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Angeschlagener Spitzenreiter

Europa erwachsen neue Gefahren für die Pressefreiheit
Angeschlagener Spitzenreiter

Bedrohte Pressefreiheit in Europa

© Paparazzit/ Getty Images Plus

Heute ist der internationale Tag der Pressefreiheit – auch in Europa ein Anlass, über den hohen Wert der Freiheit der Medien und die Bedrohungen dieser nachzudenken. Denn auch hier gilt: Die Arbeitsbedingungen für Journalisten haben sich im letzten Jahr in Europa verschlechtert. Das zeigt die Rangliste der Pressefreiheit 2018, die Reporter ohne Grenzen (ROG) am vergangenen Mittwoch veröffentlicht hat.

Im Vergleich zu vielen anderen Weltregionen gilt Europa immer noch als Vorreiter, wenn es um die Pressefreiheit geht. Dennoch werden Tschechien, Malta, Slowakei und Serbien beim ROG-Ranking als die Länder mit dem weltweit stärksten Rückgang der Pressefreiheit auf der Liste hervorgehoben. Schon die Bezeichnung „Rangliste“ deutet darauf hin, dass es sich um einen Wettbewerb oder Vergleich handelt. Wie kann Europa an der Spitze stehen und gleichzeitig den größten Abwärtstrend verzeichnen? Gibt es Mitgliedstaaten, die das europäische Team an die Spitze führen bzw. diejenigen, die Europas Ruf ruinieren? Eine Erklärung liegt in der verwendeten Begrifflichkeit: Der Ausdruck „Rangliste“ bei der Messung von Pressefreiheit kann zu dem falschen Eindruck führen, dass Platz 1 auch gleichzeitig „ausgezeichnet“ bedeutet. Auf der Rangliste der Pressefreiheit bekommt jedes Land Punkte, die im Verhältnis zu den Werten der übrigen Länder seinen Platz bestimmen. Die Punkte ergeben sich aus 117 Kriterien, die Bereiche wie Medienvielfalt, rechtliche Bedingungen, Selbstzensur u.v.a. umfassen und auf eine Skala von 0 (völlige Freiheit) bis 100 (gar keine Freiheit) projiziert werden.

Je nach dem Resultat anderer Länder kann ein Land deshalb im Einzelfall in der Rangliste aufrücken, obwohl sich seine Punktzahl verschlechtert hat. So ist z.B. Belgien im Vergleich zum Vorjahr um zwei Plätze aufgerückt, obwohl sich sein Punktzahl um -0.41 verschlechtert hat. Dasselbe gilt für Zypern, das sich trotz eines leichten Rückgangs von -0.06 Punkten um fünf Plätze verbessert hat. Die Spitze der Rangliste bleibt mit Norwegen und Schweden unverändert, obwohl auch hier ein leichter Rückgang der Punktzahl zu verzeichnen ist. Luxemburgs Wert bleibt unverändert, trotz eines Abstiegs auf der Liste um zwei Plätze. Im Vergleich zum Vorjahr haben u.a. die Niederlande (Platz 3), Portugal (14), Rumänien (44), Italien (46) und Kroatien (69) ihre Werte verbessert. Nicht überall in Europa geht es also abwärts.

Nur die post-kommunistischen Länder?

Zu den schlechten Entwicklungen in Europa äußerte sich auch der Chef von Reporter ohne Grenzen in Deutschland, Christian Mihr, mit den Worten: „Ich denke, die Entwicklung der Situation in Ost- und Mitteleuropa hat gezeigt, dass es sich um unreife Demokratien handelt, deren EU-Mitgliedschaft möglicherweise zu früh war“. Betrachtet man die Liste der Länder, die sich verbessert haben, so fällt allerdings auf, dass sowohl westeuropäische als auch post-kommunistische Länder darunter sind. Man sollte also trotz der Negativergebnisse der vier Visegrád-Staaten keine Pauschalurteile fällen.

Doch wenn es um den Schutz grundlegender Rechte und Freiheiten geht, sollte sich Europa nicht nach der Redewendung „unter den Blinden ist der Einäugige König“ richten. Pressefreiheit darf nicht als Wettbewerb, sondern als Selbstverständlichkeit verstanden werden.

