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Türkisch-Europäische Beziehungen
Auf einmal doch wieder „Freunde“?

Ankara auf Schmusekurs mit Europa
Ankara

Versöhnliche Signale aus Ankara - ernst gemeint oder aus (wirtschaftlicher) Not geboren?

© GettyImages/komyvgory

Angesichts der Währungskrise und des bilateralen Streits mit Washington geht die türkische Regierung wieder verstärkt auf Brüssel zu. Vergessen sind die Anfeindungen Ankaras und die Nazi-Rhetorik Erdoğans in der jüngeren Vergangenheit. Diplomatische Beziehungen – so mit den Niederlanden – werden in vollem Umfang wiederhergestellt. Es herrscht Tauwetter.  Doch die europäische Reaktion bleibt abwartend bis skeptisch.

Finanzminister Albayrak telefonierte Mitte August mit seinem deutschen Amtskollegen Olaf Scholz. Der Vizekanzler habe bei dem Telefonat betont, dass eine starke türkische Wirtschaft wichtig für Deutschland und Europa sei. Albayrak habe Scholz für die Unterstützung Berlins gedankt, so türkische Medien. Er bezog sich dabei u. a. auf Bemerkungen der Kanzlerin, die sich besorgt über die Lage in der Türkei geäußert hatte. Der türkische Finanzminister hatte schon zuvor erklärt, dass eine Vertiefung der Beziehungen zu Europa und eine langfristige Zusammenarbeit die beste Antwort auf die Bedrohung durch die USA seien. Am 21. September wollen Albayrak und Scholz in Berlin zusammentreffen. Vermutlich geht es um die Vorbereitung des Deutschland-Besuchs von Erdoğan Ende September. Auch der Präsident persönlich versuchte bei europäischen Staats- und Regierungschefs gut Wetter zu machen: Erdoğan telefonierte mit seinem französischen Amtskollegen Macron, dem deutschen Bundespräsidenten Steinmeier und der britischen Premierministerin Theresa May. Der Franzose habe Erdoğan versichert, dass für Frankreich eine stabile und florierende Türkei wichtig sei. Er werde Erdoğan in dieser Hinsicht unterstützen. 

Ein markantes Zeichen für den Wiederannäherungskurs ist, dass erstmals nach drei Jahren Pause in Ankara wieder die interministerielle, sogenannte „Reform-Arbeitsgruppe“ getagt hat. Daran nahmen neben dem Außenminister Mevlüt Çavuşoğlu auch Justizminister Abdulhamit Gül, Finanzminister Berat Albayrak und Innenminister Süleyman Soylu teil. Die Arbeitsgruppe soll die Annäherung an die EU vorantreiben und Reformen vorschlagen.

Man habe sich darauf geeinigt, Maßnahmen zu priorisieren, zu beschleunigen und enger mit der EU zusammenzuarbeiten, sagte der Außenminister öffentlichkeitswirksam nach dem vierten Treffen dieses Formats. Man bleibe aber realistisch und gehe nicht davon aus, dass unter Österreichs EU-Vorsitz ein neues Verhandlungskapitel für den EU-Beitritt eröffnet werde. Aber es gebe Punkte, wo Erfolge möglich seien – darunter Visafreiheit und Zollunion, so Çavuşoğlu. Die EU hatte die Gespräche über den Ausbau der Zollunion gestoppt, nachdem die Türkei immer härter gegen Journalisten und vermeintliche Unterstützer des Putschversuchs vom Sommer 2016 vorgegangen war. Die Türkei habe mit der Schaffung neuer elektronisch lesbarer Pässe die erste von sieben noch ausstehenden EU-Bedingungen für die Visafreiheit erfüllt, so der Chefdiplomat weiter. Nun werde mit Nachdruck an der Erfüllung der anderen sechs Kriterien gearbeitet: „Wir hoffen, dass der Prozess der Visaliberalisierung nicht durch politische Hindernisse behindert und die Türkei für ihre Bemühungen belohnt wird“, heißt es in der offiziellen Abschlusserklärung der Arbeitsgruppe. Die Türkei habe alle ihre Verpflichtungen aus dem Migrationsabkommen mit der EU eingehalten und erwarte nun von der EU das gleiche. „In diesem Rahmen wird von der EU erwartet, dass sie insbesondere die Beitrittsverhandlungen wiederbelebt und den Dialog über die Visaliberalisierung abschließt, den Verhandlungsprozess zum Ausbau der Zollunion einleitet, das Programm der freiwilligen humanitären Aufnahme (von Flüchtlingen) in die Praxis umsetzt und die Realisierung der Hilfsmaßnahmen für Flüchtlinge in der Türkei weiter beschleunigen."

