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Elly Heuss-Knapp
Eigene Wege liberaler Frauen- und Sozialpolitik

Elly Heuss-Knapp.

Elly Heuss-Knapp.

© ADL, Bestand Hugo Schradin, N13-4

Im kollektiven Gedächtnis der Bundesrepublik wird Elly Heuss-Knapp vor allem in ihrer Rolle als First Lady erinnert. Dabei war sie weit mehr als nur die Frau des ersten Bundespräsidenten Theodor Heuss. Sie war eine starke Frau und setzte sich Zeit ihres Lebens für Bildung und soziale Sicherheit von Frauen und ihren Familien ein. Heute ist Anlass, daran wieder zu erinnern, denn ihr Engagement gipfelte in der Gründung des Müttergenesungswerks vor 75 Jahren, das sie Ende Januar 1950 werbe- und öffentlichkeitsbewusst im Rundfunk bekanntgab – „die Krönung meines Lebens“.  

Das von ihrem Ehemann ab 1949 wahrgenommene Amt des Bundespräsidenten hatte sie gleichsam als Doppelaufgabe für beide angesehen. Er sollte die Rolle des Staatsoberhauptes bürgerlich-zivil ausfüllen; sie stand vor der Aufgabe, der in Deutschland völlig ungewohnten Position einer republikanischen First Lady Profil zu verschaffen, was ihr in kurzer Zeit – sie starb drei Jahre nach „Amtsantritt“ – eindrucksvoll gelang.

Elly Heuss-Knapp interpretierte diese Rolle durchaus politisch. Zwar lagen ihr auch die Repräsentationspflichten, an die sie seit ihrer Kindheit gewöhnt war. Aber sie wollte der Funktion auch eine eigene öffentliche Bedeutung verleihen. Ihre Sorge richtete sich in den Nachkriegsjahren auf die Frauen, die während des Krieges neben der Arbeit in den Familien auch die Hauptlast für die Aufrechterhaltung des täglichen Lebens und die Versorgung der Kinder trugen. Mit dem in Zusammenarbeit mit Antonie Nopitsch aus der Taufe gehobenen Müttergenesungswerk knüpfte Elly Heuss-Knapp erfolgreich an ihre langjährigen sozialpolitischen Erfahrungen an. Das Sozialwerk verband sehr verschiedene caritative Einrichtungen miteinander. Deren Heterogenität und weltanschauliche Gegensätzlichkeit zu überwinden und auf eine finanziell solide Basis zu stellen, war ihr großes Verdienst: „Wir haben das Deutsche Müttergenesungswerk gegründet, evangelisch, katholisch, sozialistisch, Rotes Kreuz – alle, die Mütterheime haben –, vereinigt bei mir in Godesberg. Es läuft gut an“, freute sich Elly Heuss-Knapp wenige Wochen nach Beginn.

Im Zentrum standen ganzheitliche Vorsorge- und Rehabilitationsmaßnahmen für Frauen mit Kindern, die sich nicht nur auf die Gesundheitsförderung bezogen, sondern auch Beratung und Nachsorge umfassten. Zugleich zielte die Stiftung darauf, die politischen und gesellschaftlichen Rahmenbedingungen in den Blick zu nehmen und die Lage für Frauen mit Kindern zu verbessern. Von der Zustiftung „Sorgearbeit“ werden seit 2013 auch Maßnahmen für Väter und pflegende Angehörige angeboten.

Die Gründung dieser Einrichtung stand am Ende einer langen frauen- und sozialpolitischen Aktivität von Elly Heuss-Knapp. Schon früh hatte sie sich – geboren 1881 als Tochter eines Staatswissenschaftlers – den zwei ihr Leben beherrschenden Themen zugewandt: der sozialen Frage und der Frauenemanzipation. Sie arbeitete zunächst, charakteristisch für „höhere Töchter“ Ende des 19. Jahrhunderts, als Lehrerin, gründete aber bereits 1900 eine „Fortschrittsschule“ für Mädchen, um nach 1905 Volkswirtschaftslehre zu studieren und politische Vorträge zu halten. Bildung erkannte sie als entscheidende Voraussetzung für die Linderung von Armut und Überwindung der „sozialen Frage“. Neben der Arbeit in sozialen Projekten und einer Mitarbeit in Friedrich Naumanns Zeitschrift „Die Hilfe“ befasste sie sich in vielfältiger Weise mit Fragen der sozialen Lage und Gleichberechtigung der Frauen, wobei ihr praktische Fortschritte wichtiger waren als prinzipielle Forderungen: Ihr Engagement zielte auf junge Frauen aus unterbürgerlichen Schichten, deren Ausbildung und Erwerbschancen gefördert werden mussten, denn, so schrieb sie 1909, die „Möglichkeit fachgemäßer Ausbildung kann viele Mädchen vor dem Eintritt in ungelernte Berufe bewahren“.

In jenen Jahren schloss sie sich dem Kreis um Friedrich Naumann an, in dessen Haus sie auch Theodor Heuss kennenlernte; 1908 wurden sie von Albert Schweitzer, ebenfalls ein „Naumannianer“, getraut. Während des Ersten Weltkrieges gründet Elly Heuss-Knapp eine Arbeitsbeschaffungsstelle für Frauen, deren Männer im Krieg waren, engagierte sich zudem im sozialen Bereich. Während ihr Mann als Journalist arbeitete, widmete sie sich der Frauenbildung, in der sie den Schlüssel für Fortschritte in der Emanzipation sah. Sie kehrte zur Lehrtätigkeit zurück, unterrichtete Bürgerkunde und Sozialpädagogik. Frauenpolitik, so ihre Überzeugung, sei in erster Linie aktive Sozialpolitik und bestehe in konkreter Bildungsförderung und Befähigung zur Selbsthilfe. Damit schlug sie einen eigenen, praktischen Weg zur Gleichberechtigung und Frauenemanzipation ein. Dabei übersah sie aber die Bedeutung politischer Gleichheits- und Grundrechte keineswegs: Unermüdlich kämpfte sie 1919 darum, die erstmals wählenden Frauen politisch zu mobilisieren und kandidierte auch selbst: „Frauen werbt und wählt. Jede Stimme zählt! Jede Stimme wiegt, Frauenwille siegt.“ Den angestrebten Einzug als Abgeordnete in die Nationalversammlung verpasste sie 1919 allerdings, wenn auch nur knapp.

Als ihr Mann 1933 aus seinen Funktionen und Ämtern gedrängt wurde, wechselten die familiären Rollen: Nun sicherte Elly als kreative Werbefachfrau und Pionierin auf dem neuen Feld der Rundfunk- und Kinowerbung das Familieneinkommen. Nach Kriegsende, das die Familie in Süddeutschland erlebte, schlossen sich beide den baden-württembergischen Liberalen an und saßen ab 1946 gemeinsam für die FDP/DVP im Stuttgarter Landtag. Dort setzte sich Elly Heuss-Knapp im sozialpolitischen Ausschuss insbesondere für günstigere Schulbedingungen und die Versorgung der Schulkinder ein. Leben und Wirken von Elly Heuss-Knapp stehen für einen eigenen, liberal und protestantisch grundierten Weg zur Frauenemanzipation. Sie war Vorreiterin, Politikerin, Frauenrechtlerin und ein Werbegenie – ein besonderes „Muster für andere“ (Friedrich Naumann).

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Florian von Hennet
Florian von Hennet
Leiter Kommunikation, Pressesprecher
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