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Verbrechen gegen Journalisten
Gefährliche Skandale

Nach Enthüllungsreportagen steigen Morddrohungen gegen Journalisten in Russland
Gefährliche Skandale

In diesem Jahr hat Russland bislang keinen erneuten Journalistenmord zu verzeichnen, dafür bleiben vergangene Verbrechen gegen Journalisten weiterhin unaufgeklärt und Hetze gegen vermeintliche „ausländische Agenten“ schafft ein Klima der Angst.

© Balhash/ iStock GettyImagesPlus

In diesem Jahr hat Russland bislang keinen erneuten Journalistenmord zu verzeichnen, dafür bleiben vergangene Verbrechen gegen Journalisten weiterhin unaufgeklärt und Hetze gegen vermeintliche „ausländische Agenten“ schafft ein Klima der Angst. Der Mord an drei Journalisten in Zentralafrika 2018 scheint in direktem Zusammenhang mit einer Enthüllungsreportage der Ermordeten über die russische Söldnereinheit „Gruppe Wagner“ zu stehen. Russische Enthüllungsjournalisten haben im Jahr 2018 wichtige Zusammenhänge zum versuchten Mord an Sergej Skripal, zu den Operationen der geheimen „Gruppe Wagner“ und zu verschiedenen Fällen von Korruption aufgedeckt. Gegenüber Medienschaffenden kommt es fast täglich zu Mord- und Gewaltaufrufen.

Wie ist es aktuell um die strafrechtliche Verfolgung von Verbrechen gegen Journalisten im Land bestellt?

Journalisten, die kritisch berichten, werden in den staatlich kontrollierten Medien immer öfter als Staatsfeinde dargestellt. Medien, die Geld aus dem Ausland erhalten, werden per Gesetz als „ausländische Agenten“ gebrandmarkt. Zum schlechten Vorbild diente ein ähnlich problematisches Gesetz in den USA. Doch in Russland geht man noch weiter: Seit diesem Jahr können auch Einzelpersonen zu „ausländischen Agenten“ erklärt werden. Man kümmert sich in der Politik also lieber um die Bekämpfung vermeintlicher Agenten und Staatsfeinde als um den Schutz und die Aufklärung von Verbrechen gegen Journalisten. Erstaunlicherweise gibt es dennoch erfolgreiche investigative Journalisten in Russland, wie die ZEIT-Korrespondentin Alice Bota kürzlich gut dargestellt hat. Russland zeigt sich so als ein autoritärer Staat mit teilweise dennoch funktionierender vierter Gewalt. Gewalt geht aber leider auch oft direkt vom Staat gegen Journalisten aus.

Hat sich die Lage in den vergangenen Jahren verbessert oder verschlechtert?

Wegen wirtschaftlicher und sozialer Probleme im Land werden die Behörden immer nervöser gegen jede Form von Protest. Da unabhängige Journalisten Protesten eine breitere Wahrnehmung verschaffen, wird häufig direkt gegen sie vorgegangen. Ich nennen Ihnen Beispiele: Am vergangenen Wochenende haben Demonstrationen für den Schutz von Kindern stattgefunden. Allein von St. Petersburg weiß ich, dass die Einsatzpolizei gezielt auf einzelne Journalisten unabhängiger Medien losging. Um die Berichterstattung zu verhindern, wurden manche auch verhaftet. Bei Demonstrationen gegen die Verlängerung des Renteneintrittsalters im Mai wurden in verschiedenen russischen Städten 23 Journalisten von Einsatzkräften geschlagen oder verhaftet. Russische Journalisten, die zur Aufklärung des Skripal-Falls beigetragen haben, haben sich teilweise ins Ausland abgesetzt. In der Redaktion der unabhängigen Zeitung „Nowaja Gaseta“ wurde im Oktober anonym ein Ziegenkopf und ein Begräbnisbukett abgeliefert – zusammen mit einer Karte, in der explizit einem Journalisten gedroht wurde. Anders als im letzten Jahr wurde in Russland selbst glücklicherweise kein weiterer Journalist ermordet. Allerdings wurden die drei Journalisten Alexander Rastorgujew, Kirill Radchenko und Orkhan Dzemal, die die Aktivitäten der russischen „Gruppe Wagner“ untersuchten, in Zentralafrika ermordet. Insgesamt muss man deswegen wohl leider von einer Verschlechterung sprechen.

Inwieweit wirkt sich die Straflosigkeit auf die Meinungs- und Pressefreiheit im Land aus? 

Die Gesamtbilanz ist leider nicht so positiv. Wie im Jahr 2017 steht Russland im Jahr 2018 wieder auf Platz 148 in der Rangliste der Medienfreiheit in 180 Ländern. Trotz des negativen Trends stabilisiert Russland seinen Platz im unteren Bereich, weil sich die Bilanz in anderen Ländern noch dramatischer verschlechtert hat. Es gibt also weiter freie Medien und investigative Journalisten in Russland, dennoch dominieren die staatlichen Fernsehsender bei sehr beschränkter Reichweite der unabhängigen Medien. Auch 2018 haben wieder einige investigative Journalisten wegen der steigenden Bedrohungssituation das Land verlassen.

Wird die Straflosigkeit von Verbrechen gegen Journalisten in der öffentlichen Debatte thematisiert? Gibt es konkrete Fälle, die in den Fokus der Öffentlichkeit geraten sind?

Die Attacken auf und Verhaftungen von Journalisten werden vor allem in unabhängigen Medien thematisiert. Eine Ausnahme bilden die drei Morde in Afrika, die in den meisten – auch staatsnahen – russischen Medien thematisiert wurden. Wichtige Fälle erreichen also auch weiterhin eine gewisse Öffentlichkeit. Eine offene und kritische Auseinandersetzung findet allerdings nur in den unabhängigen Medien mit beschränkter Reichweite statt. Im Fokus der Öffentlichkeit standen 2018 besonders die bereits erwähnten Fälle um den Fall Skripal, die „Gruppe Wagner“ und das „Ausländische Agentengesetz“ für Medien und individuelle Medienschaffende.

Welche Organisationen setzen sich im Land gegen die Straflosigkeit von Verbrechen gegen Journalisten ein? Inwieweit unterstützt die Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit diese Bemühungen?

Es gibt eine Anzahl von Organisationen, die sich in Russland gegen die Straflosigkeit von Verbrechen gegen Journalisten einsetzen. Dazu gehören internationale NGOs wie Reporter ohne Grenzen, das Committee to Protect Journalists, das Institute for War and Peace Reporting oder Human Rights Watch. Sie helfen alle dabei, das Thema nicht in Vergessenheit geraten zu lassen. Die wichtigste Arbeit leisten aber die mutigen Journalisten selbst und alle, die bedrohten Journalisten direkt dabei helfen, in Sicherheit zu gelangen. Mit dem Istanbuler Büro und dem Journalistenprogramm der Stiftung haben wir im Rahmen des neuen türkisch-russischen Austauschprogramms #trusd auch einen neuen Austausch unabhängiger Journalisten aus beiden Ländern begonnen.

Julius von Freytag-Loringhoven leitet seit 2012 das Moskauer Büro und die Arbeit der Friedrich Naumann Stiftung für die Freiheit in Russland und Zentralasien.