Wahlen Bulgarien
Aller guten Dinge sind drei – Ende der Wahl-Dauerschleife in Bulgarien möglich
Bei den Wahlen am Sonntag gewinnt überraschend die erst vor wenigen Wochen gegründete Partei „Wir führen den Wandel fort“ (PP) – doch auf die beiden Parteivorsitzenden kommen schwierige Sondierungs- und Koalitionsverhandlungen zu.
In Bulgarien waren die Wählerinnen und Wähler am vergangenen Sonntag bereits zum dritten Mal innerhalb weniger Monate an die Urnen gerufen worden. Diesmal ging es neben dem Parlament auch um die Wahl des Staatspräsidenten. Dass die Euphorie begrenzt war, zeigte sich an der unterirdischen Wahlbeteiligung von weniger als 40 Prozent – ein historischer Tiefpunkt.
„Harvard-Boys“ gehen als Sieger hervor
„Bulgarien schlägt einen neuen Weg ein“, sagte der Co-Vorsitzende der erst vor wenigen Wochen quasi aus dem Nichts entstandenen Partei „Wir führen den Wandel fort“ (PP), Kiril Petkow, nach dem Wahlgang. Seine Partei hat Hochrechnungen zufolge aus dem Stand knapp 26 Prozent der Stimmen geholt und wurde damit stärkste Kraft. Er und sein Partner Asen Wasilew werden in den Medien als die „Harvard Boys“ bezeichnet - die beiden Mittvierziger haben an der amerikanischen Elite-Universität studiert, bevor sie in Bulgarien ihre eigenen Firmen gründeten. Ihr Hauptanliegen ist die Bekämpfung der chronischen Korruption im Land.
In einer Pressekonferenz kurz nach Bekanntgabe der vorläufigen Ergebnisse gab Petkow bekannt, mit allen Parteien sprechen zu wollen – außer mit der GERB des Langzeitministerpräsidenten Bojko Borissow und der Partei der türkischen Minderheit (DPS). Beide Parteien werden von der Mehrheit der Bevölkerung als Hindernis auf dem Weg zum Wandel gesehen – eine Zusammenarbeit mit ihnen wäre für PP politischer Selbstmord.
Reformkräfte haben mathematische Mehrheit – der Weg zu einer Regierung ist jedoch weit
Wasilew und Petkow waren als Finanz- und Wirtschaftsminister die führenden Köpfe der ersten Übergangsregierung, die Präsident Radew einsetzen musste, weil sich nach den Wahlen im April keine mehrheitsfähige Regierung formieren konnte. Vor etwa zwei Monaten nutzen die beiden das Momentum ihrer hohen Zustimmungswerte, legten ihre Ämter nieder und gründeten ihre Reformpartei. Innerhalb weniger Wochen verdienten sie sich in der Öffentlichkeit einen Namen als Macher und Korruptionsbekämpfer.
Rein mathematisch hätte PP die Chance, mit den weiteren Reformparteien eine mehrheitsfähige Regierung zu bilden. Doch dass in Bulgarien mathematische Mehrheiten noch lange nicht zu einer Regierung führen, haben die Erfahrungen der beiden Parlamentswahlen im April und Juli gelehrt.
Wie schwierig sich die Gespräche gestalten würden, zeigte sich bereits weniger als 24 Stunden nach der Wahl: Parteichef Hristo Iwanow der liberal-reformistischen Da, Bulgaria! (DB) legte als Konsequenz des schlechten Wahlergebnisses sein Amt nieder. Schätzungen zufolge hat DB einen Teil ihrer Wählerschaft an die neugegründete PP verloren und sackte von knapp 13 Prozent im Juli auf unter 7 Prozent. Mit ihm trat gleich die gesamte Führungsriege der Partei zurück. Dabei verkörpert Iwanow, der im vergangenen Sommer maßgeblich zum Ausbruch von Massendemonstrationen gegen Korruption beigetragen hatte, wie kein zweiter die Hoffnung auf den Wandel in Bulgarien.
