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Geschichte
„Einer muss ja doch mal schließlich damit anfangen“

Gedenken an die Widerstandsbewegung Weiße Rose
v.l.n.r.: Prof. Dr. Miriam Gebhardt, Historikerin, Moderatorin Barbara Streidl, Sofie-Scholl-Darstellerin Lara Sienczak und Petra Wüllenweber, Autorin und Regisseurin des Theaterstücks die Weiße Rose

v.l.n.r.: Prof. Dr. Miriam Gebhardt, Historikerin, Moderatorin Barbara Streidl, Sofie-Scholl-Darstellerin Lara Sienczak und Petra Wüllenweber, Autorin und Regisseurin des Theaterstücks die Weiße Rose

© Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit

„Zerreißt den Mantel der Gleichgültigkeit...“

Mit diesen Worten in Flugblättern haben die Mitglieder der Weißen Rose zum zivilen Widerstand gegen das Naziregime aufgerufen - und das vor feast 75 Jahren. Ein guter Grund diesen jungen mutigen Menschen zu gedenken und sich mit ihren Ideen und Meinungen zu beschäftigen. Organisiert von der Friedrich-Naumann.Stiftung für die Freiheit versammelten sich im Künstlerhaus am Lenbachplatz zahlreiche Gäste, um sich nicht nur mit der Geschichte der Widerstandsgruppe zu beschäftigen, sondern vor allem auch Lehren für die heutige Zeit zu ziehen.  

So betonte Prof. Dr. Karl-Heinz Paqué, stellvertretender Vorstandsvorsitzender der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit, auch gleich zu Beginn, dass die Veranstaltung von üblichen Gedenkformaten abweichen soll: „Die kollektive Erinnerung wollen wir nicht nur als ein geschichtliches Seminar auffassen, sondern sie angesichts der Tagesaktualitäten auch real vorleben."

Ähnlich stellte Dr. Hildegard Kronawitter, erste Vorsitzende der Weiße Rose Stiftung e.V., nicht nur die Entstehungsgeschichte ihrer Stiftung dar, sondern auch den selbstgestellten Auftrag. Als Stiftung wollen sie nicht nur den zivilen Widerstand damals würdigen, sondern auch daran arbeiten, die Zivilcourage in der heutigen Zeit zu stärken. „Dies erfolgt oft mit Hilfe von mehrsprachigen Wanderausstellungen, universitären Veranstaltungen und weiteren multimedialen Formaten“, berichtete sie.

Gebannt lauscht das Publikum dem Vortrag

Gebannt lauscht das Publikum dem Vortrag

© Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit

Ähnlich abwechslungsreich war auch die Gedenkveranstaltung der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit. Mit der Rezitation aus dem Tagebuch von Sophie Scholl, Gesangseinlagen und dem szenischen Lesen von Auszügen aus dem Theaterstück „Die Weiße Rose“ wurden die Zuhörer auf den Impulsvortrag und die Podiumsdiskussion eingestimmt.

Die Historikerin Prof. Dr. Miriam Gebhardt, berichtete im Impulsvortrag vor allem über die Sozialisation der jungen Mitglieder der Weißen Rose, die sie auch im Buch „Die Weiße Rose. Wie aus ganz normalen Deutschen Widerstandskämpfer wurden“ veröffentlicht hat. Sie zeigt darin die Umstände, die die Widerstandskämpfer der Weißen Rose und deren Charaktere geprägt haben. „Die Frömmigkeit und der bildungsbürgerliche Charakter der Mitglieder der Weißen Rose gelten offiziell immer noch als die wichtigsten Antreiber des zivilen Widerstands, aber sie erklären noch lange nicht, wie sich diese jungen Personen im Laufe der Zeit zu standhaften Kämpfern mit festen freiheitlichen Überzeugungen entwickelt haben." Erforscht man genauer die familiären Hintergründe einzelner Mitglieder, merkt man laut Gebhardt, wie hart sich die jungen Mitglieder der Weißen Rose schon früh Autonomie in ihren Familien erkämpfen mussten. „Der Werdegang der Widerstandskämpfer wurde vor allem von der gelungenen Adoleszenzphase und der Fähigkeit, eine eigene Entscheidung zu finden, geprägt. Auch der Verlust der väterlichen Identifikationsfigur, die die Mitglieder auf diverse Art und Weise erlebt haben, hat zur Stärkung innerer Autonomie beigetragen“, erklärte sie. 

Normalerweise gibt man der künstlerischen Freiheit den Vorrang.

Petra Wüllenweber, Autorin und Regisseurin des Theaterstücks "Die Weiße Rose"
Petra Wüllenweber

Hauptteil der Veranstaltung war die Podiumsdiskussion mit Miriam Gebhardt, Petra Wüllenweber, Autorin und Regisseurin des Theaterstücks die Weiße Rose und der Sofie-Scholl-Darstellerin Lara Sienczak. Moderiert wurde der Austausch von Journalistin Barbara Streidl.

