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Hass im Netz
"Das ist für die Demokratie gefährlich"

Sabine Leutheusser-Schnarrenberger über gesellschaftliche Folgen der Hass-Kultur im Netz
Hass und Hetze im Netz
© picture alliance/dpa | Fabian Sommer

Früher gab es den Stammtisch zum Dampf ablassen. Heute lassen viele Ihre Wut im Internet freien Lauf. Ein Gespräch mit Sabine Leutheusser-Schnarrenberger und dem Münchner Merkur.

Wurden Sie selbst auch schon übelst beleidigt?

Gerade in meiner ersten Zeit als Justizministerin habe ich gehässige und beleidigende Post bekommen - damals waren es noch Briefe. Aber diese Form von Hetze und Niedertracht, mit denen Kommunal-, Landes- und Bundespolitiker, Journalisten oder andere Personen der Öffentlichkeit heute konfrontiert sind, habe ich nicht erlebt. In einer Umfrage gaben 70 Prozent der Kommunalpolitiker an, schon einmal bedroht worden zu sein. Auch Feuerwehr und Rettungssanitäter sind zunehmend Anfeindungen und Angriffen ausgesetzt. Das ist doch inakzeptabel und völlig unverständlich.

Hat die Corona-Pandemie dazu beigetragen, dass mehr Menschen ihrer Wut freien Lauf lassen?

Radikalisierung und Zuspitzung hat es auch vorher schon gegeben. Der Regierungspräsident von Kassel, Wolfgang Lübke, ist 2019 in seinem Garten erschossen worden. Henriette Renker, die Kölner Oberbürgermeisterin, wurde 2015 an einem Infostand niedergestochen. Aber die Hemmschwelle für Hass und Hetze scheint noch mal niedriger geworden zu sein.

In ihrem Buch „Unsere gefährdete Demokratie“ kommen Betroffene zu Wort, manche sagen, sie wissen genau, bei welchen Themen der Shitstorm vorprogrammiert ist.

Es besteht die Gefahr der Schere im Kopf: Ich sage lieber nichts, dann habe ich meine Ruhe. Oder: Menschen kandidieren nicht mehr für ein öffentliches Amt, weil sie Hass und Hetze fürchten. Das ist für die Demokratie gefährlich. Sie lebt von Widerstreit der Meinungen, nur im Diskurs entstehen bei widerstreitenden Interessen akzeptable Lösungen. Wohlgemerkt: Wir reden hier von Inhalten. Beleidigungen und Hass sind keine Meinung.

Ist das die Grenze, die jeder ziehen sollte?

Als Politikerin muss man schon ein bisschen was aushalten können. Wer pointiert eine Meinung vertritt, muss mit Kritik rechnen, die vielleicht nicht immer höflich daherkommt. Aber man muss sich nicht alles gefallen lassen. Wenn die Grenze zur strafrechtlichen Beleidigung überschritten ist, empfehle ich dringend, Anzeige zu erstatten. Es gibt Initiativen und Anlaufstellen für Betroffene, die beraten und helfen, sich an die Polizei zu wenden.

Mutige konfrontieren die Schreiber selbst!

Renate Künast oder Dunja Hayali haben das sehr mutig und engagiert gemacht. Das schreibt jemand: „Du Fotze, du gehörst mal durchgefickt.“ Das muss man ja erstmal tippen! Auf einmal klingelt die so Angegriffene an der Tür. Die Täter werden ins reale Leben katapultiert, und erschrecken meistens sehr. Das kann eine Lernerfahrung sein. Doch die Verbohrten, die Staat und System ablehnen, erreicht man so nicht.

Handelt es sich bei den Hass & Hetze-Protesten wirklich um eine gut vernetzte und laute Minderheit oder ist es doch die Mehrheit?

Bezogen auf strafrechtlich relevante Äußerungen ist es es kleine Minderheit. Für jeden Betroffenen bricht natürlich eine Welt zusammen, er sieht sich ganz persönlich und in seiner Arbeit für die Gesellschaft angegriffen. Ich möchte dazu aufrufen, dass die Opfer einer Hass-Lawine diese Mehrheit auch spüren.

Was kann jeder einzelne tun?

Betroffenen den Rücken stärken, das geht ganz einfach mit einer kurzen Nachricht: „Machen Sie weiter so, ich teile Ihre Meinung.“ Das ist eine unglaubliche Ermutigung. Es gibt viele gesellschaftliche Initiativen, die über Unterstützung froh sind, man kann zum Beispiel als Faktenchecker tätig werden, um der Desinformation entgegenzutreten.

 

 

Das Interview erschien am 3. Februar erstmalig im Münchner Merkur.