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Türkei
Bausektor erlahmt: Erdogans neuer Favorit ist die Rüstungsindustrie

Ausbau der Rüstungsindustrie eröffnet Türkei neue Möglichkeiten für den Export
Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan, bei einer Rede im Parlament in Ankara.
Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan, bei einer Rede im Parlament in Ankara. © picture alliance / AA

Nachdem das Zugpferd der türkischen Wirtschaft – der Bausektor – stark durch die gegenwärtige Wirtschaftskrise getroffen wurde, hat Präsident Erdogan laut einer Analyse der Nachrichtenseite al-Monitor einen neuen Favoriten: die Rüstungsindustrie.

Die Gründe hierfür, so die Experten, seien vielfältig. Erfolgsmeldungen über neu entwickelte Verteidigungstechnologien oder profitable Rüstungsexporte, die von den wirtschaftlichen Problemen ablenken. So berichtete die türkische Nachrichtenagentur Anadolu Agency Anfang November, die Exporte der türkischen Verteidigungsindustrie seien im Vorjahresvergleich um knapp 40 Prozent gestiegen. Gleichzeitig hat sich die Regierung ein ambitioniertes Ziel gesetzt: das Exportvolumen des Sektors, das 2018 rund zwei Milliarden US-Dollar betrug, soll bis Ende 2023 auf jährlich 25 Milliarden US-Dollar anwachsen.

Türkei kauft russisches Raketensystem

Rüstungsgeschäfte haben häufig außenpolitische Konsequenten. Dass verdeutlichte der türkische Kauf des russischen S-400 Raketensystems, der zu diplomatischen – und noch immer anhaltenden – Verwerfungen zwischen der Türkei und den USA führte; zudem haben die EU und die USA Waffenembargos gegen Ankara wegen seiner Syrien-Politik verhängt. Diese dürften Erdogan ermutigt haben, mit eigenen Rüstungsproduktionen die Abhängigkeit von Waffenlieferungen aus dem Ausland zu mindern. Derzeit kann die Türkei laut eigenen Angaben 70 Prozent ihres Bedarfs an Militärausrüstung selbst decken, zu Beginn der Amtszeit der AKP lag dieser Anteil bei gerade einmal 20 Prozent.

Der Ausbau der Rüstungsindustrie eröffnet neue Möglichkeiten für den Export. Bei seinem Besuch in Katar Ende November besuchte Erdogan einen neuen türkischen Militärstützpunkt mit 5.000 türkischen Soldaten. Zudem unterzeichnete er Kooperationsvereinbarungen mit dem Golfstaat, unter anderem im Bereich Rüstung. Katar plant laut Daily Sabah den Kauf von 100 türkischen AltayPanzern; auf der Einkaufsliste der Kataris stehen nach türkischen Medienberichten auch Kampfdrohnen sowie eine große Zahl gepanzerter Fahrzeuge.

Erdogan versucht, Kontrolle über die Rüstungsindustrie zu erlangen

In diesem Zusammenhang schreibt der Journalist Metin Gürcan, Erdogan versuche, die Entscheidungsmacht in der türkischen Rüstungsindustrie weg vom Militär und hin zu ihm nahestehenden Geschäftsleuten zu verlagern. Derzeit kontrolliert die „Stiftung der türkischen Streitkräfte“ (TSKGV), die von pensionierten Generälen angeführt wird, knapp die Hälfte der Waffengeschäfte im In- und Ausland; auch habe sie bei entsprechenden Forschungsaufträgen das letzte Wort. Ende 2017 brachte Präsident Erdogan die Stiftung per Präsidialerlass unter seine Kontrolle. Trotz allem stehe, so Metin Gürcan, die TSKGV weiterhin unter dem Einfluss der pensionierten Generäle.

Eine weitere Säule der Rüstungsindustrie sind Joint Ventures zwischen türkischen und ausländischen Unternehmen. Doch seit dem Aufstieg der AKP haben Unternehmen an Einfluss gewonnen, die Erdogan nahestehen. Die Firma Baykar beispielsweise, die Kampfdrohnen an Katar liefern soll, gehört Erdogans Schwiegersohn Selçuk Bayraktar. BMC, das erste türkische Unternehmen, das es mit einem Rüstungsumsatz von 500 Millionen US-Dollar in die Liste der „Top 100“ Rüstungsfirmen schaffte, gehört ebenfalls einem AKP-Mitglied. Anfang 2019 bot Erdogan diesem Unternehmen an, die türkischen Altay-Panzer zu günstigen Konditionen in der größten Panzer-Wartungsfabrik des Landes zu produzieren.

Unter dem Strich bewertet Metin Gürcan Erdogans Importsubstitionsstrategie im Rüstungssektor als einen Erfolg für Präsident Erdogan. Seine Kontrolle über die Stiftung der türkischen Streitkräfte nehme zu und die von ihm geförderten Unternehmen gewännen Marktanteile.

Der Artikel ist Teil des aktuellen Türkei Bulletins (22/2019)