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EuGH-Urteil
Fluggastdaten: Keine grenzenlose Freiheit über den Wolken

Fluggastdaten

Die Richterinnen und Richter des obersten EU-Gerichts haben die Speicherung von Fluggastdaten nicht grundsätzlich gestoppt

© picture alliance / empics | Niall Carson

Sommerzeit ist Reisezeit. Auch Flugreisen sind im ersten Jahr der Corona-Pandemie, in dem Reisen wieder mit weniger Einschränkungen möglich sind, sehr beliebt. Das kürzlich ergangene Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) zur Fluggastdaten-Richtlinie kam passend zum Beginn der Reisezeit und wird das Reisen in Europa künftig deutlich freier machen. Die Bundesregierung sollte die Chance nutzen, um die deutsche Rechtslage nun grundrechtsorientiert zu reformieren.

Der EuGH entschied am 21. Juni 2022 in einem belgischen Fall, der die Richtlinie über die Verwendung von Fluggastdatensätzen (PNR-Daten) zur Verhütung, Aufdeckung, Ermittlung und Verfolgung von terroristischen Straftaten und schwerer Kriminalität aus dem Jahr 2016 betrifft. Die PNR-Richtlinie verpflichtet Airlines umfassende Daten zu ihren Passagieren, die in die EU ein- und ausreisen zu erheben und automatisiert an die jeweils zuständigen nationalen Behörden auszuleiten. Dort werden sie einer Vorabprüfung unterzogen, um zu entscheiden, ob verschärfte Kontrollmaßnahmen bei bestimmten Passagieren oder auf bestimmten Flügen notwendig sind. In Deutschland ist diese Behörde das Bundeskriminalamt und die dort angesiedelte Fluggastdatenzentralstelle.

Die PNR-Richtlinie steht schon sehr lange dafür in der Kritik, dass sie eine proaktive, anlasslose Vorratsdatenspeicherung von Fluggastdaten auslöst. Sie wird immer wieder als konkretes Beispiel für eine überschießende Sicherheitsgesetzgebung angeführt. Das machen schon die jährlichen Zahlen deutlich. In Deutschland wurden die Möglichkeiten der PNR-Richtlinie weitgehend ausgeschöpft, sodass auch für alle Flüge, die von und nach Deutschland stattfinden, Daten gespeichert und an das BKA weitergeleitete werden. Aus den allgemeinen Passagierzahlen an deutschen Verkehrsflughäfen kann deshalb geschlussfolgert werden, dass beispielsweise im Jahr 2019 allein in Deutschland eine Zahl von 250 Mio. Datensätzen zusammen kam.

Bei der enormen Anzahl bleibt die Frage nicht aus, wie eine zielgerichtete Sichtung der Daten stattfinden kann. Auch hierzu hat der EuGH sich ziemlich klar geäußert. Insbesondere dem Einsatz von lernenden algorithmischen Systemen zur Auswertung großer Datenbestände (sog. Data Mining) hat er einen deutlichen Riegel vorgeschoben. In der Vorabprüfung durch die nationalen Behörden dürfen solche zwar zur Hilfe genommen werden, sie dürfen aber keine automatischen Entscheidungen auslösen. Alle möglichen Treffer müssen nach genauen Vorgaben durch Menschen überprüft werden. In diesem Teil des Urteils wird von einigen bereits ein kleiner Wink in Richtung der geplanten „Chatkontrolle“ erkannt. Denn auch die von der EU-Kommission erdachten Überwachungspläne für jegliche Kommunikation stützen sich auf den Einsatz algorithmischer Systeme, die automatische Meldungen an bestimmte Stellen auslösen sollen. Diese Pläne müssen nun – zusätzlich zu anderen Kritikpunkten, die bestehen – wohl nochmal überdacht werden.

Leider ist das Urteil des EuGH kein Sieg auf ganzer Linie für die Bürgerrechte, denn die PNR-Richtlinie wurde nicht komplett gekippt. Es ist aber zumindest ein kleiner Sieg für die Bürgerrechte, denn die PNR-Richtlinie wurde ordentlich zurechtgestutzt. Der EuGH hat verdeutlicht, dass die gesammelten Fluggastdaten nur noch zur Bekämpfung von Terrorismus und schweren Straftaten verwendet werden dürfen, die eindeutig im Zusammenhang mit der Beförderung in einem Flugzeug stehen. Die Speicherung von Daten für Flüge innerhalb der EU muss außerdem auf das absolut Notwendige begrenzt werden, also teilweise komplett eingestellt werden. Eine allgemeine Überwachung des Flugverkehrs in der EU ist nicht mehr möglich. Eine Ausnahme von dieser Regel kann nur zeitlich begrenzt in Situationen mit einer realen und aktuellen oder als vorhersehbar eingestuften terroristischen Bedrohung gemacht werden.

Auch dieser kleine Sieg für die Bürgerrechte wird weitreichende Auswirkungen auf die deutschen Regelungen im Fluggastdatengesetz haben. Zum einen hat der EuGH die Speicherfrist für Fluggastdaten auf 6 Monate beschränkt, anstatt der laut PNR-Richtlinie bislang möglichen 5 Jahre. In Deutschland müssen Daten heute schon nach 6 Monaten de-personalisiert werden. Aber das wird wohl ohne triftige Begründung künftig nicht mehr ausreichen. Außerdem darf aktuell der Verfassungsschutz die Fluggastdaten abfragen. Die Befugnis wird nicht weiter auf die Bekämpfung terroristischer Anschläge begrenzt, sondern ist für das gesamte Aufgabenspektrum nachrichtlicher Aufklärung des Verfassungsschutzes vorgesehen. Auch hier ist der EuGH eindeutig – allgemeine nachrichtendienstliche Tätigkeiten reichen nicht aus, um Fluggastdaten zu nutzen.

Ein für alle Reisenden besonders wichtiger Punkt ist die innerhalb der EU geltende allgemeine Reisefreiheit. Durch die Überwachung aller Reisetätigkeiten wäre die Reisefreiheit im Kern bedroht. Der EuGH hat erkannt, dass es in der Vergangenheit immer wieder nationale Überlegungen gab, jeglichen Reiseverkehr (auch mit Bus, Bahn, Schiff oder anderen Beförderungsmitteln) nur noch mit personenbezogenen Tickets zuzulassen. Dazu sagt das Urteil eindeutig, dass die PNR-Richtlinie nicht allgemein auf andere Arten der Personenbeförderung in der EU erstreckt werden darf. Die – auch anonym mögliche – Reisefreiheit innerhalb der EU wird dadurch gestärkt.

Die Freiheit über den Wolken ist durch das Urteil zwar weiterhin nicht grenzenlos. Der EuGH hat die bestehenden Grenzen aber nun konkret umrissen und zumindest für die Situation innerhalb der EU einige deutliche Duftmarken für Freiheit und Bürgerrechte gesetzt. Diese Chance sollte nun für eine grundrechtsorientierte Neuausrichtung der deutschen Regelungen zur Fluggastdatenspeicherung genutzt werden. Auch wenn noch zwei Verfahren beim EuGH liegen, die sich konkret mit der deutschen Rechtslage befassen, sollte keine Zeit vergeudet werden. Immerhin spricht sich der Koalitionsvertrag für eine vorausschauende, evidenzbasierte und grundrechtsorientierte Sicherheits- und Kriminalpolitik aus. Ganz ohne, dass dies ein Gericht vorgeben muss.