Wie sich Sienczak am Anfang des Gesprächs erinnerte, befasste sie sich mit dem Thema der zivilen Widerstandsbewegung aktiver erst dann, als sie im Theater der Jugend Wien die Rolle der Sophie Scholl in „Die Weiße Rose“ übernommen hat: „Die Vorgespräche zum Theaterstück haben mein Interesse an der historischen Thematik Schritt für Schritt erweckt.“ Besonders die bürgerliche Standhaftigkeit der Protagonisten hat Sienczak einen starken Eindruck hinterlassen.

Petra Wüllenweber, Regisseurin und Autorin des in diesem Jahr in Wien uraufgeführten Theaterstücks, betonte vor allem den Aufwand, den sie beim Einlesen in die historischen Recherche-Materialien investiert hat. „Normalerweise gibt man der künstlerischen Freiheit den Vorrang. Die Verantwortung gegenüber diesem sensiblen geschichtlichen Thema hat mich aber ausnahmsweise dazu bewogen, sämtliche Teile des Werks anhand der bisher bekannten Tatsachen zu prüfen, um einen Fauxpas zu vermeiden.“

Die Widerstandskämpfer der Weißen Rose sind keine unnormalen Deutschen gewesen.

Prof. Dr. Miriam Gebhardt, Historikerin
Prof. Dr. Miriam Gebhardt

Dass dieses geschichtliche Thema die Bürger immer noch berührt, erkannte Wüllenweber auch bei den Aufführungen in Wien: „Auch wenn die meisten Zuschauer den tragischen Ablauf bereits wussten, haben sie in der letzten Phase der Aufführung ganz still und aufmerksam zugeschaut. In solchen Momenten weiß ich, dass mein Auftrag aufgegangen ist.“

Auch das Buch von Prof. Dr. Miriam Gebhardt wurde in der Diskussion thematisiert. Vor allem der Begriff „normale Deutsche“ und die Frage, wer zu denen gehört, beschäftigten die Diskutanten. Wie Gebhardt betonte, sei sie froh, in ihrer Forschungsarbeit bestätigt zu haben, dass die Widerstandskämpfer der Weißen Rose keine „unnormalen Deutschen“ gewesen sind: „Oft kursierten die Behauptungen über drogenabhängige, dem religiösen Fanatismus ausgesetzte oder gar todessüchtige Pubertierende, was ihre Leistungen im zivilen Widerstandskampf oft in Frage stellte. Die Recherchen haben aber ein eindeutiges Bild von aufgeklärten, mit enormen Bildungsressourcen ausgerüsteten jungen Leuten gezeigt, die sich einwandfrei mit philosophischen und gesellschaftlichen Texten auseinandersetzen konnten.“

Dieser Satz sollte für unsere freiheitliche Gesellschaft zu einer Handlungsmaxime werden.

Sabine Leutheusser-Schnarrenberger
Sabine Leutheusser-Schnarrenberger

Am Ende wurde auch die Erinnerungskultur in der heutigen Zeit angesprochen. Wüllenweber wies darauf hin, dass der textlastige Inhalt der Original-Flugblätter der Weißen Rose die Aufmerksamkeit der heutigen, multimedial geprägten Generationen kaum erwecken würden: Daher müsse man die Leute von heute so ansprechen, wie sie es gewohnt sind. Deshalb nutzte sie Elemente, die alle Sinne der Zuschauer beanspruchten. Die Regisseurin hofft darauf, das Theaterstück in den kommenden Spielzeiten auch in anderen Städten aufführen zu können, um auch andere Gruppen zu erreichen und Diskussionen über die Weiße Rose anzuschieben.

Als Schlussrednerin trat Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, ehemalige Bundesjustizministerin und Vorstand der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit, auf.  In einer leidenschaftlichen Rede unterstrich sie die wichtige Erinnerung an die Widerstandsbewegung und besonders einen Satz aus den Verhörprotokollen von Sophie Scholl: „'Einer muss ja doch mal schließlich damit anfangen.' Dieser Satz sollte für unsere freiheitliche Gesellschaft zu einer Handlungsmaxime werden.“ Das gelte vor allem in Situationen, in denen Grundfreiheiten von der Mehrheit der Bevölkerung zunehmend als nicht besonders wichtig angesehen werden. Leutheusser-Schnarrenberger mahnte, die demokratische Erinnerung der Weißen Rose vor den Missbrauchsversuchen durch Rechtspopulisten zu schützen und die Bevölkerung über die Bedeutung der damaligen Widerstandsbewegung richtig aufzuklären. So würde unsere Fähigkeit, die innere Autonomie bezüglich der freiheitlichen Werte zu wahren, gestärkt werden – „ganz im Sinne der Weißen Rose“.