Çavusoğlu forderte nach dem Treffen der Reform-Arbeitsgruppe mehr Unterstützung im Kampf gegen den Terrorismus: „Wir wollen, dass die EU uns im Kampf gegen den Terror mehr unterstützt.“ Çavusoğlu versprach, dass sich die Türkei auf Justiz, Grundrechte und Gerechtigkeit sowie Freiheiten und Sicherheit konzentrieren werde. Justizminister Gül sagte, die Regierung werde Menschenrechte und Freiheiten ausbauen. Die Türkei fühle sich der Einhaltung der global gültigen Menschenrechtsstandards verpflichtet, unabhängig davon, ob das Land EU-Mitglied werde oder nicht. Die Standards des Europarats sollen als Anker für die geplanten Rechtsstaatsreformen dienen.

Am Rande des informellen EU-Außenministertreffens, das wenige Tage zuvor in Wien stattgefunden hatte, sagte der türkische Außenminister, die Beziehungen zwischen Ankara und Brüssel hätten sich zuletzt wieder verbessert. Die Atmosphäre sei derzeit „viel besser“ und habe sich bereits über die letzten Monate verbessert, zeigte sich Çavuşoğlu vor Journalisten erfreut: „Wir haben keine Probleme mit der EU.“ Nur nach dem Putschversuch 2016 habe es einige Unstimmigkeiten gegeben – „die EU konnte einige unserer Maßnahmen nicht nachvollziehen“, so der türkische Chefdiplomat. Ankara habe jedenfalls Interesse an „ausgeglichenen“ diplomatischen Beziehungen mit allen Ländern. Am zweiten Tag des informellen Ministerrats sind traditionell auch die Außenminister der EU-Beitrittskandidaten eingeladen. EU-Nachbarschaftskommissar Johannes Hahn bekräftigte jedoch die Position der EU gegenüber Ankara. Es gebe „keine neue Sichtweise“ der EU, so der Österreicher. Die Beitrittsgespräche „liegen auf Eis; in absehbarer Zeit werden keine neuen Verhandlungskapitel geöffnet‘‘. Auf die Frage, ob die EU Ankara angesichts der aktuellen schlechten wirtschaftlichen Lage unter die Arme greifen sollte, antwortete Hahn: Es liege im Interesse Europas, dass „wir einen Nachbarn haben, der auch in wirtschaftlicher und politischer Hinsicht stabil ist – das heißt jetzt nicht, dass wir uns überlegen, welche Maßnahmen hier aus europäischer Sicht dazu beitragen könnten“. Ein „Signal“ liege mit dem Vorschlag der EU-Kommission zur Modernisierung der Zollunion bereits auf dem Tisch, betonte Hahn. Allerdings gebe es diesbezüglich noch gewisse Vorbehalte unter den EU-Mitgliedern. Ankara müsse „endlich strukturelle Reformen, vor allem im Bereich der Rechtsstaatlichkeit“ durchführen.

Der französische Präsident Emmanuel Macron erteilte weiteren Verhandlungen mit der Türkei über einen EU-Beitritt eine eindeutige Absage. Er erklärte vor Diplomaten in Paris, der türkische Staatspräsident Erdoğan verfolge ein „pan-islamisches Projekt“, das regelmäßig als „anti-europäisch“ dargestellt werde. Macron plädierte für eine „strategische Partnerschaft“ mit der Türkei und Russland, um die Länder an Europa zu „koppeln“. Damit nannte er den NATO-Partner und langjährigen EU-Beitrittskandidaten Türkei in einem Atemzug mit Putins Russland. Ankara bekundete umgehend sein „tiefes Bedauern“ über die Absage des Franzosen. Die Türkei habe nach dem Putschversuch von 2016 eine schwere Zeit durchgemacht, sei aber zur Normalität zurückgekehrt und mache Fortschritte, was die von der EU geforderten Reformen betreffe, so Außenamtssprecher Hami Aksoy. Macrons Aussagen zeigten wieder einmal, dass er die „Realität der Türkei“ nicht verstanden habe. Aksoy unterstrich, sein Land sei in politischer, geografischer und historischer Hinsicht nicht aus Europa wegzudenken. Angesichts der Tatsache, dass die Türkei zur Sicherheit Europas beitrage, entspreche Macrons Aussage, die Türkei sei „anti-europäisch“, nicht der Wahrheit. Mit der Einführung des Präsidialsystems sei die demokratische und laizistische Türkei noch stärker geworden und nun entschlossen, „den Weg in Richtung EU-Vollmitgliedschaft zu beschreiten“.

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