Green Tape
Gute Absichten, hohe Mauern – der EU-Handel und die Nachhaltigkeit
Die EU hat sich in der letzten Legislaturperiode dazu entschlossen, eine stärkere Rolle im Kampf gegen den Klimawandel und für Nachhaltigkeit zu übernehmen. Laut ihrer Strategie von 2021, will sie „alle [..] zur Verfügung stehenden handelspolitischen Instrumente [einsetzen], um soziale Fairness und ökologische Nachhaltigkeit zu fördern“. So kommt es nicht überraschend, dass diese Woche nicht nur das Europäische Lieferkettengesetz, sondern auch das Importverbot für Produkte aus Zwangsarbeit im Europaparlament beschlossen wurden. Diese Maßnahmen stellen die letzten Puzzlesteine in einer Reihe von Nachhaltigkeitsinitiativen der Europäischen Union dar, die sich von der Verordnung über Konfliktmineralien, über die Entwaldungs-Verordnung bis zur 2023 in Kraft getretenen Kohlenstoffgrenzausgleich (kurz CBAM) erstreckt.
Gemeinsam ist diesen Maßnahmen das Ziel, die Globalisierung durch Marktbarrieren „nachhaltiger und gerechter“ zu machen. Internationale Kooperation und Beteiligung von Handelspartnern findet allerdings kaum statt. Aus diesem Grund hat die Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit eine Studie erstellt, um all diese Nachhaltigkeitsbestimmungen einzuordnen und deren Auswirkungen zu skizzieren. Die Studie zeigt auf, dass die EU in der Vergangenheit versuchte, durch einseitige Zollpräferenzen und Freihandelsabkommen ihre Vorstellungen von Nachhaltigkeit mit Partnern zu fördern. Drittländer hatten einen Anreiz gewisse Bestimmungen einzuhalten, da sie im Gegenzug billiger und mit geringeren Hürden in die EU exportieren konnten.
Durch die neuen Maßnahmen scheint die EU ihren Markt jedoch als Waffe zu verwenden und Ländern sowie Produkten den Zugang zu verwehren, sollten sie nicht den Vorgaben folgen. Dies stellt nicht nur eine Abkehr von jahrzehntelanger Politik dar, sondern könnte potentiell auch im Konflikt mit der Welthandelsorganisation (WTO) stehen. Diese verfügt jedoch zurzeit über keinen Mechanismus, um Protektionismus einen Riegel vorzuschieben, da die Berufungsinstanz seit 2019 keine Urteile mehr fällen kann.
Angelehnt an den englischen Begriff des „red tape“, der für überbordende Bürokratie steht, werden in der Studie einseitige EU-Maßnahmen zur Durchsetzung von Nachhaltigkeit zusammenfassend als „Green Tape“ bezeichnet, da sie bürokratische Anforderungen einführen und damit die Dokumentationslast für Unternehmen voraussichtlich beträchtlich erhöhen werden.
Angesichts der wichtigen Rolle, die EU-Unternehmen in den Entwicklungsländern spielen, indem sie besser bezahlte Arbeitsplätze schaffen und bessere Arbeitsbedingungen fördern, könnte „Green Tape“ den Zugang zu wichtigen Rohstoffen einschränken und Unternehmen einen wirtschaftlichen Anreiz geben, die Lieferketten zurück nach Europa zu verlagern. Der Rückzug aus einigen Märkten macht bestimmte Länder anfälliger für eine Übernahme durch beispielsweise amerikanische oder chinesische Unternehmen ohne gleichermaßen strenge Umwelt- und Menschenrechtsverpflichtungen.
„Green Tape“ birgt aber auch das Potenzial, nachhaltige Geschäftspraktiken und engere Lieferantenbeziehungen zu etablieren und langfristiges Denken gegenüber kurzfristigen Gewinnen zu fördern. Wenn multinationale Unternehmen Klima- und ESG-Ziele auf ihre Agenda setzen, werden diese Themen noch stärker in die Politik integriert und tragen damit zu mehr Verantwortung in der EU und im Ausland bei. Ebenfalls könnte die Anpassung bestehender europäischer Investitionen und Produktionsstätten in vielen Situationen zu einer raschen Verbesserung der Situation für Arbeitnehmer und Umwelt führen.
Die Studie zeigt auf, dass die EU selbstbewusster auftreten will, um ihre Werte international durchzusetzen. Sie setzt sich für eine regelbasierte Weltordnung ein und sieht sich selbst als Verfechterin von Normen, die das globale Wohlergehen fördern. Damit will sie sich von anderen Akteuren, wie China und den USA, abgrenzen, deren Außenpolitik als eigennützig wahrgenommen wird, wobei nicht klar ist, ob die EU durch „Green Tape“ nicht auch selbst Teile ihrer Industrie zurückverlagern will. Indem sie Nachhaltigkeit benutzt, um ihre geopolitischen Absichten zu verschleiern, könnte die EU die Möglichkeit übersehen, dass sie in der Verfolgung ihrer Eigeninteressen schließlich nicht mehr von anderen globalen Akteuren zu unterscheiden ist. Dabei wirkt jede neue Regulierung wie ein weiterer Stein in der Mauer ihrer eigenen Isolation.
Eine erste Präsentation der Studie fand im Rahmen eines Online-Dialogs der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit in Baden Württemberg mit Carl-Julius Cronenberg MdB, Sprecher für Mittelstand und Freihandel der FDP-Fraktion im Deutschen Bundestag, Prof. Dr. Galina Kolev-Schäfer, Professorin für Volkswirtschaftslehre an der Technischen Hochschule Köln, und Dr. Melanie Müller, Leiterin des Forschungsprojekts „Internationale Rohstoffkooperation“, Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) statt.