Von Da, Bulgaria! bleibt also im Moment nur ein Scherbenhaufen übrig – nicht gerade die besten Voraussetzungen für komplexe Koalitionsgespräche. Die beiden anderen potentiellen Partner, die sozialistische BSP und die Partei des TV-Entertainers Slawi Trifonow, sind ebenso ungefestigt. Auch wenn die BSP seit Monaten verkündet, eine Koalition von Reformkräften zu unterstützen, ist sie mit 10 Prozent Stimmenanteil nur noch ein Schatten ihrer selbst und verkörpert für viele junge Leute das alte Bulgarien. Erst kürzlich gab die Parteiführung bekannt, die Istanbul-Konvention zum Schutz von Frauen vor häuslicher Gewalt abzulehnen. Es wäre für viele nicht überraschend, wenn die BSP einfach die Fronten wechselte und sich mit den Status-quo-Parteien GERB und DPS auf eine Koalition einigte – sie hätten zwar zusammen keine Mehrheit, könnten sich aber von der russlandfreundlichen Anti-Impf-Partei Vazrazhdane (5 Prozent) Unterstützung holen.
Der TV-Entertainer und Exzentriker Trifonow wurde für seine arrogante und kompromisslose Haltung nach den Wahlen im Juli abgestraft – seine Partei „Es gibt so ein Volk“ rutschte von mehr als 24 Prozent auf knapp 10 Prozent ab. Ob er sich jetzt kompromissbereit zeigt und sich auf Gespräche mit den anderen Parteien einlässt, wird sich erst in den kommenden Tagen zeigen.
Bei der Präsidentschaftswahl ist die Sache eindeutig
Bei der Präsidentschaftswahl, die zum ersten Mal in der Geschichte des Landes zeitgleich mit der Parlamentswahl stattfand, ist die Situation wesentlich klarer: Der amtierende Präsident Rumen Radew hat die Wahl klar für sich entschieden, verfehlt aber knapp die absolute Mehrheit, so dass es am nächsten Wochenende einer Stichwahl gegen den Zweitplatzierten Anastas Gerdschikow bedarf. Radew war von der BSP und der PP unterstützt worden, der Universitätsprofessor Gerdschikow hingegen von der GERB.
Für ein Novum sorgte die Kandidatur des Vorsitzenden der DPS, Mustafa Karadayi, der als erster türkisch-stämmiger Bulgare für das höchste Amt kandidierte. Karadayi hatte zwar von Anfang an kaum realistische Chancen auf den Sieg, sorgte aber mit seiner Kandidatur für eine Mobilisierung unter den Wählern seiner Partei, was sich am guten Ergebnis für die Partei von mehr als 13 Prozent zeigt. Profitiert hat die DPS dabei stark von den Stimmen aus dem Ausland, vor allem aus der Türkei. Erste Ergebnisse zeigen, dass die Partei knapp 40 Prozent aller Stimmen aus dem Ausland holte. Für Diskussionen hatte zuvor der Besuch einer ranghohen Delegation der DPS beim türkischen Präsidenten Erdogan in der Türkei gesorgt, infolge dessen sich für viele Bulgaren die Frage nach der Loyalität der Partei zu Bulgarien stellte.
Weiterhin ungewisse Zeiten für Bulgarien
Nach drei Wahlen in Folge haben sie es satt: Zwei Drittel der Bulgaren sind am vergangenen Sonntag gar nicht wählen gegangen. Doch die Hoffnung auf den Wandel besteht weiterhin. Das ist daran abzulesen, dass die Wählerinnen und Wähler mit Wasilew und Petkow zwei jungen und relativ unerfahrenen Kräften Vertrauen schenkten, die bis vor Kurzem in der bulgarischen Politik völlig unbekannt waren. Nachdem der TV-Entertainer Trifonow sehr unverantwortlich mit dem Vertrauensvorschuss umgegangen ist, dem ihm die Bulgaren bei den Wahlen im Juli gegeben hatten, liegt es nun an diesen beiden Jungpolitikern, das Schicksal ihres Landes zum Guten zu wenden. Ob Wasilew und Petkow die in sie gesetzten, hohen Erwartungen erfüllen werden, ist abzuwarten. Eine vierte Wahl in wenigen Monaten ist leider nicht auszuschließen.
Aret Demirci ist Projektassistent im Regionalbüro der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit in Sofia.