetzwerk des im Februar verstorbenen und insgesamt 20 Jahre amtierenden Oberbürgermeisters Milan Bandic wirksam zu bekämpfen und aufzulösen. Gleichzeitig sollen die Stadtverwaltung effizienter und die öffentlichen Betriebe wirtschaftlicher werden, was einer Herkulesaufgabe für die Neugewählten und vielfach im politischen Geschäft Unerfahrenen gleichkommt.
In der zweitgrößten Stadt des Landes, Split, kam der Wunsch nach Erneuerung und Reform den Liberalen zugute. Ivica Puljak, von Hause aus Physiker, erzielte für die liberale Partei Centar einen grandiosen Erfolg. Im Wahlkampf vor allem mit den Themen saubere, zukunftsorientierte und technologiefreundliche Stadt werbend, lag er in der Stichwahl mit 56,75 Prozent der Stimmen klar vor seinem HDZ-Gegenkandidaten. Während Mozemo in Zagreb ihre Politik allerdings auf 23 von 47 Sitzen in der Stadtversammlung stützen kann, dürfte der Neuanfang für Puljak ungleich schwieriger werden. Centar stellt nur sieben der 31 Mandate in der Stadtversammlung.
Weckruf in Istrien
Einen erheblichen Dämpfer mussten die Liberalen in ihrem traditionellen Stammland Istrien hinnehmen, wo die IDS seit 1992 nahezu unangefochten regierte. Bereits im ersten Wahlgang zeichnete sich ab, dass die neun von der IDS geführten Städte kaum in der Gesamheit werden gehalten können. In sechs von zehn kann sie nun weiter regieren. Besonders schmerzlich ist der Machtverlust in Pula, der größten Stadt Istriens. Fast drohte auch das Rennen um den Regionsvorsitz verloren zu gehen. Der Parteivorsitzende Miletic trat noch am Abend der Stichwahl vom Vorsitz zurück. Der IDS wurde, so die vorläufige Analyse, zum einen das (negative) Image einer ewig regierenden Partei (mit allen dazu gehörenden Begleiterscheinungen) wie auch die zunehmend öffentlich ausgetragenen internen Parteikämpfe zum Verhängnis. Die IDS bleibt zwar stärkste politische Kraft auf der Halbinsel, aber sie ist sicher gut beraten, wenn sie diesen Wählerweckruf ernst nimmt und ihre Schwächen und Fehler in der Vergangenheit intensiv aufarbeitet.
Bürgernah zahlt sich aus
Neben Centar konnte auch die liberale HSLS Erfolge verzeichnen. Dario Hrebak verteidigte seinen Bürgermeisterposten von Bjelovar überzeugend mit 65 Prozent der Stimmen bereits im ersten Wahlgang. In der Stichwahl ging die HSLS als zweitstärkste Partei der Region Bjelovar-Bilogora hervor. Eine mögliche Ausbreitung der Partei auf Nordkroatien – wo früher die HNS erfolgreich war, die nur noch ein Schatten ihrer einstigen Größe ist – könnte sich hier strategisch anbieten. Auch eine engere Zusammenarbeit mit anderen marktwirtschaftlich orientierten Parteien wie Fokus, Reformisti oder ausgewiesenen liberalen Politikern, die als unabhängige Kandidaten erfolgreich angetreten sind, böte sich an. Hier wäre der Regionsvorsitzende von Medjimurje und Abgeordnete Matija Posavec zu nennen, der politisch ein sehr ähnliches Profil wie die HSLS ausweist. Der engagierte und in seinem Amt überzeugend bestätigte Hrebak wird einen erheblichen Teil seiner Kräfte dieser Aufgabe widmen müssen: dem Schmieden von Bündnissen mit liberalen Kräften.
Ungewisse Zukunft bei weiteren liberalen Parteien
Die Misserfolge der liberalen Parteien - GLAS und HNS - haben unterschiedliche Gründe. Während es die Mannschaft von GLAS nach der Trennung von der HNS – und von unverschuldeten Finanzproblemen geplagt – nicht schaffte, ihre einst starke Stellung in Zagreb wieder zu erlangen, noch neue Anhänger in anderen Teilen des Landes zu gewinnen, verlor die HNS bereits 2017 in der Öffentlichkeit erheblich an Ansahen, nachdem sie in die Regierung mit ihrem ehemaligen Erzfeind HDZ eingetreten war. Ob es die HNS noch einmal schaffen wird, vor diesem Hintergrund einen Weg aus der Krise zu finden, ist derzeit völlig offen. Bisher konnte die HNS im Norden des Landes und im Bündnis mit anderen zentristischen Parteien noch einige ihrer Stellungen, darunter zwei Städte, halten. In Zagreb und anderen Großstädten spielt sie kaum noch eine Rolle.
Die Partei GLAS ging in diesen Wahlen zwar unter, könnte aber, da sie von erfahrenen und glaubwürdigen Politikerinnen und Politiker vertreten wird, von einer Fusion liberaler Kräfte profitieren.
Anzeichen für eine „Zeitenwende“?
Die Wahlbevölkerung setzte vor allem in den größeren Städten auf neue Hoffnungsträger und (unverbrauchte) Kräfte des Wandels in unterschiedlicher politischer Couleur. Analysten ziehen bereits Parallelen zu Entwicklungen in anderen Ländern und Metropolen Südosteuropas wie etwa Budapest und Istanbul 2019 oder Bukarest und Sarajevo 2020, wo sich kritisches Potenzial entwickeln konnte.
Auch dort wurden über lange Zeit dominierende Regierungen und Eliten durch den Einzug neuer Kräfte in die Rathäuser überrascht und verunsichert. Könnten das Vorboten eines nachhaltigen politischen Wandels sein?
Die Sehnsucht nach wirklicher Veränderung ist jedenfalls offenkundig. Die traditionellen Parteien sind nun in besonderer Weise herausgefordert und nehmen bestenfalls selbst die neuen Impulse aus der Bevölkerung in ihre Arbeit auf.