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Brexit
"EU-only-Abkommen": Die einzige Möglichkeit

Ein sogenanntes "EU-only-Abkommen" ist die einzige Möglichkeit, das drohende Damoklesschwert eines ungeordneten Brexits Ende des Jahres endgültig abzuwehren
Brexit
© picture alliance/ZUMA Press

Das Vereinigte Königreich verlässt heute um 24:00 Uhr mitteleuropäischer Zeit die Europäische Union. Was nach dem denkbar knappen Referendum von 2016 noch wie ein albtraumhaftes Szenario schien, wird nun bittere Realität. Die EU verliert mit Großbritanniens ein wichtiges und geschätztes Mitglied. Die Bürgerinnen und Bürger beider Seiten verlieren viel mehr als die Freiheiten eines gemeinsamen Marktes, sie verlieren ein Stück gemeinsamer Lebenswirklichkeit. Und Großbritannien verabschiedet sich in ein ökonomisch völlig undurchdachtes Experiment des Austritts aus einem funktionierenden gemeinsamen Markt. Als Freie Demokraten respektieren wir dieses Ergebnis, auch wenn wir es sehr bedauern.

Wer jetzt jedoch erwartet, dass nach dem 31. Januar wieder alles zur Normalität zurückkehren wird und die Thematik des Brexit nun abgeschlossen sei, der wird enttäuscht. Die Gefahr eines ungeordneten Brexits ist nur auf den ersten Blick gebannt. Da die bisher verhandelte Übergangsphase nur bis Ende dieses Jahres dauert, werden gerade die Verhandlungen um ein zukünftiges Freihandelsabkommen und damit um die zukünftigen wirtschaftlichen Beziehungen zwischen der EU und dem Königreich unter sehr großem Zeitdruck stehen. Das gilt erst recht, seitdem Premier Boris Johnson sich selbst Handschellen angelegt hat und per Gesetz verboten hat, bei der EU eine Verlängerung der Übergangsphase zu beantragen.

Darum hat sich die oberste Priorität für die Bundesregierung nicht verändert. Sie muss alles unternehmen, um die Kollateralschäden des Brexits für Bürger und Wirtschaft möglichst gering zu halten. Wir fordern von der Bundesregierung, dass sie sich im Europäischen Rat energisch dafür einsetzt, das zu verhandelnde Freihandelsabkommen so zu konzipieren, dass nur die Ratifizierung auf der europäischen Ebene notwendig ist. Eine umfassende Ratifizierung durch alle Mitgliedstaaten würde Monate dauern und könnte - wie im Fall des Freihandelsabkommens mit Kanada - durch innerstaatliche, vom Brexit völlig unabhängige, Konflikte blockiert werden. Ein sogenanntes "EU-only-Abkommen" ist die einzige Möglichkeit, das drohende Damoklesschwert eines ungeordneten Brexits Ende des Jahres endgültig abzuwehren.

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Nach den letzten zwei Verhandlungsjahren mit dem Vereinigten Königreich ist klar: die jetzt startenden Verhandlungen über ein Freihandelsabkommen werden kein Selbstläufer. Von dieser Herausforderung dürfen sich die EU-Partner nicht beirren lassen. Sie dürfen sich nicht auseinanderdividieren lassen, ihre Geschlossenheit, die in den bisherigen Brexit-Verhandlungen so gut gehalten hat, nicht aufs Spiel setzen. Dafür ist es wichtig, dass ein ambitionierter Erwartungsrahmen gesteckt wird, der jedoch Raum lässt für Kompromisse. Die Bundesregierung muss sich hierbei dafür einsetzen, dass sich nicht bloß die großen Länder der EU mit ihren Forderungen durchsetzen, sondern, dass sich jedes einzelne Mitgliedsland am Ende des Jahres in dem Freihandelsabkommen wiederfinden kann.
 
Das nun zu verhandelnde "EU-only-Freihandelsabkommen" ist jedoch nur ein Teilaspekt der Neuordnung der Beziehungen zwischen der EU und Großbritannien. Die Bandbreite der zukünftigen Beziehungen ist groß: Insbesondere auf eine möglichst enge Kooperation in der inneren und äußeren Sicherheit können und dürfen wir nicht verzichten. Die Neuverhandlung aller Bereiche der britisch-europäischen Beziehungen wird kompliziert und voraussichtlich Jahre dauern, insbesondere wenn es über das Format EU-only hinausgeht und Kompetenzen der EU-Mitgliedstaaten betroffen sind. 

Umso wichtiger ist es, dass wir gleichzeitig alles tun, damit sich Briten und Deutsche nicht entfremden. Unsere Bande in anderen Bereichen wie in der NATO, den Vereinten Nationen, im Europarat aber auch durch die vielen deutsch-britischen Städtepartnerschaften sollten jetzt umso intensiver gepflegt werden. Dabei müssen wir uns ganz besonders auf den Austausch unter jungen Menschen konzentrieren, die beim Referendum von 2016 in der überwältigenden Mehrheit für den Verbleib in der Europäischen Union gestimmt haben und jetzt, wie etwa durch den möglichen Wegfall von Erasmus+, in ihrer freien Entfaltung beeinträchtigt werden. Wäre nicht jetzt der richtige Moment, ein deutsch-britisches Jugendwerk zu gründen?