Die Lage in Tschechien, der Slowakei, Polen, Ungarn und Malta ist alarmierend und verdient deshalb besondere Beachtung. Angesichts des Aufstiegs populistischer und nationalistischer Bewegungen, die oft feindlich gegenüber den Medien auftreten und auf dem ganzen Kontinent politischen Einfluss gewinnen, ist nicht zu erwarten, dass dieser Abwärtstrend kurzfristig nachlassen wird.

Fokus Mitteleuropa

Große Sorgen bereitet der Umstand, dass der EU-Durchschnitt in Sachen Pressefreiheit vor allem von den mitteleuropäischen Ländern nach unten gezogen wird. Hier zeichnet sich schon seit längerem ein Rückzug der Pressefreiheit auf allen Fronten ab, der sich in diesem Jahr noch einmal verschärft hat. In der Slowakei wurde dies besonders durch die brutale Ermordung des regierungskritischen Investigativjournalisten Ján Kuciak augenscheinlich. Das Land hatte in der diesjährigen Rangliste der Pressefreiheit den stärksten Niedergang (um zehn Plätze) weltweit zu verzeichnen.

In Ungarn bedient sich die Regierung nicht nur subtiler Einschüchterungsmethoden, sie sorgt auch dafür, dass kritische Medien immer häufiger in den Besitz von regierungstreuen Unternehmern übergehen. Vor kurzem schloss die letzte größere Zeitung, die nicht auf Regierungskurs war, Magyar Nemzet. Auch in Tschechien werden kritische Journalisten verstärkt von den Behörden drangsaliert. Der Präsident des Landes, Miloš Zeman, trägt gerne ein hölzernes Spielzeuggewehr bei sich, auf dem geschrieben steht, dass es für Journalisten reserviert sei – nur ein Beispiel für eine Art der Hetze gegen Journalisten, die in den Regierungen Mitteleuropas mittlerweile gang und gäbe ist. Betrachtet man die längerfristige Entwicklung der letzten drei Jahre ist besonders der Fall Polens dramatisch. So wurde der Journalist Tomasz Piatek, der über die durchaus merkwürdigen Russlandverbindungen des polnischen Verteidigungsministers recherchierte, mit einer Gefängnisstrafe bedroht – letztendlich wurde er jedoch von einem Gericht freigesprochen. Die Einschüchterung bleibt aber. Die bedenkliche Entwicklung in Polen wird in dem folgendem Diagramm deutlich, welches die Entwicklung des Pressefreiheitsindexes der vier Visegrád-Staaten und der Bundesrepublik Deutschland während der vergangenen fünf Jahre zeigt. Besonders bedrückend ist, dass manche Visegrád-Länder vor einigen Jahren noch bessere Werte in bei der Pressefreiheit aufwiesen als Deutschland.

Angeschlagener Spitzenreiter

Pressefreiheit in Mitteleuropa 2013-2018

© Stiftung für die Freiheit

Fokus Malta

Aber nicht nur in Mitteleuropa ist die Pressefreiheit gefährdet. Der Mord an der 53-jährigen Journalistin Daphne Caruana Galizia im Dezember letzten Jahres durch eine ferngezündete Bombe rückte eines der kleinsten EU-Länder in den Fokus der Bedenken: Malta. Die Journalistin war größeren Korruptionsskandalen der Regierung auf der Spur. Dass dies der Hintergrund ihrer Ermordung war, bezweifeln nur wenige. Der Mord war allerdings nur das brutalste Symptom einer insgesamt traurigen Entwicklung, die schon länger anhält. Malta ist schon seit einiger Zeit kein Paradies der Pressefreiheit, wie die Statistik zeigt. Nach einer kurzen Verbesserung 2013 kam es in den letzten Jahren zu neuen Tiefständen – und das in einem Land, das schon vorher deutlich unter dem europäischen Durchschnitt lag, wie der Punktevergleich mit Deutschland zeigt.

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Pressefreiheit in Malta 2013-2018

© FNF

Die Charta der Grundrechte der Europäischen Union hat die Meinungsfreiheit zu einem ihrer Grundpfeiler gemacht. Der gegenwärtige Niedergang der Pressefreiheit in der EU erfüllt mit Sorge und betrifft geradezu das Fundament der europäischen Politik. Will die Europäische Union weiterhin ein Wertemodell für die Welt sein, sollte sie sich diesem Niedergang entschieden entgegenstellen.

Dr. Detmar Doering  ist Projektleiter für Mitteleuropa und die Baltischen Staaten der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit.

Toni Skorić ist Project Manager für Mitteleuropa und die baltischen Länder im Stiftungsbüro in Prag.