Geburtstag
Alexander Graf Lambsdorff: Die Welt im Blick – liberales Augenmaß in der internationalen Politik
Alexander Graf Lambsdorff gehört zu denjenigen Politikern, die in der Öffentlichkeit, in Gesprächen und Interviews nicht nur als Parteipolitiker gefragt sind, sondern besonders aufgrund ihrer fachlichen Expertise: Man hört Lambsdorff zu, wenn es um die Einschätzung komplexer weltpolitischer Krisenlagen und internationaler Erfahrungen geht. Umfassende Sachkenntnis verbindet er mit abgewogenem Urteil und Augenmaß für den notwendigen Ausgleich der vielfältigen Interessen in der internationalen Staatenwelt.
Lambsdorff lernte Außenpolitik von der Pike auf: Nach einem Studium der Geschichte und Politik im heimatlichen Bonn zog es ihn für mehrere Jahre in die USA zur renommierten School of Foreign Service der Georgetown University in Washington D.C. Erste Forschungsthemen – zur Entwicklung der faschistischen Parteien Europas in den 1920er Jahren sowie zu internationalen Handels- und Finanzfragen – deuten die Neigung zum Diplomaten und historisch versierten Politiker an. Vielleicht spielte auch die familiäre „Vorbelastung“ als Sohn eines Diplomaten eine Rolle. Entsprechend folgte alsbald die Ausbildung im Auswärtigen Amt und die Aufnahme in den Planungsstab des damaligen Außenministers Klaus Kinkel. Nach dem Regierungswechsel 1998 leitete Lambsdorff zunächst noch dessen Abgeordnetenbüro im Deutschen Bundestag.
Unverkennbar zog es ihn aber zurück in die internationale Politik. Nach einigen Jahren an der Deutschen Botschaft in Washington und in der Politischen Abteilung des Außenministeriums in Berlin, mit Zuständigkeit für Russland, wechselte Lambsdorff die Perspektive grundlegend: Nach erfolgreichem Wahlkampf wurde er 2004 Abgeordneter im europäischen Parlament und blieb dies auch in den beiden folgenden Wahlperioden. Gerade seine Wiederwahl 2014 – angetreten als Spitzenkandidat der FDP – bewirkte zugleich einen entscheidenden Schub auch für den Wiederaufstieg der bundesdeutschen Liberalen. Auf europäischer Ebene wurde er zum stellvertretenden Vorsitzenden der Fraktion der Allianz der Liberalen und Demokraten für Europa (ALDE) gewählt und im Juli 2014 stieg er zum Vizepräsidenten des europäischen Parlamentes auf mit der Zuständigkeit für Menschenrechte und Demokratie. So hatte er damals, als sich die FDP auf Bundesebene in der außerparlamentarischen Opposition befand, das höchste politische Amt eines Freien Demokraten inne, wie er überhaupt – seit 2001 im Bundesvorstand – ganz wesentlich das außenpolitische Profil der Partei prägte und weiter prägt. Bei der für die FDP entscheidenden Bundestagswahl 2017 kandidierte er erfolgreich in seinem Bonner Wahlkreis und zog mit einem überdurchschnittlichen Ergebnis in den Bundestag ein, ebenso wie 2021, als er 12,6 Prozent der Erststimmen gewann. Im deutschen Parlament blieb er – wie auf europäischer Ebene – der Außen- und Menschenrechtspolitik treu, deren Gestaltung er mit dem stellvertretenden Fraktionsvorsitz übernahm.
Sein öffentliches Ansehen, sowohl während der Brüsseler Zeit, als auch in Berlin ist hoch: Kaum ein anderer liberaler Spitzenpolitiker erhält in den Medien so konstant über einen langen Zeitraum Zuspruch; selbst die dem Liberalismus nicht sehr gewogene linke Tageszeitung „taz“ lobt den Außenpolitiker als „smart und taktisch gewieft", bewundert die Verbindung von „außenpolitischem Engagement mit bürgernaher Europapolitik" und die FAZ betont, er sei ein „Mann der leisen Töne, des ruhigen Abwägens und sachlichen Argumentierens“. Alles Populistische ist ihm fremd. Zu dieser Wertschätzung hat sicher auch seine jahrelange Tätigkeit in den EU-Missionen zur Wahlbeobachtung beigetragen, die Lambsdorff nach Bangladesch, Kenia, Guinea, Libyen und Myanmar führte.
Seine profunden Analysen der internationalen Konfliktlagen zielen auf die genaue Kenntnis der Akteure und historischen Zusammenhänge, um daraus Lösungsansätze auch für verfahrene Situationen zu entwickeln. Dabei schreckt er keineswegs vor klaren Worten zurück, sofern sie erforderlich erscheinen, wie etwa im Fall der Türkei, bei der er viele Jahre forderte, die Beitrittsverhandlungen zu beenden und stattdessen einen Grundlagenvertrag auf der Basis einer „konstruktiven, ehrlichen Beziehung“ auszuhandeln. Und den – ihre Eigeninteressen verfolgenden – Mitgliedern der EU gibt er auf den Weg, „den Versuch zu machen, zusammenzustehen. Wenn wir uns auseinanderdividieren lassen in einzelne Staaten, dann werden wir alle darunter leiden.“
Lambsdorff ist ein überzeugter und überzeugender Europäer, einer, der für die EU ein stärkeres Eigengewicht im „Zangengriff zwischen China und den USA“ wünscht. In seinem kürzlich erschienenen Buch mit dem treffenden Titel „Wenn Elefanten kämpfen. Deutschlands Rolle in den kalten Kriegen des 21. Jahrhunderts“ mahnt er, endlich die geopolitischen Herausforderungen anzunehmen: „Mit den heraufziehenden kalten Kriegen (...) stehen Menschenrechte, Freiheit und Demokratie ebenso auf dem Spiel wie Völkerrecht, Multilateralismus und Freihandel.“ Gegen diese Bedrohung der gemeinsamen liberalen Werte, die den „European Way of Life“ prägen., komme der Europäischen Union die Schlüsselrolle zu, denn „nur als EU haben wir die Chance, nicht zum Gras zu werden, über das die kämpfenden Elefanten hinwegtrampeln“. Lambsdorffs wertorientierte Perspektive reicht somit weit über das verbreitete eher situative Krisenmanagement hinaus: „Aus dem Wissen, das wir über uns selbst haben, und aus den Werten, die wir daraus entwickeln, leitet sich politisches Handeln ab.“
Der Aufklärung verpflichtet und verbindlich, aber ebenso auch hartnäckig zu argumentieren, wo es der Sache dient, achtsam für andere Kulturen und Wahrnehmungen – das macht Lambsdorffs außenpolitisches Verständnis aus. Denn „solange man miteinander spricht, schießt man nicht aufeinander“ – eine Maxime, die ihn gut in die liberale, multilaterale Tradition des Doyens der deutschen Außenpolitik, Hans-Dietrich Genscher, stellt.
Der Friedrich-Naumann-Stiftung ist er seit langem eng verbunden, als Altstipendiat und seit 2009 als Mitglied des Kuratoriums. Wir gratulieren Alexander Graf Lambsdorff zum 55. Geburtstag.